Die Hörspiel-Komponistin Sabine Worthmann

Radio ist das Tor zur Welt

09:05 Minuten
Eine frau steht vor einem Schaufenster und betrachtet die LED-Displays, welche Musikinstrumente darstellen
Was braucht man, um für ein Hörspiel die Musik komponieren zu können? © Unsplash/Spencer Imbrock
Von Nora Bauer · 04.01.2020
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Wie findet man den richtigen Klang für ein Hörspiel, wie viel Raum darf die Musik einnehmen und wie gefährlich ist Routine in diesem Beruf? Die Hörspielkomponistin und Klangkünstlerin Sabine Worthmann im Portrait.
In der Szene der Neuen Musik sind die Komponistinnen mittlerweile zahlreicher vertreten, aber die Hörspielkomponistinnen sind immer noch rar. Sabine Worthmann kam in den 80iger Jahren vom Rock zum Jazz zum Hörspiel. Die Reise – in Begleitung ihres Kontrabass' – begann im heimatlichen niedersächsischen 500-Seelen-Ort Hemsbünde zwischen Bremen und Hamburg und führte über New York nach Berlin. Sabine Worthmann ist Autodidaktin. Lehrer hat sie sich gezielt gesucht, wenn sie allein nicht weiterkam. Das Radio war dabei Teil ihrer Welt von Kindesbeinen an.
Sabine Worthmann: "Es war ja so, meine Mutter ist ja auch in diesem Dorf gewesen und hatte das Gefühl sie muss da versauern und hat dann von morgens bis abends Radio gehört. Und ich war dann in so einem kleinen grünen Gatter unter dem Radio. Wenn sie mal in den Garten musste, war ich eben allein in diesem Gatter und mit dem Radio, und das Radio hat dann Musik 'raus geblasen für mich – und von daher wurde ich schon so gefüttert mit so Tanzorchester-Musik, glaube ich, war das hauptsächlich. Und leider spiegelt sich das auch in meiner Musik wieder, ich hab das Gefühl, da ist so in mir drin so ein Pool von so alten Melodien."
Abgründe hörbar machen
Der Swing-Radiosong entstand für das Hörspiel Hexenland, produziert von Deutschlandfunk Kultur 2017. Ein Spätaussiedlerdrama aus der disparaten westdeutschen Welt nach dem 2. Weltkrieg. Teils Historie, teils Erzählung, entwickelt die Autorin Marianne Wendt die Dynamik des Stücks aus den Abgründen, die sich unter der wieder heil scheinenden Welt der 50iger Jahre tatsächlich noch oder wieder verbergen. Diese Abgründe werden dann aber sofort in Worthmanns Musik hörbar.
Sabine Worthmann: "Naja, da geht’s ja auch um Aberglauben, das ist ja so teil-dokumentarisch, also sie hat ja so in alten Archiven gewühlt, und hat so Aufnahmen gefunden, das war in der Nachkriegszeit, … die Migrationsgeschichte hat mich natürlich sehr beschäftigt, aber nicht auf der Ebene bei diesem Stück. Bei diesem Stück fand ich eigentlich am interessantesten, dass da gespukt wird und dass es da einen Bannmeister gibt, der … finstere Sachen macht. … Der hat so Beschwörungen in diesen Kuhställen vorgenommen … Spukhausen! … Und die fünfziger Jahre natürlich, da bin ich zuhause, das kann ich schnell reproduzieren."
Wie wird man Hörspielkomponistin?
Sabine Worthmann: "Also das Radio war für mich das Tor zur Welt. Da habe ich so gesehen, da ist noch mehr los, da draußen. … Ich hatte ziemlich früh das Gefühl, ich möchte eigentlich raus. Ich hab von einer Großtante, die mir immer jeden Wunsch von den Augen abgelesen hat, so Sachen gekriegt, die Erwachsene eigentlich nur haben dürfen und dann habe ich mir mal ein Radio gewünscht, … und da hat sie mir so ein kleines tragbares Radio geschenkt, und das habe ich dann nachts heimlich mit in mein Bett genommen und dann im Bett Radio gehört. Diese ganzen Radiogeräusche: chichuchiuchichu…"
Mit einer Gitarre fing es an
Das Musikmachen und Musikschreiben fing an mit einer Gitarre und einer selbstgegründeten Rockband in der Schule. Das reichte aber bald nicht mehr.
Sabine Worthmann: "Das war so vielleicht auch so eine Art von Penisneid, ich wollte einfach den größten haben und habe mir dann – das war allerdings relativ spät – mit 19 habe ich mir einen Kontrabass geholt, weil ich zusehends mehr mich für Jazz interessiert habe. Ich hatte auch noch einen Bekannten, der spielte Kontrabass, da hatte ich den Bass mal in der Hand, und dachte super, kann so schwer nicht sein, die ersten Saiten sind auch wie bei der Gitarre in Quarten gestimmt, das krieg ich schon hin. Und dann bin ich ganz naiv erst mal nach Hamburg gefahren und habe mir da dann … für 1000 Mark, die ich gespart hatte, bei Steinway and Sons mir so eine tschechische Krücke gekauft. Das war so der Start eigentlich."
Zum Hörspiel kam die Komponistin dann aber doch eher zufällig.
Sabine Worthmann: "Ich hatte mal eine Zeitlang so ein Soloprogramm, da habe ich ganz viel – ich hab ja mit meinem Kontrabass ganz viel Technik noch dabei gehabt, ganz viel Loopmaschinen, … Tonbandgeräte, ganz viel Kinderspielzeug, Zittern, alte Casios, Spieluhren und was weiß ich, und damit hatte ich mal ein Soloprogramm, und da sind Leute irgendwie auf mich gekommen, weil ich da so merkwürdige Geräusche und Sachen gemacht hab."
Das Hörspiel "Seelandschaft mit Pocahontas" nach einem Roman von Arno Schmidt erzählt ebenfalls aus der westdeutschen Nachkriegswelt, recht drastisch für die damalige Zeit, eine Liebesgeschichte. 1955 veröffentlichte Alfred Andersch die Erzählung in der Zeitschrift Text und Kritik, was ihm eine Strafanzeige wegen Pornografie einbrachte. Tatsächlich verhandelt der Text die erstickende Bewegungslosigkeit der Adenauerzeit. Das Hör-Stück wurde 2010 vom Hessischen Rundfunk produziert. Die Musik ist wieder eine Mischung aus freierfundenen Melodien im Stil der 50iger.
Sabine Worthmann: "Das war eigentlich ziemlich nah dran, muss ich sagen, ich komm ja aus der Provinz auch und kenn das alles. … Es ging ja einerseits darum so ein Zeitkolorit zu schaffen mit der Musik, von der Instrumentierung war das so mit Gitarre, und Akkordeon, Schlagzeug, da haben wir so eine richtige 50iger-Jahre-Mucke gemacht, so Heinz-Ehrhardt-Stimmung, … und dann gibt es ja dieses Landschaftserleben, wo die da im See baden, da haben wir dann die abstrakten Klänge eingeflochten mit den Naturgeräuschen. … Das haben wir dann auch teilweise so gemischt … meine Musik mit den Naturgeräuschen."
Eine Vorliebe für politische Themen
Sabine Worthmann: "Was ich hörte im Irak … das war eine Arbeit, die mir wirklich sehr wichtig war, da war ich auch sehr lange mit im Studio beim Mischen … und das war total hart, also es war sehr anstrengend diese Inhalte im Studio zu verdauen, mit diesen Super-Geithain-Boxen, also dieses Grauen nochmal anzuhören, also die Beschreibung des Grauens."
Nur 43 Tage dauerte der Irakkrieg 2003. Dann waren 37.000 irakische Soldaten, 4.000 US-Soldaten und 600.000 irakische Zivilisten tot. Es folgten acht Jahre einer für alle Seiten zermürbenden Besatzungszeit. Anhand von Politiker-Statements und Augenzeugenberichten wurden die damaligen Ereignisse protokolliert. Sabine Worthmann hat eine Vorliebe für Manuskripte mit politischen Sujets.
Sabine Worthmann: "Das war eine Herausforderung, was mach ich jetzt mit diesem Text-Konvolut – das sind ja Massen Aussagen, die gesammelt wurden, also im Grunde die Anatomie des Lügens. … Also es geht da um den Irak-Krieg, um den Irak Krieg zu rechtfertigen, … wo da klar war, es war alles ein reines Lügengebäude. … Da haben wir sehr viel drüber nachgedacht, man will jetzt auch nicht Krieg illustrieren. … Dann sind wir eigentlich dazu gekommen, das ein bisschen abstrakter zu nehmen."
Komposition in der angewandten Musik sei immer ein Kompromiss, findet die Komponistin. Wichtiger sei es, Teams zu finden, mit denen man selbst gut zusammenpasse. Dann sei das auch ein schmerzfreier Vorgang.
Sabine Worthmann: "Die Regisseure bekommen dann die Musik mit, und zwar in Einzelspuren, also ich gebe meine Küche aus der Hand, was mir manchmal auch nicht so leicht fällt, die Regisseure nehmen das mit und mixen wie sie wollen die Musik. …Also es ist ja so, wenn man unter einem Text Musik beigibt, dann ist ja oft der Wunsch, dass man nicht so eine fette Stereo-Mischung haben möchte, sondern eher ausgedünnt, … vielleicht nur in den Bass übergehen, oder nur eine Spur stehen lassen und diese Option haben die Regisseure da mit diesen Einzelspuren. … Da muss ich dann einfach loslassen."
Ein Gegenüber auf Augenhöhe
Die Anforderungen sind bei jedem Skript anders und immer wieder neu. Routine ist nicht nützlich in diesem Beruf. Obwohl Erfahrung helfen kann. Manchmal hat die Musik nur eine funktionale Bedeutung als Trenner oder als eine Art leitmotivische Orientierung im Stück. Mal ist mehr, mal weniger Raum für Musik. Sabine Worthmann versteht sich als jemand in dienender Funktion, aber doch auch als Gegenüber auf Augenhöhe.
Sabine Worthmann: "Ich hatte schon auch Erfahrungen, dass man mich dann eher wie so ein CD-Spieler benutzt, ach, mach mal ein bisschen hier und dies, und dann mach ich da ganz viel Arbeit, steck da was rein und dann wird das so weggehauen, dann kommt wieder das nächste. Ich habe oft den Wunsch das Ding zu knacken, also so ein Hörspiel, also genau herauszufinden, was braucht es wirklich, also womit ich mich sicher fühle."