Die Hölle im Wandel

Im Jenseits fast erkaltet

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Das Gemälde zeigt, im Stil von Hieronymus Bosch, die Hölle als trostlose Landschaft mit einer brennenden Stadt und dem Fluss Styx.
Heute ist die christliche Hölle weitestgehend erkaltet - anders im Mittelalter, wie hier auf einem Gemälde im Stil von Hieronymus Bosch. © Getty Images / Hulton Archive / Heritage Art
Von Michael Hollenbach · 09.08.2020
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Die Hölle dient häufig als Sprachbild für Qualen im Diesseits. Als Jenseitsvorstellung scheint sie vielen kaum noch relevant. Doch in manchen religiösen Gruppen dient sie weiterhin als Drohszenario für alle, die vom richtigen Weg abweichen.
Die Hölle ist heiß. Die Menschen leben in Angst vor dem Reich des Teufels. So war es vor allem im ausgehenden Mittelalter. Eindringliche Beschreibungen wie in der Göttlichen Komödie von Dante und düstere Bilder wie die von Hieronymus Bosch prägten die Vorstellungen von der Hölle:"Die ihr eintretet, lasst alle Hoffnung fahren."
Claudia Höhl ist Direktorin des Hildesheimer Dommuseums. Sie erklärt: "Dann gibt es da eine große Vielzahl von Qualen, die gezeigt werden, also durch Verbrennen, aber ganz beliebt auch Monster, die dann die Menschen quälen, indem sie sie umklammern und ihre Krallen sozusagen in die Körper stoßen, aber auch Varianten, wo dann aus dem real existierenden Foltern Motive übernommen werden."

Augustinus prägte unser Bild der Hölle

Theologisch gingen diese Höllenbilder vor allem auf den Kirchenlehrer Augustinus zurück. Während die Hölle im Alten Testament so gut wie keine Rolle spielt und sich im Neuen Testament nur wenige Stellen mit dem Leiden in der Verdammnis beschäftigen, konkretisierte der Kirchenvater in der Spätantike das Konzept der Hölle, erläutert der katholische Theologe Bernhard Lang: "Augustinus baut die Höllenlehre auf die Erbsündenlehre auf: Von der Ursünde im Paradies sind alle Menschen betroffen. Alle Menschen haben sich damals die ewige Höllenstrafe zugezogen und nur Auserwählte werden durch die Aktion Christi befreit und können im Himmel aufgenommen werden."
Wer in die Hölle kommt, muss dort ewig schmoren, erklärt Höhl: "Also dass, wenn ich mich so von Gott entfernt habe, dass ich dieses Band der Liebe zwischen Gott und Mensch, - ganz wichtig ist immer theologisch: freiwillig - durchbrochen habe, dann ist diese Gottesferne endgültig."
Der Münsteraner Religionswissenschaftler Perry Schmidt-Leukel widmet sich dem Zeitpunkt, zu dem man in die Hölle kommt: "Kommt man da sofort nach dem Tod rein? Kommt man da erst nach der Auferstehung von den Toten rein? Und da wurde Jahrhunderte lang drüber gestritten, bis es in der katholischen Kirche da entsprechende lehramtliche Entscheidungen gegeben hat."
Den Stand erläutert Lang: "Nach dem Tod findet ein individuelles Gericht statt. Richter ist Christus. Das Urteil wird sofort gefällt und sofort vollstreckt." Und Höhl ergänzt: "Was auch ein wichtiges Thema ist, dass alle Schichten betroffen sind; dass unter diesen Verdammten in der Hölle auch Kleriker sind, dass da reich gekleidete Frauen sind. Dass also niemand dieser Verantwortung entkommen kann und irgendwann sich jeder diesem Gericht stellen muss."

Das "Fegefeuer" als Zwischenstufe zum Himmel

Neben der eigentlichen Hölle entwickelte sich im Mittelalter die Vorstellung vom Fegefeuer. "Das Fegefeuer ist ein deutsches Wort", erklärt Schmidt-Leukel. "Eigentlich der Fachbegriff wäre Purgatorium, Läuterungsort und Reinigungsort; daher eben das Fegen im Deutschen. Man wird durch ein Feuer geläutert. Das ist die Idee, dass, wenn man stirbt und noch nicht weit genug ist für den Himmel, für das Entrücktsein in die Gegenwart Gottes, muss man noch weitere Läuterungsprozesse durchlaufen." Lang ergänzt: "Das bedeutet natürlich, dass in der Hölle II, im Fegefeuer, die Möglichkeit gegeben ist, dass sehr viel mehr Seelen in den Himmel gelangen."
"Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt", so soll der Dominikanermönch Johann Tetzel für den Ablasshandel geworben haben. Vor allem im Spätmittelalter glaubten viele Menschen, durch Gebete und Spenden an die Kirche die Zeit im Fegefeuer für verstorbene Angehörige verkürzen zu können. Dieser Ablasshandel war einer der Gründe für die Kirchenkritik von Martin Luther und letztlich für die Reformation.
Johann Hinrich Claussen ist der Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche (EKD) in Deutschland. Er sagt über Luther: "Ganz wichtig war ihm die Abschaffung der katholischen Vorstellung des Fegefeuers, also dass es eine Art reinigende, prüfende Vorhölle gibt. Das war natürlich auch der Versuch als Disziplinierungsmittel, Menschen gefügig zu halten."

Verschiedene Vorhöllen im Katholizismus

Die katholischen Jenseitsvorstellungen waren ausgefeilt. Neben dem Himmel gab es nicht nur die Hölle und das Fegefeuer, sondern auch noch den sogenannten Limbus, erläutert Schmidt-Leukel: "Den gab es in zwei Abteilungen, den Limbus für die Kinder und den Limbus für die Väter."
Zu letzteren gehörten zum Beispiel die alten griechischen Philosophen, aber auch die jüdischen Patriarchen. Dazu Schmidt-Leukel: "Wenn die Erlösung erst durch den Kreuzestod Jesus erbracht wurde, und das war ja in weiten Teilen des Christentums eine verbreitete Vorstellung, dann konnten ja sozusagen Abraham, David nach ihrem Tod noch nicht in den Himmel kommen, weil die Erlösung noch gar nicht geschehen war. Was ist dann mit denen? Gut, die sind dann in so einem sonderbaren Zwischenort, in dem Limbus, der Vorhölle. Und Christus habe dann zwischen seinem Kreuzestod und zwischen der Auferweckung in dem sogenannten Höllenabstieg, als dann die Erlösung möglich war, die Patriarchen des Alten Testamentes aus der Vorhölle befreit, aber nur die."
Neben der Erlösung für die vorjesuanischen Philosophen und die jüdischen Patriarchen gab es noch ein weiteres Problem: was passiert mit ungetauften Kindern? Schmidt-Leukel kennt die Antwort: "Dann haben einige Theologen vertreten, die kommen auch in den Limbus. Denn die Vorstellung, dass ein kleines Baby stirbt, bevor es getauft werden kann, deswegen in die Hölle kommt, erschien vielen unerträglich, aber es gab auch einflussreiche Theologen, die gesagt haben: Nein, nein diese ungetauften, gestorbenen Kinder, sie sind einfach nur verdorbenes Fleisch und Kot. Es gibt für sie keine Chance der Rettung, sie kommen auch in die Hölle."

Verdammung auf Abruf im Islam

Im Islam ist die Hölle ein feuriger Abgrund. Im Koran, in Sure 11, ist zu lesen: "Die Unseligen werden im Höllenfeuer sein, wo sie laut aufheulen und hinausschreien, und wo sie weilen, solange Himmel und Erde währen – soweit es dein Herr nicht anders will." Hamideh Mohagheghi lehrt Islamwissenschaften an der Universität Paderborn und erklärt: "Gott bestraft, wen er will. Seine Barmherzigkeit umfasst alles. Das heißt, auch in der Situation, wo von der Strafe die Rede ist, steht die Barmherzigkeit Gottes an erster Stelle."
Ähnlich wie im Christentum gibt es im Islam die Vorstellung, dass sich unmittelbar nach dem Tod das jenseitige Schicksal entscheidet, erklärt sie: "Wenn jemand stirbt, sollten am Grab, bevor er begraben wird, alle Anwesenden befragt werden, ob jemand zwischen ihnen ist, dem dann der Verstorbene etwas angetan hat und derjenige, der das Gebet verrichtet, bittet dann diese Personen, ihm jetzt gleich zu verzeihen, weil er dann, wenn er dann vor Gott steht, muss er vorher diese Vergebungsseiten der Menschen haben, denen er etwas angetan hat."
Im Islam sind Höllenvorstellungen auch heute noch sehr präsent, betont Mohagheghi: "Diese Vorstellung ist - ich muss sagen: leider - auch in der religiösen Erziehung sehr präsent, dass man auch die Kinder so erzieht: Wenn du das und das tust, kommst du dafür in die Hölle. Es ist immer noch ein starkes Bild und eine ganz starke Vorstellung, die auch eine Angsttheologie entwickeln kann.

Vorstellungen im Buddhismus und Hinduismus

Auch Buddhismus und Hinduismus kennen Höllenvorstellungen. So durchlebt der Verstorbene so lange großes Leid, bis sein schlechtes Karma, das aus seinem bisherigen Leben resultiert, geläutert ist. Schmidt-Leukel erklärt: "Da gibt es ausgeprägte Höllenvorstellungen und die Aufenthaltsdauer in der Hölle ist sehr lang, aber nicht unendlich. Irgendwann stirbt man dann auch in der Hölle und wird dann je nach Dynamiken woanders wiedergeboren. Wiedergeburtsvorstellungen beinhalten auch den Gedanken, dass es dann insofern ausgleichende Gerechtigkeit gibt, kosmische Gerechtigkeit, insofern man eben in der Form wiedergeboren wird, die man sich selbst zuzuschreiben hat. Vereinfacht gesagt: Hat man wie ein Schwein gelebt, wird man auch als Schwein wiedergeboren."
Und wie lebendig sind die Höllenvorstellungen im Christentum? Lang weiß: "Im 19. Jahrhundert gibt es auf protestantischer Seite und nachgeholt im 20./21. Jahrhunderts auf katholischer Seite die Zurückdrängung, das Verschwinden des Höllenglaubens verbunden mit einen Heilsoptimismus für alle. Die Hölle ist kalt, die Hölle gibt es eigentlich gar nicht mehr, die Höllenpredigt ist verschwunden."
Das gilt allerdings nicht für alle Christinnen und Christen, sagt Schmidt-Leukel: "Sie finden heute auch eben vor allem im Bereich der fundamentalistischer orientierten Christenheit, der sogenannten evangelikalen Bewegungen, der Pfingstkirchen, die einen ganz großen Anteil der gegenwärtigen Christen ausmachen, nach wie vor die Idee, dass der Großteil der Menschen, also alle die, die nicht getauft sind, in die ewige Verdammnis kommen und auch ein Großteil der getauften Christen, wenn sie nicht den richtigen christlichen Glauben haben oder das richtige christliche Leben leben."

Die Hölle als Antwort auf moralische Verzweiflung

Die Höllenbilder waren in der Religionsgeschichte immer auch ein Mittel, die Menschen unter Druck zu setzen, dem rechten Glauben zu folgen. Und sie waren für viele eine Antwort auf die Frage, warum es im Diesseits oft so ungerecht zugeht. Der evangelische Theologe Claussen: "Wie kann es denn sein, dass Menschen, die katastrophalste Menschenrechtsverletzungen begangen haben, Menschheitsverbrechen begangen haben, dass die nicht bestraft werden? Und die Hölle, auch die alte traditionelle Vorstellung der Hölle, ist der Versuch, mit dieser moralischen Verzweiflung des Menschen - und die ist ja immer noch nachvollziehbar – umzugehen. Es muss doch eine Gerechtigkeit geben und ganz offenkundig gibt es sie hier in angemessener Weise auf Erden nicht."
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