Die hilflosen Helfer

Von Stefan Keim · 21.04.2012
Im Februar 2010 gab es in Chile eins der stärksten Erdbeben bisher. Der chilenische Theatermacher Guillermo Calderón hat diese reale Katastrophe mit Heinrich von Kleists 200 Jahre alter Novelle "Das Erdbeben von Chili" verbunden. Am Düsseldorfer Schauspiel hat er nun sein Stück "Beben" selbst inszeniert.
"Ich war unterwegs und da sah ich 'nen Hund kommen. Und der hatte was in der Schnauze, und er nähert sich, und es war 'ne Hand."

Mit diesen Sätzen beginnt Guillermo Calderóns Theaterstück "Beben". Es ist dunkel, nur Taschenlampen durchschneiden die Schwärze. Ein großes Zelt steht auf der Bühne. Die Schauspieler flüstern in Mikroports. Es ist Nacht im Lager einer Hilfsorganisation in Chile. Vier junge Deutsche wollen traumatisierte Kinder aufheitern, ihnen den Glauben zurück geben, dass es nach dem Erdbeben wieder so etwas wie Normalität geben kann.

Karin (Xenia Noetzelmann) hat Kinder zum Weinen gebracht. Weil sie ihnen eine Geschichte erzählt hat, von einem jungen Liebespaar, das nicht zusammen sein durfte. Durch ein Beben gewinnen sie Freiheit, erleben ein paar paradiesische Tage im Wald, kehren zurück in die Stadt. Dort werden sie von einem wütenden christlichen Mob getötet, schließlich zerschmettern die Fanatiker den Kopf eines Babys an den Kirchenmauern. Karin rechtfertigt sich: Sie könne Kindern, die das Grauen erlebt hätten, keine Lügen von der heilen Welt erzählen.

Ihre Chefin rastet aus, wirft sie aus dem Lager. Obwohl draußen das Militär patrouilliert und Ausgangssperre herrscht. Guillermo Calderón erzählt nicht von dem Leid nach einer Naturkatastrophe. Sondern von neurotischen Wohlstandsmenschen, die sich im Krisengebiet selbst verwirklichen wollen. Die Leiterin Anna (Janina Sachau) zieht sich gern mal aus, stellt sich nackt vor den Spiegel und bewundert sich als Engelsgestalt. Ihr Mitarbeiter Willi (Ingo Tomi) klaut eine Discoanlage aus einem Supermarkt und sieht seinen Diebstahl als Protest gegen den Kapitalismus. Und Maria (Elena Schmidt) ist eine völlige Nullnummer. Sie wagt keinen Widerspruch, passt ihre Meinungen immer dem an ,mit dem sie gerade spricht.

Immer abstrusere Geschichten enthüllt Autor Guillermo Calderón im Laufe seines Stückes. Sein Thema ist interessant. Ob alle Nichtregierungsorganisationen in Krisengebieten Spendengeld sinnvoll einsetzen, muss und darf gefragt werden. Allerdings stellt Calderón grenzdebile Psychopathen auf die Bühne, deren wilde Geschichten man kaum ernst nehmen kann. Am Ende bekommt jeder ein Solo, in dem sich Abgründe auftun. Was schon deshalb kaum berührt, weil es einfach schlecht konstruiert wirkt. Die ausführliche Nacherzählung von Kleists Novelle wirkt ebenfalls aufgesetzt. Die Schauspieler allerdings machen das Beste aus dem schwachen Text, erspielen glaubwürdige Momente, setzen groteske Pointen. Außerdem überzeugt die Atmosphäre. Das gedämpfte Sprechen im dunklen Raum schafft Spannung. So lange Calderón die Konflikte nur andeutet, hat seine Aufführung Kraft. Schade, dass er aus dem packenden Thema nur ein paar politisch inkorrekte Pointen schlägt und nicht in die Tiefe vordringt. So bleiben nur Karikaturen überforderter Helfer, die selbst dringend auf die Couch gehören.
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