Die Hauskomponistin

Von Caroline Kuban · 03.11.2010
Das kleinste Opernhaus Berlins, die Neuköllner Oper, hat eine Hauskomponistin. Sinem Altan galt als Wunderkind, als sie vor 14 Jahren ihre türkische Heimat verließ, um in Berlin Komposition zu studieren. Heute ist die 25-Jährige beschäftigter denn je. Ihr Singspiel "Tango Türk" ist zurzeit in der Neuköllner Oper zu sehen: Die Geschichte eines jungen, karriereorientierten Deutsch-Türken, der nach dem Tod seiner Mutter zu seiner Familie in die Türkei zurückkehrt und sich dort mit seiner Herkunft auseinandersetzen muss.
"Eigentlich steckt mein Leben zwischen zwei Ländern. Ich lebe in Deutschland seit 15 Jahren mittlerweile und vorher habe ich – bin geboren in der Türkei in Ankara – dort gelebt, aber ich hab in der Zeit, wo ich hier lebe, niemals das Gefühl gehabt, dass ich nur noch nach Deutschland gehöre. Ich hatte immer einen Teil von mir in der Türkei, kann man sagen die Seele oder auch die Emotionen ... ich versuche immer diese Art von Vielfalt zu erleben und sage, ich bin in beiden Heimat."

Wenn Sinem Altan spricht, strahlen die dunklen Augen, ihre Hände gestikulieren lebhaft. Entspannt sitzt die 25-Jährige im gemütlichen Arbeitszimmer der Neuköllner Oper und erzählt von den spannenden Stationen ihres noch jungen Lebens: Wie sie in einer kunstinteressierten Familie aufwuchs, mit fünf Jahren Klavierunterricht bekam und mit sieben erste Kompositionen schrieb. Wie sie als Privatschülerin des aserbaidschanischen Komponisten Arif Melikov mit 11 ein Auslandsstipendium erhielt, das sie nach Deutschland führte. Denn der einzige Ort, wo sie in diesem Alter Komposition und Klavier studieren durfte, war die Hochschule für Musik "Hanns Eisler". So kam sie 1996 mit ihrer Mutter, die dafür ihren Beruf als Gymnasiallehrerin aufgab, nach Berlin.

"Es ist ein völlig anderes Land, völlig andere Konstruktion. Damals war das Ost-West-Verhältnis noch viel mehr zu spüren als jetzt und plötzlich kommt man von einer lebendigen Stadt Ankara in eine graue Stadt – das war so der erste Eindruck – Bernauer Straße, Mitte und so weiter; es war ein Schock für uns alle."

Ihren jüngeren Bruder, der heute ebenfalls an der Eisler-Hochschule Geige und Gesang studiert, holten sie wenig später nach. Sinems Vater blieb als Finanzrichter in Ankara, um für den Unterhalt der Familie zu sorgen. Seitdem führen die Altans ein Familienleben zwischen zwei Welten.

Die Familie zog in eine kleine Wohnung in Berlin-Wedding. Altan besuchte parallel zu ihrer Hochschulausbildung das Musikgymnasium Carl-Philipp-Emanuel Bach und begann, mit Schulkameraden ihre Musik aufzuführen.
Sie gewann mehrere erste Preise bei "Jugend musiziert" und "Jugend komponiert". 2002 setzte sie ihr Kompositionsstudium an der Hochschule der Künste fort. Keine ganz einfache Zeit, sagt Sinem:

"Mein mittlerweile verstorbener Professor Friedrich Goldmann - bei ihm hab ich studiert -hat immer gesagt: Sinem, Sie haben große Schwierigkeiten. Sie haben drei Sachen, die sehr auffällig sind: Sie sind jung, Sie sind eine Frau und Sie sind eine Türkin. Sie müssen also aufpassen, dass Sie nicht ihre Kunst, ihr Schaffen dadurch belästigen. Sie müssen eigentlich noch qualitativer sein, damit diese ganzen Einflüsse ja gar nicht mehr den Vordergrund bedecken. Und genau damit hab ich eigentlich Tag täglich zu tun."

Später begann Sinem, an Musikschulen zu unterrichten und entwickelte mit Freunden türkisch-deutsche Musikprojekte.

In ihren Kompositionen beschäftigt sich Sinem, die sich heute in Berlin zuhause fühlt, immer auch mit ihrer kulturellen Herkunft. So auch in ihrem aktuellen Singspiel an der Neuköllner Oper - einer Mischung aus Gesang, Tanz und Sprechtheater: "Tango Türk".

"Der große Wunsch – das hab ich zum Beispiel immer bei meinen Großeltern gehört: Türkische Tangos. Das ist eine Musik gewesen, die mich so geprägt hat, dass ich auch immer gedacht habe: wo ist diese Zeit, wie hat es überhaupt angefangen, wie kann Tango eigentlich in die türkische Musik kommen und wie wurde sie überhaupt beeinflusst?"

Gemeinsam mit dem deutsch-türkischen Schauspieler, Sänger und Autor Kerem Can entwickelte Sinem Altan eine "Geschichte zwischen Berlin und Istanbul" – so der Untertitel des Singspiels: Der junge Cihan ist gerade dabei, sich eine Karriere in einem internationalen Netzwerk aufzubauen, als er von dem plötzlichen Tod seiner Mutter in der Türkei erfährt. Er kehrt zu seiner Familie nach Istanbul zurück. Dort muss er sich wider Willen mit seiner Herkunft auseinandersetzen.

Letzte Probe vor der Aufführung: Mit geröteten Wangen sitzt Sinem Altan neben ihrem achtköpfigen Ensemble am Klavier. Die linke Hand hämmert auf die Tasten, die rechte gibt den Einsatz.

Was sie an dieser Komposition gereizt habe, sei der Zusammenklang von türkischen Volksinstrumenten wie Balama und Kniegeige mit klassischen europäischen Instrumenten wie Geige, Cello und Bass, sagt Sinem. Dazu die Mischung verschiedener musikalischer Traditionen aus Orient und Okzident.

Sinem Altan geht in ihrer Musik völlig auf. Für andere Aktivitäten hat sie wenig Zeit. Freundschaften allerdings sind ihr sehr wichtig. Mit ihrer besten Freundin, einer türkischen Sängerin, lebt sie seit zwei Jahren zusammen in Neukölln in einer WG. Ihren Traumprinzen hat sie jedoch noch nicht gefunden.

"Der Schwerpunkt lag bis jetzt wirklich definitiv an diesem Kreieren und Arbeiten. Als Komponist ist man ja auch irgendwo so allein, man schließt sich ein und ist dann versunken in dieser Welt ... wenn diese Phase zu Ende ist, dann geht es auch sofort rund. Deswegen bin ich ja auch so eine Art Stadt-Komponistin, aber trotzdem brauch ich für mich diese Einsamkeit und jemanden, der mit mir auch diese Einsamkeit teilen kann."

Service:
Wer Sinem Altan live erleben will: "Tango Türk" ist noch bis zum 7. November zu sehen in der Neuköllner Oper, Karl-Marx-Strasse 131 in Berlin-Neukölln.