Die grüne Hauptstadt

Wie Berlin zu seinen Wäldern kam

07:57 Minuten
Ein älteres Paar geht mit seinen Hunden im Grunewald in Berlin spazieren.
Hauptstadt mit viel Grünflächen: Der Grunewald gehört zu den bekanntesten Wäldern Berlins und ist ein beliebter Ort zur Erholung. © dpa / picture alliance / Wolfram Steinberg
Von Dieter Nürnberger · 16.07.2020
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Großstadt und Wald sind gewöhnlich Gegensätze. Doch Berlin hat so viele Grünflächen, dass darauf noch mal eine Großstadt Platz haben würde. Dieter Nürnberger erklärt in seinem Waldspaziergang, wie es vor über 100 Jahren dazu kam.
Wer am S-Bahnhof Grunewald aussteigt, ist fast schon im Wald. Allerdings gilt es, eine lautstarke Hürde zu nehmen, denn die Stadtautobahn durchkreuzt die Idylle. Doch alle paar Meter hinein in den Wald wird es ruhiger. Vogelstimmen und das Rauschen der Bäume vermischen sich.
Nach ein paar hundert Metern ist man wirklich mitten im Wald. Berlin ist eine der waldreichsten Städte Europas, sagt Angela von Lührte. Die 68-Jährige hat bis zu ihrer Pensionierung als Biologin gearbeitet. Sie hat die Geschichte des Berliner Waldes erforscht, weshalb sie sehr schnell zum Stichwort Dauerwaldvertrag kommt. Der wurde bereits 1915 geschlossen.
Wir haben es uns auf zwei Baumstümpfen gemütlich gemacht. Ohne den Dauerwaldvertrag würden wir heute wohl nicht hier sitzen, so die Expertin:
"Es ist eine so reizvolle Lage. Das wäre heute alles bebaut mit wunderschönen Villen, so wie wir das auf der anderen Seite sehen."
Es seien damals sogar teilweise künstliche Seen für die Villenkolonie angelegt worden. Damit der Anreiz, in dieser Landschaft zu wohnen, noch größer sei: "Das hätte man hier natürlich genauso gestalten können."

Unterschriften für den Wald

Groß-Berlin mit seinen heutigen Dimensionen gab es noch gar nicht, weshalb das Vertragswerk zwischen einem Zweckverband und dem preußischen Forstfiskus unterzeichnet wurde. 10.000 Hektar Wald für 50 Millionen Goldmark.
Eine Art Bürgerbewegung setzte der Spekulation mit den Waldflächen ein Ende: "Es gab damals schon so eine Unterschriftenaktion zur Rettung des Waldes. Dann wurde das mehr und mehr", erklärt von Lührte.
Der preußische Staat als Besitzer dieses Waldes habe keinen Willen gezeigt, das zu stoppen. "Er hat einfach Geld damit gemacht für die Staatskasse." Dann habe es ebendiese Verbände gegeben, die sich engagiert haben: von den Gewerkschaften über die Krankenkasse, von den Bodenreformern bis zu den Waldschützern.
"Die haben zusammen diese Waldschlächterei angeprangert. Es ging damals nicht nur um den Wald, sondern auch um die Wohnverhältnisse und wie viel Grün wir in der Stadt haben."

Erholung für die Berliner

Rund 29.000 Hektar Waldfläche hat Berlin heute. Das entspricht mehr als 40.000 Fußballfeldern oder einer Fläche von der Größe Dortmunds.
Was im Westen der Stadt der Grunewald ist im Osten der Köpenicker Forst. Hier liegt auch das Landesforstamt. Elmar Lakenberg ist als Leiter quasi der oberste Förster in Berlin.
Ein paar Schritte aus dem Büro, Lakenberg braucht nur noch eine kleine Metallpforte aufzuschließen, schon stehen wir mitten im Wald. Ein windiger Tag.
Der Dauerwaldvertrag, der seit mehr als 100 Jahren Bestand hat, sei wohl der wichtigste Meilenstein für die Verteidigung des waldreichen Berlins gewesen, findet auch Lakenberg. Die Probleme damals ähneln durchaus denen von heute:
"Es ist bis heute umkämpft, wie man Eingriffe in den Wald ausgleicht." Denn die Bevölkerung wachse derzeit wieder recht stark. Die Freiflächen, auf denen man bauen kann, würden knapp.
"Natürlich versuchen wir, die Waldflächen zu verteidigen. Weil wir sagen, und das haben jetzt viele auch während der Coronakrise gemerkt, dass diese Flächen wertvoll sind: Man kann rausgehen, man kann tief durchatmen."

Überwiegend arme Böden

Lakenberg ist 64: Grauer gestutzter Bart, er trägt ein dunkles Poloshirt und eine grün-graue Basecap der Berliner Forstverwaltung.
"Wir haben überwiegend arme Böden." Im Westteil der Stadt seien die nach dem Zweiten Weltkrieg, als der Wald zum großen Teil abgeholzt war, mit Kiefern wieder aufgeforstet worden.
Das sei auf diesen großen Freiflächen das Einfachste gewesen, denn anderes Saatgut habe es damals nicht gegeben. "Wir sind jetzt intensiv dabei, das in Mischwälder umzuwandeln."
Was dem Klimawandel geschuldet ist. Die Böden werden immer trockener. Nicht nur in Berlin auch im Brandenburger Umland dominieren Nadelgehölze wie die Kiefer.
"Ein Klimawandel in dieser Art, in dieser Geschwindigkeit, gab es auch noch nicht. Die Buche war eine Zeit lang empfohlen. Wir arbeiten hier mit den heimischen Baumarten, wir probieren keine neuen aus. Die wichtigste und beste Risikovorsorge ist es eigentlich, möglichst viele Baumarten zu mischen. Weil dann immer ein Waldgerüst überlebt, welches sich weiterentwickeln kann."
Ideen wie diese sind inzwischen auch in die "Charta für das Berliner Stadtgrün" mit eingeflossen. Ein kürzlich verabschiedetes Programm, das im Grunde die Fortschreibung des einstigen Dauerwaldvertrages von 1915 ist. Eine Selbstverpflichtung des Berliner Senats für den Erhalt des Stadtgrüns und damit nicht nur der Wälder, sondern auch der vielen innerstädtischen Parkanlagen oder auch Kleingartenkolonien.
Waldexpertin von Lührte hat für die Charta gekämpft. Immerhin eine gute Willenserklärung, sagt sie. Doch gab es auch in der jüngsten Vergangenheit ab und an Sündenfälle.
"Das hat man damals auf dem Teufelsberg gesehen, denn man kann auch Flächen aus dem Landschaftsschutz wieder rausnehmen. Man kann Flächennutzungspläne ändern. Also auch Planungsrecht ist änderbar. Das sind alles politische Entscheidungen auf denen so ein Schutz dann auch beruht."

Umweltsiegel für die Berliner Wälder

Seit ein paar Jahren sind die Berliner Wälder auch durch zwei Umweltsiegel zertifiziert. So sollen zehn Prozent der freien Flächen gar nicht mehr bewirtschaftet und eine natürliche Waldentwicklung gefördert werden.
Das sind auch Einschränkungen für den obersten Förster der Stadt. Doch Lakenberg bleibt gelassen. Bedingt durch Trockenheit und auch Sturmschäden könne in den Berliner Wäldern derzeit gar nicht so viel Holz geschlagen werden, wie erlaubt sei.
"Das sind etwa 100.000 bis 120.000 Kubikmeter im Jahr. Derzeit schlagen wir viel weniger, weil die Holzpreise verfallen sind. Wir schlagen nur da, wo Verkehrssicherungsmaßnahmen stattfinden müssen und auch, wo wir Licht an den Boden bringen müssen, weil wir da junge Laubbäume nachziehen wollen. "

Vermächtnis an die nächste Generation

Berlin soll eine der waldreichsten Städte Europas bleiben, da sind sich Lakenberg und von Lührte einig. Doch dazu braucht es den Wandel und Umbau des Waldes. Widerstandsfähiger und nachhaltiger muss er werden. Elmar Lakenberg wird im Herbst in den Ruhestand gehen.
"Es ist anstrengend, für fast vier Millionen Menschen etwas zu erhalten und auch täglich darum zu kämpfen. Jede Förstergeneration hat etwas als Vermächtnis hinterlassen, was man dann weiterentwickelt. Wo man sagen kann, das bedeutet Lebensqualität."
Und auch von Lührte will sich weiterhin für den Naturschutz engagieren. Gerade in einer Großstadt sei der Wald doch etwas ganz Besonders:
"Ich habe mich schon als Kind gern in den Wald gelegt und einfach den Bäumen beim Rauschen zugeguckt. Heute kann ich leider nicht mehr so ganz unbedarft durch den Wald gehen, weil ich dann immer die Probleme sehe. Aber ich genieße es immer noch und würde es für mich einfach nur als 'Natur erleben' bezeichnen."
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