"Die größte Reform seines Pontifikats ist der Rücktritt"
Der Vatikan habe unter Joseph Ratzinger ein "Pontifikat der Stagnation" erlebt, meint der Journalist Marco Politi. Er könne sich vorstellen, dass der neue Papst jünger ist, "sehr gut die Maschinerie der Kirche kennt" - und dass der Rücktritt vom Amt keine Ausnahme bleiben wird.
Philipp Gessler: Marco Politi war lange Jahre vaticanista, der Kirchenexperte von "La Repubblica", eine der führenden Tageszeitungen Italiens. Im vergangenen Jahr hat der Journalist mit deutschen Wurzeln auf Deutsch das sehr lesenswerte Buch "Benedikt. Krise eines Pontifikats" herausgegeben. Kaum jemand hat Joseph Ratzinger in Rom viele Jahre lang so intensiv journalistisch begleitet wie Politi. Meine erste Frage an ihn war, ob es einen klaren Favoriten für die Nachfolge von Papst Benedikt XVI. gibt.
Marco Politi: Nein, diesmal ist die Situation völlig anders. Im Jahre 2005 gab es tatsächlich eine Gruppe von spanischen und lateinamerikanischen Kardinälen, auch mit anderen Verbündeten sozusagen, die fest eine Lobbyarbeit für Kardinal Ratzinger gemacht haben, und in dem Moment war er auch die einzige große Persönlichkeit, auch auf internationalem Niveau, denn sein Gegenspieler, Kardinal Martini, der sehr berühmt war, war aber leider krank, hatte Parkinson. Und es war nicht möglich, dass man in der katholischen Kirche zwei Päpste hintereinander mit Parkinson hatte. So war die Position von Ratzinger absolut stark.
In diesem Moment ist die Situation sehr konfus und auch sehr zersplittert. Es gibt viele Kandidaten, den Kandidaten Angelo Scola in Italien, der Kanadier Marc Ouellet aus Kanada, der aber in Rom in der Kurie Präfekt der Kongregation der Bischöfe ist. Es gibt ein paar, mehrere Kandidaten aus Südamerika, und dann, wie immer, gibt es Outsider, einer könnte sein der Kardinal von Boston, O'Malley. Ein anderer könnte auch der ungarische Kardinal Erdö sein, der auch Präsident des Rates der katholischen Bischöfe Europas ist. Also, es gibt bis jetzt kein klares, sagen wir so, Paket der Stimmen für einen starken Kandidaten.
Gessler: Die europäischen Kardinäle aber haben immer noch etwa die Hälfte der Wähler im Konklave. Glauben Sie, dass es trotzdem ein Nichteuropäer werden könnte?
Politi: Ja, man muss sagen, dass die Situation nicht sehr gut balanciert ist. Das ist auch ein Produkt der Entscheidungen von Ratzinger, der doch den Europäern die Mehrheit im Konklave gegeben hat. Und die Italiener sind absolut überwertet – es gibt 29 italienische Kardinäle, die in die Wahl kommen …
Gessler: Von 118 ungefähr …
Politi: … von 117. Und in Lateinamerika gibt es nur 14 Kardinäle. Also da müsste Lateinamerika mindestens dreimal oder viermal so viel haben. Wenn man von der Dritten Welt spricht, glaube ich nicht, dass die Zeit gekommen ist, einen asiatischen oder einen afrikanischen Kardinal als Papst zu haben. Auch, weil man nach der Regierungszeit von Ratzinger, die mit so vielen Problemen beladen war, gerade weil er ein Theoretiker war, ein Intellektueller, und eigentlich nicht die Regierungskunst konnte und auch nicht wollte, will man ganz bestimmt einen Mann, der sehr gut die Kurie kennt, und auf jeden Fall, der sehr gut die Maschinerie der Kirche kennt.
Gessler: Wäre das denn überhaupt von Belang, wenn es ein Nichteuropäer wäre?
Politi: Ja, ein Nichteuropäer hat im Großen und Ganzen mit kleinen Ausnahmen nicht eine große Erfahrung mit dem Leben der Kurie. Natürlich gibt es in der Kurie auch jetzt afrikanische Kardinäle, Kardinal Turkson oder Kardinal Sarr zum Beispiel. Und vor allem sind doch eigentlich die afrikanischen Kardinäle, so auch wie die asiatischen Kardinäle, ein bisschen am Rande des Problems der großen Krise, die das Christentum in der säkularisierten Welt hat. Deswegen denkt man, dass möglicherweise das Konklave sich entscheiden könnte, wenn es nicht ein Italiener ist, die Internationalisation des Papsttums weiterzuentwickeln. Und deswegen könnte man vielleicht einen nordamerikanischen oder einen südamerikanischen Papst haben. Aber es ist noch alles sehr ungewiss.
Gessler: Und ein Papst aus dem Süden, würde das die Kirche verändern?
Politi: Ja, ein Papst aus dem Süden würde ganz bestimmt noch stärker das soziale Element der katholischen Kirche unterstreichen. Papst Ratzinger in seinen Enzykliken, vor allem in seiner dritten Enzyklika, "Caritas in veritate", hat ja sehr viel von dem sozialen Engagement der Kirche gesprochen und von der Notwendigkeit, dass sozusagen der Dialog zwischen Mensch und Gott auch horizontal ein Dialog und eine Solidarität von Mensch zu Mensch zusammen vereint. Und natürlich, ein Papst aus der Dritten Welt würde, da sich das Christentum, da sich auch die katholische Kirche viel schneller in der Dritten Welt entwickelt, würde natürlich sehr populär sein.
Gessler: Welche Aufgabe – Sie haben das ja angedeutet – ist eigentlich für die Kardinäle in Bezug auf die Kirche am wichtigsten und welcher Kandidat hätte für diese Aufgabe die richtige Kompetenz?
Politi: Ja, einerseits gibt es Kandidaten wie zum Beispiel Kardinal Scola, Kardinal Marc Ouellet. Marc Ouellet ist ein sehr starker Kandidat. Er ist Kanadier, er arbeitet in der Kurie, eben als Präfekt der Bischofskongregation, aber er hat eine seelsorgerische Erfahrung als Erzbischof von Quebec, und dazu hat er sehr oft, in der Vergangenheit mehrmals in Südamerika gearbeitet. Deswegen kennt er auch gut die südamerikanische Situation, die Situation der Dritten Welt. Und als Chef der Bischofskongregation kennt er auch sehr gut die Probleme von den Diözesen in der ganzen Welt. Also das ist zum Beispiel ein Mann, der ganz bestimmt weiß, wie man das Schiff Petri steuert. Aber dasselbe kann man auch von Kardinal Scola sagen zum Beispiel.
Aber das wirkliche Problem ist, dass die katholische Kirche heute vor großen Entscheidungen steht über Probleme, die in den letzten Jahrzehnten auch schon in der Zeit Wojtylas nicht angepackt worden sind. Also das Problem der Krise der Priester, der große Priestermangel, in der Ersten Welt, aber auch in der Dritten Welt. Das Problem der Rolle der Frauen. Das Problem des Verhaltens der Kirche zu dem Problem der Sexualität, angefangen von den Scheidungen bis zu den homosexuellen Partnerschaften. Das Problem der Ökumene und das Problem der Kollegialität. Kollegialität bedeutet, dass die Bischöfe, wie es das Zweite Vatikanische Konzil gewollt hat, in den Entscheidungsprozess und in den Regierungsprozess des Papstes mit einbegriffen werden müssen.
Und über diese Probleme wissen wir sehr wenig, was in den Köpfen von den Kardinälen vorgeht. Auch von den sogenannten papabili, denn in den letzten Zeiten gab es einen sehr großen Konformismus in den öffentlichen Reden. Keiner sagte etwas, was anders war als das, was der Papst sagte. Und da wissen wir nicht, wie reformbereit sind diese papabili? Wird in dem Konklave …
Gessler: Wäre die Zeit reif für einen schwarzen Papst?
Politi: Ja, das hat man schon im Jahre 2005 gesagt. Kardinal Ratzinger sagte einmal, vielleicht ist die Kirche noch nicht bereit. Dann hat er später gesagt, ja, es gibt ausgezeichnete afrikanische Kardinäle, die Papst werden könnten. Ich glaube, die Katholiken würden sehr gut einen afrikanischen Papst empfangen. Die Römer würden absolut enthusiastisch sein. Ich glaube aber noch nicht, dass die Zeit gekommen ist sozusagen, dass man im Konklave diese Entscheidung trifft.
Gessler: Ein Deutscher hat wahrscheinlich keine Chancen mehr, oder?
Politi: Ich würde sagen, nein. Obwohl als deutschsprachiger Kardinal Schönborn eine sehr wichtige Personalität im Konklave sein wird und auch eine wichtige Rolle spielen wird, denn man weiß, dass er ein vorsichtiger Reformer sein könnte.
Gessler: Die Italiener haben, das haben Sie ja angedeutet, ganz gute Chancen. Dann würde man wieder auf ein altes Muster zurückfallen. Also ist man mit Italienern gar nicht so schlecht, wenn man auf die tippt?
Politi: Ja, die Italiener, sozusagen, kommen aus einer Tradition, gerade weil Italien ein kleines Land war und vor der Vereinigung ein zersplittertes Land war, also keine Großmacht. Deswegen waren die Italiener eigentlich als Diplomaten, als Kenner der Kirchenmechanismen immer sehr gute Vermittler zwischen den verschiedenen Strömungen in der Kirche. Sie haben sozusagen die Kunst des Regierens von klein auf als Kleriker gelernt. Aber man weiß nicht, ob die anderen, ob die ausländischen Kardinäle, wie wir in Italien sagen, damit einverstanden sind, dass heute wieder ein Italiener kommt. Denn die ganze Vatileaks-Affäre hat eigentlich ziemlich viel die ausländischen Kardinäle irritiert, denn in der Vatileaks-Affäre waren ja vor allem italienische Kardinäle einer gegen den anderen in Machtkämpfen, in Konflikten, und das hat kein gutes Bild gegeben.
Gessler: Stimmen eigentlich die Landesgruppen immer geschlossen ab? Also ist zum Beispiel zu erwarten, dass die Deutschen geschlossen abstimmen für einen Kandidaten?
Politi: Nein. Überhaupt nicht. Die Landesgruppen sind dann auch sehr zerstritten, könnte man sagen. Auf jeden Fall, auf der letzten Wahl war es ganz klar, dass es Kardinäle gab wie zum Beispiel Meisner, die sehr pro Ratzinger waren, und Kardinäle, die, wie zum Beispiel Lehmann, die gerne einen reformfreudigen Kandidaten gesucht hätten, wenn er dagewesen wäre. Leider war eben Kardinal Martini vom Spiel ausgeschlossen. Dasselbe passiert natürlich auch in Italien. In Italien gibt es eine starke, eine überstarke Gruppe von – nationale Fraktion, sagen wir. Aber auch die Italiener haben verschiedene Ideen. Es gibt zwar eine Gruppe von Kardinälen, die sehr eng mit Kardinal Bertone verbunden sind, aber Kardinal Bertone, der sehr viel als Staatssekretär kritisiert wurde, hat keine Chance, papabile zu sein. Aber ganz bestimmt wird er eine wichtige Rolle spielen, denn er hat um sich eine Gruppe von Kardinälen, die hinter seiner Linie stehen.
Gessler: Vor Kurzem hat Kardinal Woelki in Berlin gesagt, dass er davon ausgeht, dass der neue Papst so um die 60 Jahre, vielleicht ein bisschen älter sein sollte. Was halten Sie von solchen Altersspekulationen?
Politi: Also das Abwägen von dem Alter wird natürlich wichtig. Als man Ratzinger gewählt hatte, wollte man extra nicht einen jungen Papst, denn man wollte nicht wieder ein zu langes Pontifikat wie das von Johannes Paul II., der ja mit 58 Jahren gewählt worden war. Und man dachte eigentlich, man könnte sagen, auch ein bisschen zynisch, das Pontifikat eines Mannes, der schon 78 Jahre ist, wird nicht so lange dauern. Nun hat die ganze Geschichte eine andere Wende genommen. Es ist auch sehr wegweisend, dass Benedikt sich zurückgezogen hat, denn so zeigt er auch, dass das Pontifikat auch ein Ende haben kann, wie es mit den Bischöfen ist, die mit 75 Jahren ausscheiden aus dem Amt. Und so könnte auch ein Papst später um die 80 oder nach den 80 zurücktreten in Zukunft, automatisch sozusagen, obwohl freiwillig. Aber diesmal sucht man sozusagen die goldene Mitte, also nicht zu jung, aber nicht zu alt. Ich würde sagen, dass Kardinal Woelki es gut beschrieben hat. Er müsste ein 60er sein wahrscheinlich. Wenigstens denken so ziemlich viele Kardinäle.
Gessler: Glauben Sie denn, dass der Rücktritt von Papst Benedikt am Ende das Papsttum etwas entzaubert hat?
Politi: Ja, die konservativen Kardinäle sind da irgendwie ganz terrorisiert von dieser Perspektive. Sie haben schon angefangen zu sagen, das ist, das kann zu einer Krankheit werden, das kann den zukünftigen Papst schwächen, so kann er unter Druck gesetzt werden. Aber die Mehrheit der Leute, auch der einfachen Gläubigen, haben die Position Ratzingers verstanden. Der Petersplatz ist fast leer, also wie an einem ganz normalen Tag, wenn nur die Touristen kommen. Also gibt es sozusagen keine psychologische Panik nach dieser Entscheidung. Und ich glaube, dass in der modernen Welt, wie das der Papst auch gesagt hat, dass es nötig ist, dass dann ein Papst nicht eine alte Ikone wird, hinter dessen Rücken dann andere regieren. Denn das ist viel schlimmer, als wenn ein Papst in den 80ern sich zurückzieht und man in offener, transparenter Weise einen Nachfolger wählt.
Gessler: Wird denn Papst Benedikt nur als ein Übergangspapst in die Geschichte eingehen?
Politi: Ja, er hätte Papst einer Transition, eines Übergangs werden sollen, und Übergangspäpste können auch eine sehr wichtige Rolle spielen, und auch Reformen machen. Unglücklicherweise ist sein Pontifikat ein Pontifikat voller Krisen gewesen. Und ein Pontifikat, in dem doch ans Licht gekommen ist - auch die Unfähigkeit des Denkers und des Intellektuellen Ratzingers, eine Regierungsfigur zu sein. Und so ist es eher ein Pontifikat der Stagnation geworden. Eigentlich die größte Reform seines Pontifikats ist eben der Rücktritt.
Gessler: Haben Sie Mitleid mit ihm jetzt?
Politi: Ich habe große Achtung für ihn. Es ist nicht Mitleid. Ich habe ihn immer als eine große Persönlichkeit gefunden. Was er schreibt, was er sagt, ist faszinierend. Es ist kein Zufall, dass er, jedes Mal, wenn er die europäischen Eliten getroffen hat, in Paris, in Berlin, in London, in Prag, hat er sie immer zu sich hingerissen mit seinen Reden, mit seinen Analysen über Christentum, Kultur, Freiheit, Demokratie. Ich finde, er ist eine Persönlichkeit, die versucht, den Gläubigen beizubringen, dass das Christentum wirklich gelebt sein soll. Es soll kein Lippenbekenntnis sein, es soll kein Routine-Christentum sein. Es soll auch mit Freude gelebt werden. Und ich finde, dass er im besten Sinne in diesen Jahren, in den wichtigen Lebensentscheidungen von ihm einen deutschen Charakter gezeigt hat. Also er hat aus Pflichtgefühl das Papstamt angenommen. Er wollte ja nicht. Er hat ja gesagt, es war für ihn wie ein Fallbeil. Aber er hat es aus Pflichtgefühl angenommen und mit großer Ehrlichkeit, sozusagen aus Pflichtgefühl jetzt der Kirche gegenüber tritt er zurück. Er hat seine Größe.
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Marco Politi: Nein, diesmal ist die Situation völlig anders. Im Jahre 2005 gab es tatsächlich eine Gruppe von spanischen und lateinamerikanischen Kardinälen, auch mit anderen Verbündeten sozusagen, die fest eine Lobbyarbeit für Kardinal Ratzinger gemacht haben, und in dem Moment war er auch die einzige große Persönlichkeit, auch auf internationalem Niveau, denn sein Gegenspieler, Kardinal Martini, der sehr berühmt war, war aber leider krank, hatte Parkinson. Und es war nicht möglich, dass man in der katholischen Kirche zwei Päpste hintereinander mit Parkinson hatte. So war die Position von Ratzinger absolut stark.
In diesem Moment ist die Situation sehr konfus und auch sehr zersplittert. Es gibt viele Kandidaten, den Kandidaten Angelo Scola in Italien, der Kanadier Marc Ouellet aus Kanada, der aber in Rom in der Kurie Präfekt der Kongregation der Bischöfe ist. Es gibt ein paar, mehrere Kandidaten aus Südamerika, und dann, wie immer, gibt es Outsider, einer könnte sein der Kardinal von Boston, O'Malley. Ein anderer könnte auch der ungarische Kardinal Erdö sein, der auch Präsident des Rates der katholischen Bischöfe Europas ist. Also, es gibt bis jetzt kein klares, sagen wir so, Paket der Stimmen für einen starken Kandidaten.
Gessler: Die europäischen Kardinäle aber haben immer noch etwa die Hälfte der Wähler im Konklave. Glauben Sie, dass es trotzdem ein Nichteuropäer werden könnte?
Politi: Ja, man muss sagen, dass die Situation nicht sehr gut balanciert ist. Das ist auch ein Produkt der Entscheidungen von Ratzinger, der doch den Europäern die Mehrheit im Konklave gegeben hat. Und die Italiener sind absolut überwertet – es gibt 29 italienische Kardinäle, die in die Wahl kommen …
Gessler: Von 118 ungefähr …
Politi: … von 117. Und in Lateinamerika gibt es nur 14 Kardinäle. Also da müsste Lateinamerika mindestens dreimal oder viermal so viel haben. Wenn man von der Dritten Welt spricht, glaube ich nicht, dass die Zeit gekommen ist, einen asiatischen oder einen afrikanischen Kardinal als Papst zu haben. Auch, weil man nach der Regierungszeit von Ratzinger, die mit so vielen Problemen beladen war, gerade weil er ein Theoretiker war, ein Intellektueller, und eigentlich nicht die Regierungskunst konnte und auch nicht wollte, will man ganz bestimmt einen Mann, der sehr gut die Kurie kennt, und auf jeden Fall, der sehr gut die Maschinerie der Kirche kennt.
Gessler: Wäre das denn überhaupt von Belang, wenn es ein Nichteuropäer wäre?
Politi: Ja, ein Nichteuropäer hat im Großen und Ganzen mit kleinen Ausnahmen nicht eine große Erfahrung mit dem Leben der Kurie. Natürlich gibt es in der Kurie auch jetzt afrikanische Kardinäle, Kardinal Turkson oder Kardinal Sarr zum Beispiel. Und vor allem sind doch eigentlich die afrikanischen Kardinäle, so auch wie die asiatischen Kardinäle, ein bisschen am Rande des Problems der großen Krise, die das Christentum in der säkularisierten Welt hat. Deswegen denkt man, dass möglicherweise das Konklave sich entscheiden könnte, wenn es nicht ein Italiener ist, die Internationalisation des Papsttums weiterzuentwickeln. Und deswegen könnte man vielleicht einen nordamerikanischen oder einen südamerikanischen Papst haben. Aber es ist noch alles sehr ungewiss.
Gessler: Und ein Papst aus dem Süden, würde das die Kirche verändern?
Politi: Ja, ein Papst aus dem Süden würde ganz bestimmt noch stärker das soziale Element der katholischen Kirche unterstreichen. Papst Ratzinger in seinen Enzykliken, vor allem in seiner dritten Enzyklika, "Caritas in veritate", hat ja sehr viel von dem sozialen Engagement der Kirche gesprochen und von der Notwendigkeit, dass sozusagen der Dialog zwischen Mensch und Gott auch horizontal ein Dialog und eine Solidarität von Mensch zu Mensch zusammen vereint. Und natürlich, ein Papst aus der Dritten Welt würde, da sich das Christentum, da sich auch die katholische Kirche viel schneller in der Dritten Welt entwickelt, würde natürlich sehr populär sein.
Gessler: Welche Aufgabe – Sie haben das ja angedeutet – ist eigentlich für die Kardinäle in Bezug auf die Kirche am wichtigsten und welcher Kandidat hätte für diese Aufgabe die richtige Kompetenz?
Politi: Ja, einerseits gibt es Kandidaten wie zum Beispiel Kardinal Scola, Kardinal Marc Ouellet. Marc Ouellet ist ein sehr starker Kandidat. Er ist Kanadier, er arbeitet in der Kurie, eben als Präfekt der Bischofskongregation, aber er hat eine seelsorgerische Erfahrung als Erzbischof von Quebec, und dazu hat er sehr oft, in der Vergangenheit mehrmals in Südamerika gearbeitet. Deswegen kennt er auch gut die südamerikanische Situation, die Situation der Dritten Welt. Und als Chef der Bischofskongregation kennt er auch sehr gut die Probleme von den Diözesen in der ganzen Welt. Also das ist zum Beispiel ein Mann, der ganz bestimmt weiß, wie man das Schiff Petri steuert. Aber dasselbe kann man auch von Kardinal Scola sagen zum Beispiel.
Aber das wirkliche Problem ist, dass die katholische Kirche heute vor großen Entscheidungen steht über Probleme, die in den letzten Jahrzehnten auch schon in der Zeit Wojtylas nicht angepackt worden sind. Also das Problem der Krise der Priester, der große Priestermangel, in der Ersten Welt, aber auch in der Dritten Welt. Das Problem der Rolle der Frauen. Das Problem des Verhaltens der Kirche zu dem Problem der Sexualität, angefangen von den Scheidungen bis zu den homosexuellen Partnerschaften. Das Problem der Ökumene und das Problem der Kollegialität. Kollegialität bedeutet, dass die Bischöfe, wie es das Zweite Vatikanische Konzil gewollt hat, in den Entscheidungsprozess und in den Regierungsprozess des Papstes mit einbegriffen werden müssen.
Und über diese Probleme wissen wir sehr wenig, was in den Köpfen von den Kardinälen vorgeht. Auch von den sogenannten papabili, denn in den letzten Zeiten gab es einen sehr großen Konformismus in den öffentlichen Reden. Keiner sagte etwas, was anders war als das, was der Papst sagte. Und da wissen wir nicht, wie reformbereit sind diese papabili? Wird in dem Konklave …
Gessler: Wäre die Zeit reif für einen schwarzen Papst?
Politi: Ja, das hat man schon im Jahre 2005 gesagt. Kardinal Ratzinger sagte einmal, vielleicht ist die Kirche noch nicht bereit. Dann hat er später gesagt, ja, es gibt ausgezeichnete afrikanische Kardinäle, die Papst werden könnten. Ich glaube, die Katholiken würden sehr gut einen afrikanischen Papst empfangen. Die Römer würden absolut enthusiastisch sein. Ich glaube aber noch nicht, dass die Zeit gekommen ist sozusagen, dass man im Konklave diese Entscheidung trifft.
Gessler: Ein Deutscher hat wahrscheinlich keine Chancen mehr, oder?
Politi: Ich würde sagen, nein. Obwohl als deutschsprachiger Kardinal Schönborn eine sehr wichtige Personalität im Konklave sein wird und auch eine wichtige Rolle spielen wird, denn man weiß, dass er ein vorsichtiger Reformer sein könnte.
Gessler: Die Italiener haben, das haben Sie ja angedeutet, ganz gute Chancen. Dann würde man wieder auf ein altes Muster zurückfallen. Also ist man mit Italienern gar nicht so schlecht, wenn man auf die tippt?
Politi: Ja, die Italiener, sozusagen, kommen aus einer Tradition, gerade weil Italien ein kleines Land war und vor der Vereinigung ein zersplittertes Land war, also keine Großmacht. Deswegen waren die Italiener eigentlich als Diplomaten, als Kenner der Kirchenmechanismen immer sehr gute Vermittler zwischen den verschiedenen Strömungen in der Kirche. Sie haben sozusagen die Kunst des Regierens von klein auf als Kleriker gelernt. Aber man weiß nicht, ob die anderen, ob die ausländischen Kardinäle, wie wir in Italien sagen, damit einverstanden sind, dass heute wieder ein Italiener kommt. Denn die ganze Vatileaks-Affäre hat eigentlich ziemlich viel die ausländischen Kardinäle irritiert, denn in der Vatileaks-Affäre waren ja vor allem italienische Kardinäle einer gegen den anderen in Machtkämpfen, in Konflikten, und das hat kein gutes Bild gegeben.
Gessler: Stimmen eigentlich die Landesgruppen immer geschlossen ab? Also ist zum Beispiel zu erwarten, dass die Deutschen geschlossen abstimmen für einen Kandidaten?
Politi: Nein. Überhaupt nicht. Die Landesgruppen sind dann auch sehr zerstritten, könnte man sagen. Auf jeden Fall, auf der letzten Wahl war es ganz klar, dass es Kardinäle gab wie zum Beispiel Meisner, die sehr pro Ratzinger waren, und Kardinäle, die, wie zum Beispiel Lehmann, die gerne einen reformfreudigen Kandidaten gesucht hätten, wenn er dagewesen wäre. Leider war eben Kardinal Martini vom Spiel ausgeschlossen. Dasselbe passiert natürlich auch in Italien. In Italien gibt es eine starke, eine überstarke Gruppe von – nationale Fraktion, sagen wir. Aber auch die Italiener haben verschiedene Ideen. Es gibt zwar eine Gruppe von Kardinälen, die sehr eng mit Kardinal Bertone verbunden sind, aber Kardinal Bertone, der sehr viel als Staatssekretär kritisiert wurde, hat keine Chance, papabile zu sein. Aber ganz bestimmt wird er eine wichtige Rolle spielen, denn er hat um sich eine Gruppe von Kardinälen, die hinter seiner Linie stehen.
Gessler: Vor Kurzem hat Kardinal Woelki in Berlin gesagt, dass er davon ausgeht, dass der neue Papst so um die 60 Jahre, vielleicht ein bisschen älter sein sollte. Was halten Sie von solchen Altersspekulationen?
Politi: Also das Abwägen von dem Alter wird natürlich wichtig. Als man Ratzinger gewählt hatte, wollte man extra nicht einen jungen Papst, denn man wollte nicht wieder ein zu langes Pontifikat wie das von Johannes Paul II., der ja mit 58 Jahren gewählt worden war. Und man dachte eigentlich, man könnte sagen, auch ein bisschen zynisch, das Pontifikat eines Mannes, der schon 78 Jahre ist, wird nicht so lange dauern. Nun hat die ganze Geschichte eine andere Wende genommen. Es ist auch sehr wegweisend, dass Benedikt sich zurückgezogen hat, denn so zeigt er auch, dass das Pontifikat auch ein Ende haben kann, wie es mit den Bischöfen ist, die mit 75 Jahren ausscheiden aus dem Amt. Und so könnte auch ein Papst später um die 80 oder nach den 80 zurücktreten in Zukunft, automatisch sozusagen, obwohl freiwillig. Aber diesmal sucht man sozusagen die goldene Mitte, also nicht zu jung, aber nicht zu alt. Ich würde sagen, dass Kardinal Woelki es gut beschrieben hat. Er müsste ein 60er sein wahrscheinlich. Wenigstens denken so ziemlich viele Kardinäle.
Gessler: Glauben Sie denn, dass der Rücktritt von Papst Benedikt am Ende das Papsttum etwas entzaubert hat?
Politi: Ja, die konservativen Kardinäle sind da irgendwie ganz terrorisiert von dieser Perspektive. Sie haben schon angefangen zu sagen, das ist, das kann zu einer Krankheit werden, das kann den zukünftigen Papst schwächen, so kann er unter Druck gesetzt werden. Aber die Mehrheit der Leute, auch der einfachen Gläubigen, haben die Position Ratzingers verstanden. Der Petersplatz ist fast leer, also wie an einem ganz normalen Tag, wenn nur die Touristen kommen. Also gibt es sozusagen keine psychologische Panik nach dieser Entscheidung. Und ich glaube, dass in der modernen Welt, wie das der Papst auch gesagt hat, dass es nötig ist, dass dann ein Papst nicht eine alte Ikone wird, hinter dessen Rücken dann andere regieren. Denn das ist viel schlimmer, als wenn ein Papst in den 80ern sich zurückzieht und man in offener, transparenter Weise einen Nachfolger wählt.
Gessler: Wird denn Papst Benedikt nur als ein Übergangspapst in die Geschichte eingehen?
Politi: Ja, er hätte Papst einer Transition, eines Übergangs werden sollen, und Übergangspäpste können auch eine sehr wichtige Rolle spielen, und auch Reformen machen. Unglücklicherweise ist sein Pontifikat ein Pontifikat voller Krisen gewesen. Und ein Pontifikat, in dem doch ans Licht gekommen ist - auch die Unfähigkeit des Denkers und des Intellektuellen Ratzingers, eine Regierungsfigur zu sein. Und so ist es eher ein Pontifikat der Stagnation geworden. Eigentlich die größte Reform seines Pontifikats ist eben der Rücktritt.
Gessler: Haben Sie Mitleid mit ihm jetzt?
Politi: Ich habe große Achtung für ihn. Es ist nicht Mitleid. Ich habe ihn immer als eine große Persönlichkeit gefunden. Was er schreibt, was er sagt, ist faszinierend. Es ist kein Zufall, dass er, jedes Mal, wenn er die europäischen Eliten getroffen hat, in Paris, in Berlin, in London, in Prag, hat er sie immer zu sich hingerissen mit seinen Reden, mit seinen Analysen über Christentum, Kultur, Freiheit, Demokratie. Ich finde, er ist eine Persönlichkeit, die versucht, den Gläubigen beizubringen, dass das Christentum wirklich gelebt sein soll. Es soll kein Lippenbekenntnis sein, es soll kein Routine-Christentum sein. Es soll auch mit Freude gelebt werden. Und ich finde, dass er im besten Sinne in diesen Jahren, in den wichtigen Lebensentscheidungen von ihm einen deutschen Charakter gezeigt hat. Also er hat aus Pflichtgefühl das Papstamt angenommen. Er wollte ja nicht. Er hat ja gesagt, es war für ihn wie ein Fallbeil. Aber er hat es aus Pflichtgefühl angenommen und mit großer Ehrlichkeit, sozusagen aus Pflichtgefühl jetzt der Kirche gegenüber tritt er zurück. Er hat seine Größe.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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