Die größte Mülldeponie der Welt

Von Bernd Sobolla · 24.05.2011
Rio de Janeiro - das ist nicht nur Karneval und Copacabana, sondern auch "Jardim Gramacho", die größte Mülldeponie der Welt. Dort arbeiten sogenannte Catadores, die davon leben, verwertbare Materialien aus dem Müll zu suchen - der Film <papaya:link href="http://www.realfictionfilme.de/filme/waste-land/index.php" text="&quot;Waste Land&quot;" title="Filmhomepage &quot;Waste Land&quot;" target="_blank" /> porträtiert einige von ihnen und kommt nun in die deutschen Kinos.
Das Bild könnte nicht kontrastreicher sein: Zuerst sieht man lachende Strandbesucher an der Copacabana, dann die Wahrzeichen von Rio de Janeiro: der Zuckerhut, das Maracanã Stadion, die Christus-Statue. Und schließlich die Bilder vom Karneval. Die feiernden und tanzenden Menschen, werfen am Ende des Zuges ihre Kostüme und den Schmuck der Wagen in ein Müllfahrzeug. Das wiederum fährt nach Jardim Gramacho, der größten Mülldeponie der Welt. Dort wartet unter anderem der Künstler Vik Muniz auf der Suche nach Catadores, nach Müllsortierern, die er porträtieren will. Und die Filmemacherin Lucy Walker ist mir ihrer Kamera dabei.

Lucy Walker: "”Ich bin ein großer Fan von Vik Muniz und seiner Kunst, besonders sein Spiel mit Materialien und Größen haben es mir angetan. Als ich ihn einmal traf, haben wir darüber geredet, wie man wohl einen Film über seine Arbeit machen könnte, weil ich gerne eines seiner Projekte begleiten wollte. Dabei haben wir dann festgestellt, dass wir beide von Müll besessen sind.""

Der 50-jährige Vik Muniz, Kind einer Arbeiterfamilie, ist fasziniert davon, Bildende Kunst mit sozialen Aspekten zu verbinden. Er begann seine Karriere als Bildhauer, wechselte dann aber zur Fotografie. Meist schießt er Portraits mit seiner Kamera, vergrößert diese dann in seinem Studio und malt die Strukturen mit diversen Materialien nach, benutzt Zucker und Kaffeereste, Bindfäden und Schokoladensoße, kurz, Abfälle aller Art. Doch zunächst sucht Vik Muniz "Catadores", also Müllsortierer, die ihn faszinieren, wie die Abfallsammlerin Magna, die seit Jahren in Jardim Gramacho arbeitet.

"Wir stiegen in den Bus, und die Leute fingen an, ihre Nase zu rümpfen: ‚Oh, das ist ja ein Parfüm!’ Ich sagte dann: Entschuldigen Sie, aber wenn ich stinke, dann deshalb, weil ich im Müll gearbeitet habe. Aber das ist besser als Geldtaschen an der Copacabana zu stehlen. Ich finde es interessanter, ehrlicher und würdevoller. Ich stinke vielleicht, aber Zuhause werde ich duschen, und damit hat es sich."

Der Zuschauer wird überrascht mit wie viel Stolz, Energie, Spaß und Selbstbewusstsein sich die Catadores präsentieren: Zumbi ist der Intellektuelle der Deponie. Jedes Buch, das er findet, bringt er nach Hause, wo er eine Gemeinde-Bücherei organisiert.

Die 18-jährige Suelem hat zwei Kinder, die bei der Großmutter leben, und sie ist stolz darauf, dass sie im Gegensatz zu vielen anderen weder als Prostituierte arbeitet noch Drogen verkauft. Und Tiaõ, der Präsident der "Vereinigung der Sammler von Jardim Gramacho", setzt sich ein für die Verbesserung der Lebensumstände auf der Deponie. Muniz fotografiert sie und "malt" dann nach dieser Vorlage meterhohe Porträts aus Müllresten, bzw. er lässt sie von den Catadores selbst malen. Denn er möchte ihnen zeigen, dass die Kunst die Kraft hat, Denk- und Transformationsprozesse auszulösen.

Ebenso wichtig: Vic Muniz will die Kunstwerke verkaufen, um die "Vereinigung der Sammler von Jardim Gramacho" finanziell zu unterstützen. Und zwar will er sie dort verkaufen, wo sie viel Geld erzielen - auf einer Kunstauktion in London. Doch als es darum geht, ob die Catadores mit zur Auktion nach London fliegen sollen, äußert Viks Mitarbeiter Fabio Zweifel. Denn, so glaubt dieser, die Erfahrungen würden sie so aus ihrem Leben reißen. Und was passiert, wenn sie zurück auf die Deponie kommen? Vik Muniz setzt sich über diese Bedenken hinweg.

"Du sagst, dass das ihren Geist durcheinander bringen könnte. Na, vielleicht muss ihr Geist aufgerüttelt werden. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, ihnen Schaden zuzuführen, nachdem, was ihnen bereits widerfahren ist."

Der Film "Waste Land" schildert ein außergewöhnliches Kunstprojekt. Nicht nur aber auch, weil das Material der Kunstwerke aus dem Alltag der Porträtierten stammt und als unbrauchbar ausgesondert wurde. Wichtiger aber noch ist der Bewusstseinsprozess, der sich bei den Catadores abspielt. Denn mit den fertigen Bildern und der Reaktion in der Kunstwelt sehen sie ihr Leben in einem anderen Licht. Rund 300.000 Dollar erzielen die Bilder.

Geld, das in Projekte der Catadores fließt. Der Regisseurin Lucy Walker gelingt es, einerseits detailliert den künstlerischen Schaffensprozess zu zeigen und andererseits sieben außergewöhnliche Menschen darzustellen mit ihrem Mut, ihren Hoffnungen, Ängsten und ihrem sich verändernden Selbstverständnis.