Die Gräfin und der Lumpenball

20.05.2009
Peter Esterhazy verbindet in "Keine Kunst" sehr kunstvoll zwei Themen, die ihn schon in mehreren Büchern beschäftigt haben: Seine Mutter und Fußball. Gekonnt verknüpft er beide Bereiche, lässt seine Mutter zur euphorischen Fußball-Fanatikerin mutieren, indem er ihr ein amouröses Abenteuer mit Ferenc Puskas andichtet, dem Ballzauberer der ungarischen Fußballmannschaft von 1954 und erzählt beiläufig vom Leben im kommunistischen Ungarn in den 50er Jahren.
"Keine Kunst", schon in diesem Titel liegt eine Falle verborgen. Peter Esterhazy setzt in seinem neuen Buch gleich mit einem Parlando ein, das augenzwinkernd Scherze macht, das Ernste in etwas Leichtes überführt und eine Art Salongeplauder fingiert, hinter dem man sich im Notfall immer verstecken kann, sogar wenn das Ganze in Schriftform erscheint. So zu schreiben, der mündlichen Rede abgelauscht, schier allen Assoziationen freien Lauf lassend und nach allen Pointen hin offen, das wirkt obenhin so, als ob das alles gar keine Kunst wäre.

Doch gleichzeitig ist einem völlig klar, wie übrigens auch bei der listenreichen und wortspielvirtuosen Übersetzung von Terezia Mora, dass es sich hier sehr wohl um große Kunst handelt. Irgendwie ist das alles so wie beim Fußball: Staubt ein Stürmer im Sechzehnmeterraum einfach ab, glaubt jeder, der zuschaut, er hätte ihn genauso reingemacht. Weit gefehlt! Nur wer den Ernstfall kennt, weiß, um welche Herausforderung es sich hier handelt.

Peter Esterhazy schreibt in diesem Roman vor allem über seine Mutter. Das hat er schon öfter gemacht, seine Familiengeschichte ist immer wieder der Anlass gewesen, sie in der literarischen Anverwandlung neu zusammenzusetzen. Die Mutter, deren Sterben Esterhazy bereits 1985 beschrieben hat, taucht jetzt in einer überraschend neuen Form wieder auf, sie ist nämlich nicht ohne den Fußball, ohne die ungarische Wunderelf von 1954 und die damit verbundene ungarische Kulturgeschichte des glorreichen und schönen Scheiterns zu denken.

Esterhazy zaubert aus der Vergangenheit eine berückende Liebesgeschichte zwischen seiner Mutter und Ferenc Puskas hervor, dem herausragenden Ballzauberer dieser Zeit, und dass Puskas durch seinen Einfluss bei den höchsten Stellen die Familie Esterhazy 1951 vor der Deportation bewahrt, zeigt, das alles zwangsläufig auch ins Politisch-Existenzielle hinüberschillert.

Zwar nicht alles, aber vieles beginnt damit, dass Esterhazys Mutter hinter der Traktorfabrik ein paar junge Halbwüchsige bolzen sieht, unter ihnen Puskas und Bozsik, und sofort begreift, dass sie in diesem Moment "an einem Weltwunder" teilhat. Und da sie mit einem Lumpenball spielen, der ein bisschen zu weich ist, stellt sie ihnen in einer vor allem literarisch wirkenden abgründigen Verführungsszene ihre Seidenstrümpfe zum Ausstopfen des Balles zur Verfügung. Hier ist die Verschmelzung von Sinnlichkeit und Literatur im Bild des Fußballs vollendet dargestellt, und es ist immer wieder erstaunlich, wie dieser Blick auf die Welt selbst krudesten Stasi-Zeiten und brutalsten Karrierefunktionären standhält.

Wie beiläufig, in einem undurchschaubaren Wechsel von Hypotaxe und Parataxe, von Kurzpassspiel und dem raumöffnenden langen Pass, entsteht hier ein anspielungsreiches Abbild des Lebens. Glaubt man aber, den Autor durchschaut zu haben, kommt er sofort mit einer neuen Finte: er versteckt sich durch Literatur in der Literatur, und das ist genauso schwer nachzumachen wie der bekannte und doch immer wieder überrumpelnde Garrincha-Trick.

Besprochen von Helmut Böttiger

Peter Esterhazy: Keine Kunst
Roman. Aus dem Ungarischen von Térezia Mora
Berlin Verlag, Berlin 2009
252 Seiten, 22 Euro