Die globalisierte Frau

Rezensiert von Meike Feßmann · 18.09.2006
Jung, erfolgreich, weiblich, schön. Nicht so bei der österreichischen Autorin Evelyn Schlag. Ihre Protagonistin Toria ist 50, korpulent, eine gefeierte Pariser Stararchitektin. Und sie ist verliebt. In einen Wiener, der dem Zeitalter der Globalisierung eher ängstlich gegenüber steht. Kann das gut gehen?
Starke Frauen - das ist wirklich ein seltsames Phänomen - findet man in der Gegenwartsliteratur fast nur im trivialen Genre. Umso glücklicher ist man, wenn sich eine literarisch versierte Autorin, wie die 1952 geborene Österreicherin Evelyn Schlag, an eine Frauenfigur wagt, die energisch all das beansprucht, was für Männer selbstverständlich ist: Erfolg im Beruf und in der Liebe.

Die fünfzigjährige Toria Monti ist Architektin. Sie ist international renommiert. Man darf sie wohl mit Fug und Recht eine Stararchitektin nennen. Und sie verhält sich, wie man sich eben verhält, wenn man andauernd in Anspannung lebt und von der eigenen Bedeutung überzeugt ist. Sie ist ungeduldig, neigt zu Wutanfällen und starken Meinungen, sie nimmt Raum ein mit ihrer leicht korpulenten Statur, kleidet sich am liebsten schwarz und walzt alles nieder, was sich ihr in den Weg stellt.

Geboren ist sie in Alexandria, aufgewachsen in Mailand, nun lebt sie in Paris, baut Shopping-Malls und Industrieparks in Europa, ein Wissenschaftszentrum in den USA und ist gerade im Begriff, sich für das größte Bauprojekt Russlands zu bewerben: den Neubau des Mariinskij-Theaters in St. Petersburg. Bei einer Vor-Ort-Besichtigung geht sie auch in die Eremitage - einem der größten und bedeutendsten Kunstmuseen der Welt.

Dort trifft sie - vor einem Bild von Matisse - der Blick eines Mannes. Sie sprechen sich nicht an, aber der Blickwechsel hat Folgen. Eine Liebesgeschichte entwickelt sich, wie sie nur unter den Bedingungen der Globalisierung möglich ist. Und diesem Aspekt geht die Autorin auf interessante und unterhaltsame Weise nach.

Der Mann heißt Wolf Lewinter und ist ebenfalls Architekt - allerdings bei Weitem nicht so berühmt. Doch immerhin weiß er, dass er das Gesicht der Frau, deren Blick ihn getroffen hat, schon irgendwo auf einem Foto gesehen hat. Zunächst denkt er, es könne sich um die Sopranistin Cecilia Bartoli handeln, bis ihm Toria Monti einfällt. Ein Blick ins Internet genügt und schon weiß er, dass sie es war. Doch sich per Mail bei ihr zu melden, kommt ihm aufdringlich und "verehrerhaft" vor. So lebt jeder sein Leben weiter.

Evelyn Schlag führt die beiden Handlungsstränge zunächst parallel. Wir sehen Toria Monti in ihrem Büro - neuerdings etwas neben der Spur - und im Bett mit ihrem Liebhaber Marc, einem verheirateten Journalisten mit zwei Töchtern. Marc geht ihr allmählich auf die Nerven, wenn er nicht zur Sache kommt und stattdessen ewig redet: über Angelegenheiten des Architekturbetriebs und - als könne er damit sein schlechtes Gewissen beruhigen - über seine Familie.

Doch eines Tages fügt es der Zufall: als Toria Monti wegen eines Bauprojekts in Philadelphia ist, wird sie von einem Bekannten überredet, bei einem Symposium über regionale Literatur als Überraschungsgast aufzutreten. Und dort sitzt Wolf Lewinter im Publikum.

Die Liebesgeschichte, die sich zwischen den Beiden entwickelt, ist nicht zuletzt deshalb spannend, weil die Rollen zwischen Mann und Frau vertauscht sind. Sie ist die Berühmtheit - stark und erfolgreich - und er leidet unter mangelndem Selbstwertgefühl. Gerade erst hat er bei der Mutter seines Sohnes - mit der er nie verheiratet war - durchgesetzt, dass der elfjährige Christoph die Wochenenden bei ihm verbringt. Fast panisch besteht er darauf, dass sich eine Liebe zwischen Paris und seiner Heimatstadt Wien nicht leben lässt.

Dagegen ist Toria Monti, bei aller sie ebenfalls verunsichernden Verliebtheit, pragmatischer. Durch und durch eine Bewohnerin der globalisierten Welt, vertraut sie darauf, das Problem lasse sich durch geschicktes Terminmanagement lösen. Sie versucht ihre Termine so zu legen, dass man sich mal in Petersburg, mal in Mailand, mal anderswo trifft und erwartet von ihm die gleiche Mobilität und Flexibilität.

Er aber schätzt die Wonnen der Sesshaftigkeit, fühlt sich überfordert und fürchtet die Unruhe - nicht nur seines Sohnes wegen. Wie es mit diesem Paar weiter gehen wird, lässt der Roman offen, auch wenn er zeigt, dass die beiden sich viel bedeuten. So viel, dass ein gemeinsames Leben vorstellbar ist.

Am Ende verschiebt die Autorin den Konflikt auf einen Nebenschauplatz und schickt ihre Heldin, die nun wahrlich schon mit einer internationalen Biografie gesegnet ist, auf die Suche nach möglichen russischen Wurzeln. Das ist unnötig und auch ein bisschen ärgerlich. Denn hier geschieht an der falschen Stelle des Guten zu viel. Trotzdem ist "Architektur einer Liebe" ein bedenkenswerter Roman, weltoffener und weniger melancholisch als die früheren Lyrik- und Prosabände der Autorin und doch mit dem gleichen Thema: der unablässigen Suche nach Formen der Hingabe.

Evelyn Schlag: Architektur einer Liebe
Paul Zsolnay Verlag, Wien, August 2006
363 Seiten, 21.50 Euro