Die Glanzleistungen der Vögel

12.06.2012
Seite für Seite räumt der Verhaltensforscher Immanuel Birmelin mit Klischees über das dumme Federvieh auf. Dabei lässt er mit seinen Schilderungen den Leser über das Gedächtnisvermögen der Vögel staunen.
Das sprichwörtliche Spatzenhirn ist ein Irrtum. Das sagt der Verhaltensforscher Immanuel Birmelin und beruft sich dabei auf jüngste Forschungsergebnisse. Die haben nämlich gezeigt, dass jene Strukturen im Vogelgehirn, die für kognitive und intelligente Leistungen zuständig sind, denen der Säugetiere erstaunlich gleichen. Und dass, obwohl ein Vogelgehirn nicht größer ist als eine Nuss. Sprich: Vögel sind viel schlauer als ihr Ruf.

Wie klug Vögel tatsächlich sind, beweisen zahlreiche Experimente. Immanuel Birmelin hat viele von ihnen in seinem Buch gesammelt. Manches davon mag Fernsehzuschauern bekannt vorkommen. Immerhin war der Autor an einer Serie über 'Kluge Vögel‘ beteiligt. So finden sich einige Filmepisoden hier noch einmal geschildert, was allerdings ihren Reiz nicht schmälert. Großartige Farbfotostrecken ergänzen und illustrieren den Text, der einen aus dem Staunen nicht mehr raus lässt.

So können Kolkraben, Elstern, Papageien und Wellensittiche zählen, Mengen erfassen, Formen und Farben zuordnen. Erstaunlich sind ihre Lernfähigkeiten. Japanische Krähen werfen Nüsse auf die Fußgängerüberwege: Sobald ein Auto die Nüsse überfährt und die Ampel rot zeigt, holen die Krähen sich den Nussinhalt. Australische Bussardmilane lassen, um an das Innere von großen hartschaligen Emu-Eiern zu kommen, solange Steinen auf die Eier fallen bis ein Loch entsteht.

Bisweilen werden die Vögel sogar zu Werkzeugmachern: So basteln sich die neukaledonischen Krähen aus stachligen Palmblättern spitz zulaufende Speere mit Widerhacken. Mit denen nageln sie dann in Baumlöchern sehr erfolgreich nach fetten Maden. Webervögel demonstrieren beim Nestbau, dass sie erfindungsreiche Architekten sind. Kein Nest gleicht dem anderen.

All diese Fähigkeiten sind aber, so Immanuel Birmelin, nicht genetisch festgelegt, sondern erworben. Nur Vogelkinder, die diese Künste von ihren Müttern vorgeführt bekommen, sind in der Lage, sie anzuwenden.

Dazu passt auch, dass viele Vögel in der Lage sind, aus der Vergangenheit zu lernen und für die Zukunft zu planen - Eigenschaften, die als typisch menschlich gelten. Wie auch, dass sie zu Gefühlen fähig sind. Als man etwa einem Graugansganter seine Ehefrau wegnahm - die Tiere bleiben sich ein Leben lang treu - stieg das Stresshormon Cortisol in seinem Körper dramatisch an. Sobald sie zurückkam, normalisierten sich die Werte wieder.

Seite für Seite räumt der Verhaltensforscher so mit Klischees über das dumme Federvieh auf. Jede aufgeführte Glanzleistung ist für sich gesehen allein schon so bewundernswert, dass man nur staunen kann und gerne weiter liest. Das liegt auch an Immanuel Birmelin selbst: Selten hat jemand mit so großem Engagement, Wissen und Humor über Vögel geschrieben.

Man spürt, hier weiß jemand, wovon er spricht! Neuste Forschungsergebnisse werden hier genauso verständlich erklärt, wie selbst gemachte Beobachtungen. Und genau das ist vielleicht die größte Leistung dieses Buches: Es öffnet den Blick für die Umwelt! Gut so!

Besprochen von Johannes Kaiser

Immanuel Birmelin: Von wegen Spatzengehirn
Kosmos Verlag, Stuttgart 2012, 204 Seiten, 19,95 Euro

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