Profitmaximierung durch Cyberstalking

Likest du noch oder stalkst du schon?

16:40 Minuten
Vier Menschen stehen nebeneinander und jeder verwendet das eigene Smartphone.
Die Tools zur Überwachung hat jeder in der Hand: mit Social Media Apps lassen sich andere Menschen leicht stalken. © rawpixel auf Unsplash.com
Im Gespräch mit Tobias Matzner · 14.07.2018
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Internetkonzerne spionieren ihre Kunden aus, Nutzer stalken einander mit Hilfe von Social Media. Von Statusmeldung bis Gelesen-Vermerk – viele Kleinigkeiten geben ziemlich vielen Maschinen und ziemlich vielen Menschen Einblick in unser Leben.
Als Kind lernte man, keine Fremden in die Wohnung zu lassen. Die Tools der Internetkonzerne ermöglichen mittlerweile aber, dass unbekannt viele Fremde permanent in unseren vier Wänden sind und unseren Alltag nachvollziehen.
Dass Google die Mails der Nutzer lange Zeit auswertete, um personalisierte Werbung zu platzieren, ist bekannt. Jetzt kam heraus, dass auch manche Anbieter von Mail-Apps, denen man den Zugriff auf den Google Mail Account gewährte, mitlesen. Aber nicht Computer analysieren und sortieren die Daten anhand von Algorithmen, sondern die Mitarbeiter. Schöne neue Welt. Und wie so oft, geht es um Macht.

Enorme Macht der Technologiefirmen

Tobias Matzner, Professor für Medien, Algorithmen und Gesellschaft an der Universität Paderborn, stimmt zu: "Ein Machtgefälle ist da. Solche Fälle zeigen, welche enorme Macht in diesen Technologiefirmen anfällt, durch die Verfügbarkeit von so viel Daten."
Und wenn es in einem Unternehmen notwendig ist, dass Mitarbeiter Zugriff auf die privaten Daten der Nutzerinnen haben? "Leute, die diesen Zugang brauchen, müssen ganz besonders sorgfältig ausgesucht werden. Die müssen vielleicht auch im Hinblick auf dieses Missbrauchspotenzial und nicht nur im Hinblick auf ihre technischen Fähigkeiten ausgewählt werden. [Zusätzlich müsste es eine] Aufsicht geben - intern oder extern - um dieses Machtgefälle einzudämmen."

Mächtige Tools für die User

​​Internetkonzerne können unsere Gesprächsprotokolle von Facebook und Tinder mitlesen oder sagen, wann wir schlafen. Auch den Usern werden mächtige Tools zur Überwachung an die Hand gegeben. Bei WhatsApp, Instagram, Twitter und Co. können wir sehen, ob unsere Nachrichten empfangen und gelesen, wann Inhalte gepostet wurden oder welche Route der Nachbar regelmäßig Samstags entlang joggt. Die Unternehmen sehen die Bereitstellung dieser Tools als Nutzerbindung an – aber sollte man nicht eher von Stalking by Design sprechen?
Tobias Matzner ist davon nicht vollkommen überzeugt: "Stalking by Design ist zu viel. Niemand wird zum Stalker nur durch Technik." Aber natürlich beruht das Geschäftsmodell der Social Media Plattformen darauf, dass die Nutzerinnen immer wieder zurückkommen:
"Ein weiteres Designmerkmal von Social Media ist, dass uns auch immer noch etwas angeboten wird. ‚Guck doch nochmal hier, guck doch nochmal da.‘ Das liegt natürlich daran, dass die Firmen mit Werbung Geld verdienen und möglichst viel Interaktion mit ihren Nutzerinnen und Nutzern generieren wollen. Und sowas kann dann schon Stalking befördern, aber auf keinen Fall hervorrufen."

Wandel bei der Selbstdarstellung

Das Social Media für einen Wandel bei der Selbstdarstellung gesorgt hat, führt dazu, dass Stalking leichter gemacht wird. Tobias Matzner erklärt: "Wir sind normalerweise in Situationen, die wir einschätzen können und wissen, was sich da gehört und wer uns wahrnehmen kann und wer nicht. Diese Situationen fallen im Internet plötzlich an einem Ort zusammen. [...] Die übliche Trennung, [...] an die wir unser Handeln ausrichten – die fällt zusammen. Das macht sowas wie Stalking einfacher."
Das Private in die Öffentlichkeit zu bringen, ist die eine Sache. Das es Menschen gibt, die diese Sichtbarkeit der anderen Menschen ausnutzen, ist hingegen eine andere. Sich selbst sichtbar zu machen ist kein Argument dafür, dass andere ein Recht erhalten einen zu stalken: "Was ich gefährlich finde ist zu sagen ‚Wenn das so sichtbar ist, dann muss man damit rechnen, das alle möglichen Dinge damit geschehen.‘, weil man sonst ganz leicht in die Gefahr läuft, den Opfern von Stalking die Schuld zu geben, die Schuld dafür zu geben so sichtbar zu sein. Die Sichtbarkeit rechtfertigt [das Stalken] nicht."

Soll uns ausgerechnet Technik schützen?

Wie immer wird der Ruf nach Sicherheit laut. Wie kann uns die Technik vor dem Stalken schützen? "Social Media könnte so designt sein, dass der Kontextkollaps verhindert wird. Das man verschiedene Bereiche seines Lebens trennen kann. Das wäre auch weit über Cyberstalking hinaus relevant um zum Beispiel besseren Privatheitsschutz zu ermöglichen. [...] Ich würde immer davor warnen, in der Technik eine Lösung zu finden. Technik ist nicht der Grund, sondern vielleicht ein Faktor, der die Dinge leichter macht oder befördert, aber nicht hervorruft und deswegen kann Technik auch immer nur selten die Lösung sein für solche Probleme."
Lösungen müssen umfassender sein, online, wie offline, ist Tobias Matzner überzeugt: "Es muss Anlaufstellen geben. Es muss Aufklärung geben über die Möglichkeiten, dass so etwas passiert. Das man sich online nicht alles gefallen lassen muss. Das ich sichtbar werde und sichtbar werden kann und das es nicht rechtfertigt, dass mich irgendwer belästigt."
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