Die Gewölbe wachsen in den Himmel

Von Bernd Sobolla · 20.04.2013
Der 142 Meter hohe Turm machte das Straßburger Münster für lange Zeit zum höchsten Gebäude der Christenheit. Regisseur Marc Jampolsky stellt in seiner Filmdokumentation die Baugeschichte der 1439 fertiggestellten Kathedrale mithilfe von 3D-Animationen nach.
Groß, hoch und imposant war das Gotteshaus bereits bei seiner Fertigstellung 1439. Dennoch bezeichneten die Menschen der Renaissance das Münster als barbarisch. Das änderte sich erst, als Johann Wolfgang von Goethe 1770 nach Straßburg kam, sich für die Kathedrale begeisterte und den Architekten Erwin von Steinbach als Genie feierte. Die Kunsthistorikerin Sabine Bengel hingegen betont im Film, dass der Bau 1176 begonnen wurde und von Steinbach nur der erste noch heute bekannte Baumeister war.

"Um das Jahr 1220 kommt ein Architekt aus Frankreich mit seinem Stab nach Straßburg. Er hatte auf den großen gotischen Baustellen der Ile de France gearbeitet, vor allem in Chateauroux und Reims. Von heute auf morgen übernimmt er die Baustelle und bringt einen vollkommen neuen Stil in die Region, den wir heute Gotik nennen."

Als Erwin von Steinbach 1277 den Bau übernimmt, steht das Gewölbe schon. Aber er entwickelt die Architektur maßgeblich weiter.

"Die gotische Architektur ist ein Instrument des Glaubens. Der Mensch versucht, sich an Gott anzunähern. Die Gotik strebt nach immer höheren und helleren Räumen. Die Gewölbe wachsen in den Himmel. Das ist nur möglich, weil jetzt über Spitz- und Strebebögen der Druck nach unten verteilt wird."

Sehr schön zeigt der Film, wie großzügige Fenster an die Stelle massiver Mauern treten, wie Größe und Leichtigkeit miteinander verschmelzen, weil tragende Mauern hinter Verzierungen verschwinden. Und die Fensterrose der Westfassade begeistert bis heute. Zudem bietet die Dokumentation viele Computeranimationen. Und im Bonusmaterial erläutert der Architekt Stephan Portier, wie er in sieben Jahren 25.000 Bauteile digital rekonstruierte.

"Die Modellierung in 3D erlaubt uns, verschiedene Ansichten der Kathedrale vor ihrer Fertigstellung zu erhalten. So ist es möglich in die verschiedenen Bauphasen jeder Epoche zu springen und zu sehen, wie die Kathedrale zum Beispiel 1312 aussah."

Die im Film zu sehenden Animationen beeindrucken, weil sie oft Querschnitte und Teilaspekte des Baus aus unterschiedlichen Perspektiven bieten. Aber der Film widmet sich ebenso den historischen Ereignissen: 1298 schlägt ein Blitz ein und setzt das Viertel um den Münster in Flammen. Viertausend Menschen verlieren Haus und Hof. Kriege, Hunger und Seuchen wechseln sich ab. Und die Schwarze Pest rafft Mitte des 14. Jahrhunderts ein Viertel der Bevölkerung dahin.

Etwa zur selben Zeit wütet der Hundertjährige Krieg zwischen Frankreich und England. Immer wieder kommen die Bauarbeiten ins Stocken. Aber noch faszinierender sind die Machtspiele, die den Bau der Kathedrale begleiten: zwischen Bischöfen und Straßburger Bürgerschaft, zwischen Kaiser und Papst. Ursprünglich war der Bischof der Herr des Münsters. Aber oben auf der Fassade sind weltliche Herrscher zu sehen, unter ihnen Rudolf von Habsburg.

"In einem Machtkampf hatte er sich mit Straßburger Bürgern gegen Kirche und Bischof verbündet. Er verhalf den Bürgern zum Sieg. Über die freie Reichsstadt Straßburg regiert jetzt ein bürgerlicher Rat. Auch der Bau des Münsters liegt nicht mehr in der Hand geistlicher Herren."

Bischof Berthold von Buchegg fordert zum Beispiel den Bau einer prächtigen Grabkapelle. Johannes von Steinbach, Enkel und Nachfolger von Baumeister Erwin, und sein Vorarbeiter verzweifeln, wie es eine der vielen Spielszenen verdeutlicht, die das dokumentarische Material ergänzen.

"Wir bauen doch weiter. Nur ein bisschen anders als geplant. / Ein bisschen anders? Von unseren Plänen ist nichts übrig. Wir wollten die Türme vollenden, die Glocken darin läuten hören. Und jetzt sollen wir eine Grabkapelle bauen für einen Bischof, der quicklebendig herum läuft."

Und schließlich geht der Film auch auf das Finanzierungskonzept ein. Unter städtischer Leitung wird die Bauhütte reich - vor allem durch Spenden. Die Gläubigen geben, damit man im Gegenzug für ihr Seelenheil betet. Die Einnahmen sind so hoch, dass neben dem Bau der Kathedrale noch Geld für andere Geschäfte übrig bleibt. Die Bauhütte kauft Grundstücke, Häuser und Höfe und vermehrt ihr Vermögen durch Verkauf, Verpachtung und Vermietung – Immobilienspekulation im Mittelalter. Und schließlich will man im wahrsten Sinne des Wortes ganz nach oben. Dazu wird 1401 Meister Ulrich von Emsingen engagiert. Er soll den höchsten Turm der Christenheit bauen.

"Ich weiß, was der Turmspitze fehlt. Ihr fehlt Transparenz. Genau! Das ist es. Transparenz. Und das heißt: Keine zentrale Treppe. Ist das klar. Also wir haben ein Oktagon – acht Seiten. Somit gibt es acht Treppen. Acht Treppen von Gradsparren getragen. / Meister, so etwas gibt es nicht. / Du sagst es."

Der Turm des Münsters wird 142 hoch und macht die Kathedrale für 450 Jahre zum höchsten Gebäude der Christenheit. Dass sie ausgewogen, massiv und zugleich filigran wirkt, ist das Meisterstück vieler großer Handwerker und Baumeister. Die DVD ist nicht nur eine Laudatio auf diese, sondern auch ein Stück über Rivalität und Geltungssucht, das zeigt, dass sich die Sehnsucht der Menschen nach Gott keineswegs in der Höhe eines Gotteshauses ausdrückt.

"Vergiss nicht, Johannes! So weit und so hoch wir auch kommen, nie erreichen wir Gott den Architekten des Universums."


Hinweis:

Die DVD "Die Kathedrale – die Baumeister des Straßburger Münsters" von Regisseur Marc Jampolsky erscheint bei "absolut medien", hat inklusive Bonusmaterial rund zwei Stunden Länge und kostet 14,99 Euro.