"Die gedruckten Zeitungen werden sicherlich weiter in eine Krise kommen"

Günther Ludwig im Gespräch mit Ulrike Timm · 21.11.2012
Nicht nur bei der "Financial Times Deutschland", auch bei anderen Zeitungen sei die Lage sehr schwierig, sagt Günther Ludwig, Leiter der Kölner Journalistenschule für Politik und Wirtschaft. Derzeit werde viel herumgetestet, wie eigentlich Geld verdient werden kann.
Ulrike Timm: Es sind schwierige Zeiten fürs Zeitungsmachen in Deutschland. Die "Frankfurter Rundschau" meldete Insolvenz an, jetzt kommt das Aus auch für die "Financial Times Deutschland". Das ist nun eine Zeitung mit besonderem Profil, eine Wirtschaftszeitung nämlich, und welche besonderen Gründe es womöglich dafür gibt und wie man überhaupt Wirtschaftsjournalismus macht in Zeiten von Finanzkrisen und Computerhandel, darüber spreche ich jetzt mit Günther Ludwig. Er ist Leiter der Kölner Journalistenschule, eben für Politik und Wirtschaft. Herr Ludwig, ich grüße Sie!

Günther Ludwig: Ja, guten Tag, Frau Timm!

Timm: Scheitern denn die Zeitungen aus den gleichen Gründen? Also, schlechtes Anzeigengeschäft, Online-Konkurrenz, oder hat es bei der "Financial Times Deutschland" noch an anderen Faktoren gelegen?

Ludwig: Es gibt beides. Das eine ist, die Nachrichtenübermittlung, die geht von den Zeitungen ins Internet, dagegen können Zeitungen nicht konkurrieren. Das gilt für Wirtschaftszeitungen vielleicht noch etwas mehr, weil Zeit in der Wirtschaft Geld ist und häufig eine Millisekunde darüber entscheidet, ob ein Investment an der Börse erfolgreich ist oder nicht. Überall gehen die Abos runter von Zeitungen. Das trifft vielleicht die Wirtschaftsmedien auch noch ein bisschen stärker, ich meine die Tageszeitungen, weil die Unternehmen massiv Abonnenten abbauen. Und der dritte Punkt, die Anzeigenkunden gehen auch in Wirtschaftstageszeitungen stärker zurück als in manchen anderen Medien.

Timm: Nun sollte man doch gerade meinen, wo die Märkte blitzschnell in die eine oder in die andere Richtung schießen, wo Politiker in Nachtsitzungen mit den Milliarden für Griechenland jonglieren und wo der Kleinsparer über die mickrigen Zinsen schlicht schleichend enteignet wird, dass es ein Rieseninteresse gibt an fundiertem Wirtschaftsjournalismus bei den Lesern! Warum tut sich die Branche trotzdem offensichtlich schwer?

Ludwig: Ich glaube, man darf jetzt die "Financial Times Deutschland" nicht mit dem gesamten Wirtschaftsjournalismus verwechseln. Die haben vor zwölf Jahren versucht, eine zweite Tageszeitung neben dem "Handelsblatt" als Wirtschaftstageszeitung zu etablieren. Das war von Anfang an defizitär, und heute in Zeiten von schrumpfenden Tageszeitungsmärkten ist es nicht mehr haltbar dann. Ich gebe Ihnen völlig recht, dass die Wirtschaft als Megathema vielleicht heute noch viel stärker interessiert als früher. Man muss sagen, dass schon auf der Tageszeitungsebene die allgemeinen Tageszeitungen, also die "Frankfurter Allgemeine" oder die "Süddeutsche" oder die "Welt", viele dieser Geschichten auch sehr intensiv verfolgen, und im Netz kommt die Informationsseite eben viel schneller. Und dazu kommt, dass die Verleger es versäumt haben, frühzeitig, als sie noch sehr gut verdient haben mit den Printmedien, eine Strategie zu entwickeln, wie man Printmedien und Online-Medien miteinander verbinden kann.

Timm: Ich würde gern noch mal wirklich bei diesem Thema Wirtschaft, Schreiben über Wirtschaft, bleiben. Sie haben uns zu Anfang erzählt, das sind ja Millisekunden, wenn da Investments rauf- und runterschießen, versteht's sowieso kein Laie. Hängt da ein Wirtschaftsjournalist den ganzen Tag am Computer und verfolgt das? Wie arbeiten die eigentlich?

Ludwig: Also, diese schnellen Nachrichten, die kommen ja vor allem von den großen Wirtschaftsagenturen, von Bloomberg und Reuters, wenn wir über journalistische unabhängige Wirtschaftsnachrichten reden und nicht über die Nachrichten, die die Unternehmen selbst herausgeben. Und die verdienen im Übrigen das meiste Geld nicht dadurch, dass sie für das allgemeine Publikum diese Nachrichten machen, sondern dass große Unternehmen und Investoren ihre Dienste abonnieren. Die arbeiten mit einem großen Korrespondentennetz, mit einer großen Auswertung weltweit der Medien und sind eben spezialisiert darauf, die Informationen möglichst unabhängig, gut recherchiert, präzise und kurz zu vermitteln. Also, hier geht es weniger um Hintergrund, um Unterhaltung, um Reportage, um Meinung und so weiter und so fort.

Timm: Und wie können dann die Zeitungsjournalisten, die sich auf Wirtschaft spezialisieren, gegen dieses supersuperschnelle Geschäft - ich sage einmal -, dagegen anstinken, ihre Nische finden?

Ludwig: Die Zeitungsjournalisten haben versucht in den letzten Jahren, etwas zu machen, was man häufig die tägliche Wochenzeitung nannte: Also, dass man sagt, klar, die Nachrichten sind nicht mehr so aktuell, wenn die Zeitung im Briefkasten liegt, aber Hintergrund, Analyse und so weiter, das ist unsere Sache, das können wir immer noch besser und gründlicher machen mit unseren Redaktionen, als das im schnellen Internet passiert. Das stimmt auch, aber da konkurrieren Sie natürlich mit den Wochenzeitungen und den Magazinen und es hat nicht jeder Zeit, täglich Hintergrundgeschichten zu lesen, das macht man dann vielleicht doch lieber am Wochenende und dann kauft man sich die "Zeit" oder den "Spiegel" oder die "Wirtschaftswoche".

Und das ist die eine Seite. Und die andere Seite, die aber vielleicht erfolgversprechend wäre: Wenn man sich praktisch als Zeitung verheiratet mit einem Online-Portal. Das Online-Portal produziert die Nachrichten, die schnellen Nachrichten, und die Zeitung produziert praktisch mehr das Hintergründige. Das sind sogenannte Hybridmodelle, die werden in Deutschland aber gerade erst entwickelt, weil eigentlich im Internet alles immer umsonst war, auch an journalistischer Information, und dementsprechend letztlich die Internetportale immer vom Erlös der Printmedien gelebt haben. Und dieser Erlös geht jetzt zurück.

Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", wir sprechen mit Günther Ludwig darüber, was Wirtschaftsjournalismus heute so schwierig macht. Nun sprachen Sie eben so charmant von der Verheiratung zweier Medien, online und Zeitung. Das interessiert ja alle Zeitungen im Moment, aber wie ich Sie verstanden habe, wäre das gerade für eine Wirtschaftszeitung eine besonders gelungene Kombination, weil man dann eben das ganz Schnelle und das Hintergründige ja noch logischer miteinander verbinden könnte. Wenn das noch zu wenig machen, gibt es vielleicht schlicht zu viele Zeitungen, um damit auch eine Basis finden zu können? Es gibt "Capital", es gibt das "Handelsblatt", die "Frankfurter Allgemeine" hat einen dicken Wirtschaftsteil. Sendet man da auch am Publikum vorbei, ist es schlicht zu viel?

Ludwig: Die gedruckten Zeitungen, denke ich, werden ... Das sieht man ja auch, die "Frankfurter Rundschau" hat Insolvenzantrag gestellt, die "Financial Times Deutschland", bei der "Berliner Zeitung" und vielen anderen Regionalzeitungen ist die Lage sehr schwierig. Die gedruckten Zeitungen werden sicherlich weiter in eine Krise kommen. Möglich wäre aber, dass es elektronische Zeitungen gibt, etwa über solche Medien wie das iPad. Die könnten natürlich in ihrem Nachrichtenteil praktisch ständig renoviert werden und gleichzeitig würden sie Hintergrundreportagen und so weiter, alles bieten können. Da wird rumgetestet im Augenblick, wie man eigentlich mit bestimmten Angeboten Geld verdienen kann. Eins habe ich ja genannt, dieses Hybridangebot. Und die Frage ist offen, wie viele der Printzei ... , Tageszeitungen sich eigentlich, wenn man so will, ins Internet hinüberretten können mit Bezahlinhalten.

Timm: Nun bilden Sie ja an der Kölner Journalistenschule speziell Wirtschaftsjournalisten aus. Was sagen Sie denen denn, wie müssen die arbeiten, wie müssen die sein, damit ihnen möglichst so ein Elend wie ein Stellenverlust jetzt bei der "Financial Times Deutschland" schon von der eigenen Arbeit, von der eigenen Schreibe her nicht passiert?

Ludwig: Ich glaube zunächst mal, dass in einem enger werdenden journalistischen Arbeitsmarkt auch für Wirtschaftsjournalisten die Qualität der Ausbildung ein ganz wichtiger Punkt ist. Die qualitativ am besten ausgebildeten Wirtschaftsjournalisten haben noch am ehesten eine Chance, Jobs zu finden oder freiberuflich gutes Geld zu verdienen.

Timm: Aber wie müssen die schreiben, damit wir sie gut verstehen? Damit sie das verbinden, dieses blitzschnelle Tagesgeschäft und die Hintergründe, damit wir da Informationen wirklich bekommen als Publikum?

Ludwig: Zunächst müssen sie sich für alles interessieren, was das Publikum an Wirtschaft interessiert. Also, nicht nur dafür, was Manager, Unternehmensleiter an Wirtschaft interessiert, oder Leute, die an der Börse tätig sind. Und das bedeutet, dass man einen weiten Wirtschaftsbegriff braucht. Wirtschaft ist im Grunde genommen überall drin, ob im Sport, ob bei Theatern, ob bei Bildung, ob im Umweltschutz, ob in der Politik. Es geht ja gerade in der Politik mehr denn je um Wirtschaft, das ist das eine.

Das Zweite ist, sie müssen sehr gut recherchieren können, sie müssen den Leuten einen Mehrwert bieten, indem sie Informationen recherchieren können, die man eben nicht ganz einfach bei Google rausgoogeln kann. Und sie müssen allgemeinverständlich und klar schreiben für dieses Publikum. Und dazu brauchen sie natürlich jetzt - und das ist eine Veränderung der Ausbildung, die eigentlich in allen Journalistenschulen im Augenblick gemacht wird, Medienkompetenz für die neuen Medien, für ... Also, es reicht nicht, dass man Texte schreiben und recherchieren kann, man muss sich überlegen, wie kann man Text, Bild, Video, eine Grafik, an der der User mitarbeiten kann, wie kann man alles das miteinander verbinden, um ein Gesamtangebot zu entwickeln, was online eben möglich ist?

Timm: Und zugleich muss der Wirtschaftsjournalist dann noch der Meister der komplexen Zahlen bleiben, der hinter den Blitznachrichten noch die Hintergrundgeschichte ja nicht nur ahnt, sondern auch findet und aufbereitet. Eier legende Wollmilchsau!

Ludwig: Ja, es kommt auf die Arbeitsbedingung drauf an. Das ist natürlich in Zeiten der Sparmaßnahmen schwierig, wenn man immer mehr, immer schneller produzieren muss, dann geht das auf Kosten der Recherchetiefe, das ist ganz klar, das kann kein Journalist schultern. Also, man muss schon die Möglichkeit haben, dass man bestimmten Themen etwas gründlicher nachgehen kann und dafür auch Zeit zur Verfügung bekommt. Das geht nicht, wenn man rein mit Nachrichten im Internet beschäftigt ist.

Timm: Günther Ludwig, der Leiter der Kölner Journalistenschule für Politik und Wirtschaft zum Wirtschaftsjournalismus in schwierigen Zeiten und auch zum Aus der "Financial Times Deutschland". Ich danke Ihnen fürs Gespräch!

Ludwig: Danke Ihnen, Wiederhören!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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