Die Freundschaft von Marcel Proust und Reynaldo Hahn

„Geheimnisvoller Grund unserer Seele“

Von Sabine Fringes · 04.10.2019
In einem Pariser Salon begegnen sich die beiden zum ersten Mal: der 19-jährige Reynaldo Hahn und der drei Jahre ältere Marcel Proust. Ihre Liebesbeziehung endet nach zwei Jahren, doch ihre Freundschaft hält bis zu Prousts Tod im Jahr 1922.
1894 lernen sich der 19-jährige Sänger und Komponist Reynaldo Hahn und der 23-jährige Schriftsteller Marcel Proust kennen: Im legendären Pariser Salon der Madame de Lemaire, wo der junge Komponist seine "Chansons Grises" vorträgt und sich dabei selbst am Klavier begleitet. Komponiert hatte Hahn die Lieder bereits mit zwölf Jahren. Seine Vertonung von Gedichten von Paul Verlaine trug ihm sogar die Bewunderung von Stéphane Mallarmé und den Brüdern Goncourt ein. Eine romantische Liebesbeziehung entspinnt sich zwischen den beiden. Proust und Hahn reisen ans Meer in die Normandie und in die Bretagne, wo sie Sarah Bernhardt in ihrem ›Fort‹ auf der Belle-Île besuchen.
Die Liebe zur Musik bildet - trotz unterschiedlicher Vorlieben - von Anfang an das Fundament ihrer Freundschaft. Denn für den Schriftsteller nahm die Musik unter den Künsten den höchsten Rang ein.

Klingende Porträts

Proust und Hahn planen gemeinsame Projekte, darunter eine Chopin-Biographie und eine Oper über Antoine Watteaus Gemälde "Einschiffung nach Kythera". Doch das einzige Projekt, das sie tatsächlich realisieren, sind die "Portraits des peintres": Eine Reihe von Klavierstücken nach Gedichten, die Proust über vier Maler geschrieben hatte: Portraits von Albert Cuyp, Paulus Potter, Anton van Dyck und Antoine Watteau.
Neben dem Salon der Madame Lemaire war es der Salon von Winnaretta Singer-Polignac, den sowohl Hahn als auch Proust eine Zeitlang besuchten. Winnie, wie enge Freunde die Prinzessin nennen durften, kultivierte in ihrem Salon eine außergewöhnliche musikalische Bandbreite. Nicht nur Komponisten der Avantgarde wie Erik Satie und Igor Strawinsky förderte die Kunstmäzenin, sondern auch Musiker wie Reynaldo Hahn, der um die Jahrhundertwende immer noch romantische Opern und Liederzyklen komponierte. Liebevoll dekorierte sie für die Uraufführung seines Ballets "Le Bal de Béatrice d’Este" den Musiksaal in ihrem Palais in der Nähe des Eiffelturms. Passend zum Stil des Werks schmückte sie die Bühne mit Tapisserien der Renaissance, sanft erhellt von mildem Kerzenlicht.
Proust nimmt in seinen Briefen immer wieder regen Anteil am Schaffen Hahns. Aus den wenigen Briefen, die von Hahn überliefert sind, spricht eine große Sorge um die Gesundheit seines Freundes. Hahn war es auch, der am 18. November 1922 der Zeitung "Le Figaro" bekannt gab, "dass unser teurer Marcel Proust heute Abend um halb sechs verstorben ist".

Reynaldo und Odette

In Prousts Werk nimmt der Komponist eine ganz eigene Position ein.

Bernd-Jürgen Fischer: "Prousts Beziehung zu Reynaldo Hahn hat sich literarisch vor allen Dingen in seinem Frühwerk 'Jean Sauteuil' niedergeschlagen, in dem es um eine idealisierte hohe Freundschaft geht. Allerdings ist dieses Werk gegen die Wand gefahren, weil Proust dort die dritte Person benutzt, aber so viel Innenleben schildern will, dass eine Kluft entstand zwischen dem Geschilderten und der Er- Form - das hat nicht funktioniert.
1909 ungefähr hat Proust einen neuen Ansatz gefunden, eben die pseudobiographische-Ich-Form der 'Recherche', und viele Motive aus dem 'Jean-Sauteuil' sind dann in die 'Recherche' eingegangen, allerdings nicht mehr so deutlich erkennbar. Eine sehr hübsche Passage ist die, wo er an Reynaldo Hahn schreibt, wie er durch das nächtliche Paris irrt, von einem Salon zum nächsten und überall hat man ihm gesagt, Reynaldo ist gerade weg und Proust hinterher. Dann ist Reynaldo zurück, da hat man ihm gesagt, Proust hat dich gerade gesucht, dann ist Reynaldo hinter Proust her und diese Passage, die auch in einem Brief beschrieben ist, die hat ganz sicherlich dann Eingang gefunden in die Szene, in der Swann auf den Boulevards von Paris nach seiner Odette sucht, bis er schließlich auf sie trifft."

Buchtipp:
Bernd-Jürgen Fischer
Marcel Proust - Der Briefwechsel mit Reynaldo Hahn
Herausgegeben und übersetzt von Bernd-Jürgen Fischer
Deutsche Erstausgabe, 576 Seiten
Reclam Philipp Jun. 2018
ISBN 978-3-15-011170-3

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