Die Frequenzen des Waldes

Von Susanne Burkhardt · 02.05.2010
Die Yanomami-Indianer leben im Regenwald, im Grenzgebiet zwischen Venezuela und Brasilien. Immer wieder sind sie in ihrer Lebensgrundlage bedroht, etwa durch Goldgräber oder durch Straßenbau im Regenwald. Ein Opernprojekt stellt jetzt die Lebensweise der Indianer und ihren Überlebenskampf vor.
Das Dorf Demini. Zwei Flugstunden von der Stadt Boa Vista entfernt, im brasilianischen Regenwald. Hier, in einem Rundhaus, Maloca genannt, mit freiem Platz in der Mitte, leben 170 Yanomami-Indianer unter einem Dach. Einst wohnten sie in den Bergen. Dann aber kamen die Goldsucher und die Missionare. Und mit ihnen für die Yanomami unheilbare Krankheiten wie Masern oder Keuchhusten. Am Ende zogen die letzten 25 überlebenden Dorfbewohner in die Nähe einer im Flachland liegenden Krankenstation.

Der Schamane Davi Kopenawa Yanomami ist der weltweit bekannteste Indianer des Stammes. Gerade ist er aus der Stadt zurückgekehrt hierher in sein Dorf Demini – erschöpft, mit einem, wie er sagt, Zivilisationskater.

Nur zwei Tage kann er im Dorf bleiben. In einer langen Rede erklärt er seinem Volk, dass er wieder in die Stadt muss, um für die Sache der Yanomami-Indianer zu kämpfen. Den brasilianischen Präsidenten Lula wird er treffen und ihn erneut um den Schutz für den Regenwald, den Lebensraum der Yanomami, bitten. Nach einem Tag im Dorf - in der Hängematte, am offenen Feuer, im Gespräch mit den Dorfbewohnern, kehrt sichtlich Energie in den angespannten Körper von Davi Kopenawa zurück.

Seit mehr als 30 Jahren schon setzt sich der Schamane für die Rechte der Yanomami-Indianer ein. Er weiß, dass er im Kampf gegen die ökonomischen Interessen der Weißen, die sein Volk und den Regenwald bedrohen, nur mit deren Unterstützung erfolgreich sein kann. Einer dieser Unterstützer und ein langjähriger Freund ist der französische Anthropologe Bruce Albert. Er kennt die Yanonami und ihre Kultur seit Jahrzehnten, spricht fließend ihre Sprache und ist ein wichtiger Vermittler beim "Amazonas-Musiktheaterprojekt".

"Das ist eine andere Form, die Indianer zu zeigen, als wir das gewohnt sind: Indianer werden immer in nur Verbindung gesehen mit ethnologischen Ausstellungen, mit Kunsthandwerk und Folkloremusik. Sie werden in unserer Gesellschaft gern in so einen festen Rahmen gesteckt: als primitives, archaisches Volk. In diesem Opernprojekt passiert das Gegenteil."

Kein Blick auf die Indianer also, sondern ein Blick auf die Welt gemeinsam mit den Indianern. Die Idee dazu hatte der studierte Bassbariton Joachim Bernauer in seiner Zeit als Programmdirektor des Goethe-Instituts Sao Paulo. Inzwischen leitet er das Goethe-Institut in Lissabon. Im Amazonas-Musiktheater sollen sich Medienkunst, indianische Kosmologie und wissenschaftliche Erkenntnisse zu etwas künstlerisch Neuem verbinden. Ein hochgestecktes Ziel. Und eine Herausforderung. Die Yanomami sind eine unabhängige Gesellschaft ohne zentrale Machtstrukturen, ohne öffentliche Autoritäten – hier gibt es keinen Häuptling. Wer etwas will, muss überzeugen.

Joachim Bernauer: "Für Davi war das keine fremde Vorstellung, in einem kulturellen Projekt mitzuarbeiten und damit politische Ziele zu verfolgen. Das ist keineswegs selbstverständlich für indigene Gruppen. Die meisten haben sehr große Schwierigkeiten oder Bedenken, sich mit Weißen, mit der westlichen Kultur einzulassen und trotzdem daran zu glauben, dass es für sie von Nutzen sein kann. Das war der große Vorteil für uns mit den Yanomami, dass die bereits der Überzeugung waren, ein Projekt mit unserer Kultur kann auch für ihre Kultur von großem Nutzen sein."

Und so reisten Komponisten, Regisseure und Videokünstler nach Demini, um sich – in Vorbereitung auf die Opernarbeit - vom Leben der Yanomami und ihrer komplexen Kultur inspirieren zu lassen:

"Die Idee ist, Schamanismus und den darin praktizierten Umgang mit Klängen und Bildern in einen Dialog mit Künstlern unserer Gesellschaft zu bringen. Wir wollen zeigen, dass der Schamanismus in seiner ganzen Komplexität mit dieser Hochkulturgesellschaft mithalten kann – jenseits von folkloristischen Vorstellungen. Die Yanomami sind sehr interessiert an neuen Dingen. Sie wollen wissen, was um sie herum passiert. Und sie haben uns etwas zu erzählen: über den Wald, über die Art, wie sie ihre Kultur entwickelt haben, und über das Leben, wie sie es leben, ganz anders als wir ..."

Der brasilianische Komponist Tato Taborde, der den zweiten von drei Teilen der Oper komponiert hat, kam fasziniert, inspiriert und mit neuen Erkenntnissen von seiner Reise aus den Regenwald zurück:

"Der Wald selbst besitzt eine Art Orchestrierung - diese Umgebung ist noch unberührt von menschlichen Einflüssen. Und so haben alle Tiere, die im Wald leben, so wie unterschiedliche Radiosender, verschiedene Frequenzen, die sie mit ihrer Stimme belegen. Frequenzen, auf denen sie nicht in Konkurrenz zu anderen Tierarten treten müssen. Die Froschmänner beispielsweise müssen ja von den Weibchen gehört und auseinandergehalten werden, also haben sie eine Tonhöhe entwickelt, die sonst noch nicht belegt ist im Wald, sodass trotz aller Geräusche einzelne Tiere erkannt werden können."

Tato Taborde fand auch eine Erklärung dafür, warum sich die Yanomami im Wald so gut verständigen können:

"Die Frequenz der menschlichen Stimme ist eine Frequenz, die im Regenwald kaum belegt ist – und so können die Yanomami im Wald sehr leise sprechen und sich trotzdem verstehen. Auch wenn es da viele laute Grillen oder Frösche gibt – man hört die menschliche Stimme dazwischen sehr gut raus, wie eine Triangel im Orchester, sie ist zwar sehr zart, aber ihre Frequenz ist so hoch, dass es keine Konkurrenz dafür gibt ... Und selbst wenn das Orchester sehr laut ist, hört man die Triangel. Der Wald ist freundlich zur menschlichen Stimme – man muss nicht schreien ..."

Während sich der erste und der dritte Teil der Oper, komponiert von Klaus Schedl und Ludger Brümmer, mit der Vergangenheit und der Zukunft des Regenwaldes und der Yanomami befassen, geht es im zweiten mit einem Libretto von Roland Quitt um die Gegenwart: Erzählt wird hier unter anderem von der Beziehung zwischen Schamanen und der Xawara, also dem bösen Geist, der aus der Erde entweicht, wenn man sie aufreißt, um nach Gold zu suchen.

"Der Fall des Himmels" heißt dieser Teil der Oper, weil die Schamanen glauben, dass sie verschwinden werden, wenn die Xawara auf Dauer siegt. Da aber die Schamanen in ihrer mythologischen Vorstellung den Himmel halten, wird nach ihrem Verschwinden der Himmel fallen und damit auch alles Leben auf der Erde beendet sein. Eine düstere Zukunftsprognose für uns alle, die angesichts von Klimawandel, Finanzkrisen und einem ungebremsten Wachstum in der westlichen Welt nicht unrealistisch erscheint.

Tato Taborde geht es, wie auch den anderen am Projekt beteiligten Künstlern, nicht darum, die Originalgesänge der Schamanen oder Originalbilder in der Oper zu spiegeln oder sie zu kopieren. Es geht darum, Entsprechungen zu finden, Assoziationen zu den vorgefundenen Klängen und Bildern. Der Anthropologe Bruce Albert:

"Die Yanomami materialisieren Bilder durch den Körper. Sie laden in gewisser Weise virtuelle Bilder herunter, die durch die Einnahme von sehr starken Halluzinogenen erzeugt werden. Die Schamanen sprechen viel über Bilder – das ist das zentrale Konzept ihrer Kultur. Ihre ganze Mythologie basiert auf ursprünglichen Bildern. Wir denken immer, dass unsere Art zu denken universal ist, dass Bilder eine materielle Basis haben. Aber es gibt eben viele Wege, wie Bilder erzeugt werden können.
Was die Oper angeht: Da gibt es eine kleine Gruppe von Davi und ein paar Mitstreitern, die wissen, wie wichtig es ist, ein positives Bild der Kultur der Yanomami nach außen zu tragen, um zu überleben. Für die Yanomami hier geht es nicht um Oper - hier geht es ums Überleben."

Lukas – einer der älteren Yanomami im Dorf zeigt auf die weißen Besucher und sagt: Wenn ihr keine freundlichen Weißen wärt und wenn ihr uns Epidemien bringen würdet, dann würde ich euch nicht so freundlich anlachen, dann würde ich euch mit dem Pfeil abschießen. Yanomami-Indianer können sehr ironisch sein und lachen viel. Aber das hier ist ernst gemeint. Die Angst vor dem eigenen Untergang ist begründet, denn in Brasilien selbst gelten die Indianer wenig. Deshalb muss sich der Schamane Davi Kopenawa so oft auf den Weg machen.

"Wenn ich in der Stadt bin, kommen mir keine Gedanken. Dann vermisse ich sehr den Wald, mein Dorf. Aber ich erinnere mich dann auch sehr an meine Kindheit, als die Weißen noch nicht im Wald waren – ich vermisse das sehr. Wenn ich in die Stadt gehe, dann nicht, weil da irgendwas Aufregendes stattfindet – ich bin da nicht gern. Aber ich bin gezwungen, da zu sein, um für unsere Rechte zu kämpfen, gegen die, die unseren Lebensraum zerstören wollen. Es ist sehr wichtig, dass wir zusammen kämpfen."

Für den gemeinsamen Kampf muss der Schamane Davi Kopenawa Yanomami noch oft sein Dorf verlassen. Zum Beispiel, um eine Opernpremiere in München zu besuchen. Er verdient unsere Unterstützung. Auch in unserem eigenen Interesse.

Service:
Davi Kopenawa wird bei der Premiere der Amazonas-Oper am 8. Mai bei der Münchner Biennale für Neues Musiktheater dabei sein mit seinem Sohn. Das Musiktheaterprojekt "Amazonas" – eine Oper, die sich dem Leben und der Kultur der Yanomami-Indianer im brasilianischen Regenwald widmet. Susanne Burkhardt hat das Projekt vorgestellt. Am Freitag, den 7. Mai, laden das Goethe-Institut u. die Münchner Biennale in München zum Symposium "Amazonien und Musiktheater. Eine Herausforderung" ein. Am Samstag, den 8. Mai, findet dann die Uraufführung der Amazonas-Oper in der Münchner Reithalle statt. Deutschlandradio Kultur wird in der Sendung "Fazit" davon berichten. Das multimediale Musiktheater-Projekt ist eine Koproduktion des Goethe-Instituts, der Münchener Biennale, des ZKM Karlsruhe, des SESC São Paulo, der Hutukara Associação Yanomami und des Teatro Nacional São Carlos in Lissabon. Weitere Vorstellungen finden vom 9. bis 12. Mai statt.
Davi Kopenava Yanomami, der Sprecher der indigenen Yanomami-Indianer
Davi Kopenava Yanomami, der Sprecher der indigenen Yanomami-Indianer© Susanne Burkhardt/ Hutukara Associação Yanomami