Die Frau im Judentum

Zwischen Prinzessin und Priesterin

Die Rabbinerin Elisa Klapheck ist eine von drei hauptberuflichen Rabbinerinnen in Deutschland. Sie ist in einer Synagoge in Frankfurt am Main.
Die Rabbinerin Elisa Klapheck ist eine von drei hauptberuflichen Rabbinerinnen in Deutschland. © Imago / epd
Von Alice Lanzke · 13.03.2015
Über die Stellung der Frau im Judentum wird seit Jahrtausenden debattiert - bis heute. "Frau und jüdisch. Zur Rolle und Bedeutung der Frau im Judentum", hieß etwa eine Tagung im Februar in Frankfurt am Main.
"Was möchte sie dann?"
"Die Scheidung. Sie will einen Scheidebrief – den Get!"
"Wollen Sie in die Scheidung Ihrer Frau einwilligen?"
"Nein, Euer Ehren."
In dem israelischen Film "Get" kämpft Viviane Ansalem fünf Jahre um das Recht, sich von ihrem Mann scheiden zu lassen. Das Problem: Eine in Israel geschlossene Ehe gilt erst dann als geschieden, wenn der Mann seiner Frau einen Scheidebrief, den Get, aushändigt. Die Initiative muss also von ihm ausgehen. Willigt er nicht in die Scheidung ein, kann die Frau zwar das Rabbinatsgericht anrufen. Doch können so Jahre vergehen, auch abhängig von der Kooperationsbereitschaft des Mannes.
Der Film hat in Israel für breite Kontroversen gesorgt, wirft er doch ein beklemmendes Licht auf die Stellung der Frau. Bei seiner Vorführung auf der Tagung "Frau und jüdisch", die von der Bildungsabteilung des Zentralrats der Juden organisiert wurde, zeigten sich die Zuschauerinnen erschrocken. Nur wenige konnten das Gesehene – die erzwungene Passivität von Viviane – mit ihrer eigenen Lebenswirklichkeit und ihrem Rollenverständnis als jüdische Frau in Verbindung bringen. Aber was bedeutet das eigentlich? Hat man als Jüdin automatisch eine bestimmte Rolle?
Rabbinerin Elisa Klapheck antwortet darauf:
"Ich glaube, es gibt keine Rolle heute. Es gibt nur freiwillig orthodoxe Frauen, die freiwillig diese Rolle nehmen und leben, aber auch sie könnten sich entscheiden, ob sie so oder anders leben wollen – das ist heute eine persönliche Entscheidung, wie man lebt. Es ist nicht so, dass vom Judentum her gesehen den Frauen diese Rolle gegeben wird."
Frauen können sich also frei entscheiden, welchen Platz sie in der Ausübung ihres Glaubens einnehmen wollen - indem sie sich innerhalb des religiösen Spektrums verorten. Eine orthodoxe jüdische Frau ist dabei anders sichtbar als etwa eine Reformjüdin. Beide werden in ihrem Glauben unterschiedliche Rechte und Pflichten für sich sehen.
So sagt auch Doron Kiesel, wissenschaftlicher Direktor der Bildungsabteilung:
"Das Thema 'Frauen im Judentum' ist eines, was im wesentlichen doch die unterschiedlichen Strömungen im Judentum charakterisiert, nämlich die Rolle der Frauen, die Aufgabenteilung, das Selbstverständnis von Frauen in den jeweiligen Strömungen."
Diese unterschiedlichen Strömungen waren auch bei der Tagung in Frankfurt am Main in ihrer ganzen Bandbreite vertreten: von der Orthodoxie über das konservative Judentum bis hin zu Reformbewegungen.
Drei Tage lang diskutierten fast 150 Frauen und eine Handvoll Männer darüber, wo die jüdische Frau in der Religion, aber auch im Alltag steht – eine Debatte, die nicht neu ist: Schon die Torah wirft die Frage nach der Beziehung der Geschlechter auf und das bereits mit der Schöpfungsgeschichte. Hier gibt es zwei Erzählungen: Einmal schuf Gott den Menschen als zunächst geschlechtsloses Wesen, das er dann in Mann und Frau teilte. Dann wieder schuf er zunächst den Mann und danach aus dessen Seite oder Rippe die Frau. Sind die beiden Geschlechter also gleichzeitig entstanden oder nacheinander? Und welche Bedeutung hätte dies jeweils?
In der Synagoge spielen Frauen keine sichtbare Rolle
Hier schafft die Torah ein Spannungsverhältnis, ohne es aufzulösen – Grundlage für eine Jahrtausende andauernde Diskussion. Diese habe allerdings insbesondere durch die Moderne neuen Zündstoff bekommen, wie die Sozialwissenschaftlerin Charlotte Fonrobert von der Universität Stanford betont:
"Es gibt immer schon Ansätze von Anfang an, sich über die Rolle der Frau Gedanken zu machen und wie Geschlechterbeziehungen zu gestalten sind und das ist schon in den klassischen Texten und dass es eben nicht nur von außen kommt, sondern von innen diese Diskussion geführt wird. Aber das sich der Status der Frau so radikal verändert hat wie erst im 20. Jahrhundert, das ist natürlich mit Produkt der gesamtgesellschaftlichen Zusammenhänge."
Doch wie sieht dieser Status eigentlich im Vergleich aus? Am meisten mit dem Vorwurf der Frauenfeindlichkeit hat wahrscheinlich die Orthodoxie zu kämpfen. Warum das so ist, weiß die Historikerin Rachel Heuberger aus der Frankfurter Gemeinde:
"Ich glaube, generell wird die Rolle der Frau im orthodoxen Judentum unterschätzt, weil sie im Rahmen der Synagoge keine sichtbare Rolle spielt. Die Synagoge ist der öffentliche Raum, wo das jüdische Ritual stattfindet, und für den orthodoxen Ritus ist da die Frau passiv, würde ich sagen. Sie ist nicht ausgeschlossen, aber sie sitzt in einer orthodoxen Synagoge getrennt von den Männern. Nur die Männer sind Rabbiner, nur die Männer sind Vorbeter, nur die Männer werden zur Torah aufgerufen."
Doch auch in der Orthodoxie findet eine Modernisierung statt: Mittlerweile entstehen international Talmud-Schulen für orthodoxe Frauen, die hier nicht nur die Grundlagen der Halacha, also der Religionsgesetze, lernen, sondern auch die mittelalterlichen Exegeten studieren. Andere orthodoxe Frauen sind als Beraterinnen bei Rabbinatsgerichten tätig oder berichten auf Blogs im Internet aus ihrem Alltag, um so gegen Vorurteile zu kämpfen.
Allein: In der Synagoge spielen sie weiterhin keine sichtbare Rolle. Ganz anders da das konservative oder liberale Judentum, in dem Frauen auch Rabbinerinnen werden können. So wie Gesa Ederberg, die als Masorti-Rabbinerin in Berlin arbeitet. Für sie gibt es einen ganz einfachen Grund, warum Frauen auch in der Synagoge eine aktivere Rolle spielen sollten:
"Weil einfach wir unheimlich Potenzial verschenken, wenn wir auf 50 Prozent derer, die in der Synagoge religiös leben, verzichten würden. Gleichzeitig muss man dazu sagen, dass tatsächlich Judentum eben nicht nur in der Synagoge stattfindet. Also Judentum zu Hause, klassische Domäne der Frau, Judentum im Bildungsbereich - und da muss auch ein bisschen den Fokus nochmal anders setzen."
"Den Fokus anders setzen": Genau das wollte die Bildungsabteilung mit ihrer Tagung erreichen. Denn wie deren Leiterin Sabena Donath erklärt, gehe es bei der Frauenfrage auch um die Zukunft des Judentums insgesamt:
Die Frau ist die Priesterin des Hauses
"Wir Frauen, Mütter oder Nicht-Mütter, sind tatsächlich mit solchen Fragen konfrontiert: Wie soll unsere jüdische Gemeinschaft erhalten bleiben? Und was ist dabei meine Aufgabe als Frau mit einer vielleicht modernen, säkularen Lebensführung im Gegensatz zu einer Lebensführung, die in der Orthodoxie vielleicht vorgegeben ist, die erst mal andere Rollen für mich vorsieht."
Als "Priesterin des Hauses" wird die Frau im Judentum gerne bezeichnet. Tatsächlich hat das Lernen auch für das weibliche Geschlecht eine lange Tradition: Als in Europa ein Großteil der Bevölkerung – und dabei insbesondere Frauen - weder lesen noch schreiben konnte, studierten Jüdinnen bereits eigene, so genannte "Weiberbibeln".
Zudem kennt die jüdische Überlieferung durchaus starke Frauenfiguren und weibliche Gelehrte. Und dennoch wirken bei der Zentralrats-Tagung einige Teilnehmerinnen verunsichert: Sollen sie nun alle in der Lage sein, aus der Torah zu leinen, also vorzubeten? Sollen sie alle aktivere Rollen in und um die Synagogen übernehmen?
Elisa Klapheck: "Ich selber, ich wollte es einfach. Ich hatte so einen Drang, meine Religion zu kennen. Ich habe irgendwann verstanden, dass es nicht reicht, das alles nur theoretisch zu wissen: Ich wollte aus der Torah lesen, ich wollte vorlesen, ich wollte die Bracha, den Segensspruch dazu sagen. Ich wollte diese Tradition wirklich ausüben. So war mir das nicht genug, einfach nur das zu studieren und eben auch zu wissen."
So beschreibt Elisa Klapheck ihre Motivation. Tatsächlich lässt das heutige plurale Judentum jeder Frau die Wahl, in welcher Form und mit welcher Rolle sie ihren Glauben leben will – ein Glücksfall, wie Rabbinerin Ederberg sagt:
"Da entsteht eine Vielfalt, die ist fantastisch. Also es gibt eben nicht die Rolle der Frau im Judentum, es gibt zig Rollen von ganz unterschiedlichen Frauen in ganz verschiedenen Judentümern."
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