Die Frage ist, "wer diese Show will"

27.05.2011
Der frühere Staatsminister im Auswärtigen Amt, Christoph Zöpel, wirft den G8-Staaten vor, ihren Einfluss in der Welt zu überschätzen. Es gehe bei den Treffen der Staatschefs vor allem um Bilder.
André Hatting: Der arabische Frühling, die Verbreitung von Atomwaffen, IWF-Nachfolge, die Reaktorkatastrophe in Fukushima – ach ja, und Internetkriminalität, auch ganz wichtig. Das war eine Übersicht der Themen des G8-Gipfels in Deauville, sicher nicht mal vollständig, und genau 25 Stunden – das ist das Zeitfenster der Staatschefs, um diese Liste abzuarbeiten. Zeitfenster, na ja, es klingt eher nach einem Mauseloch. Am Telefon ist jetzt Christoph Zöpel, Zöpel war bis 2002 unter Joschka Fischer Staatsminister im Auswärtigen Amt, kennt also solche Großveranstaltungen aus eigener Erfahrung. Guten Morgen, Herr Zöpel!

Christoph Zöpel: Einen schönen guten Morgen!

Moderator: Gestern zum Auftakt ein gemeinsames Mittagessen, zum Nachtisch dann Fukushima. Wieso werden so wichtige Themen wie die Zukunft der Kernkraft so kurzatmig behandelt?

Zöpel: Man kann eine Antwort von zwei Seiten geben, damit das Ganze nicht zu abstrus wirkt: Alle diese Themen werden sehr lange vorbereitet, und es wäre ja auch kaum zu verantworten, wenn die Regierungs- und Staatschefs von diesen acht großen Ländern sagen, wir kommen zusammen und dann fällt uns was ein. Also das wird monatelang vorbereitet, und die Dokumente, die zum Schluss veröffentlicht werden, sind von den Beamten entweder der Kanzleien der Chefs der Außenministerien vorbereitet. Dass sie selber darüber diskutieren können, kann man ausschließen. In solchen Runden haben Sie vielleicht die Chance, ein oder zwei Punkte anzusprechen jeder, dann ist die Zeit um. Also das eigentliche Zusammentreffen hat schon einen hohen Theatereffekt.

Hatting: Das ist also vor allem Symbol und Show für die Welt?

Zöpel: Das kann man so sagen. Ich habe mir damals und ich mache mir heute Gedanken, wer diese Show will, wenn ich das einfach sagen darf. Es geht ja um Bilder. Als ein solcher Gipfel in Heiligendamm, in Deutschland stattfand, war das ja besonders auffällig. Es ging um Bilder, aber ich hatte manchmal den Eindruck, der Kur- und Stadtverwaltung Heiligendamm waren die Bilder ganz recht. Und es gibt, verzeihen Sie das, dass ich das in einem Gespräch mit einem Journalisten sage, es gibt tausende Journalisten, die diese Bilder machen. Würden die nicht gemacht, fände das auch nicht statt. Also offenkundig braucht oder will die Welt derartige Bilder, und die Staatschefs kommen dem nach. Ob es ihnen wirklich nützt, ist offen, aber unter diesem Gesichtspunkt wird diese Inszenierung durchgeführt.

Hatting: Sie haben gerade erklärt, dass die Papiere monatelang vorher vorbereitet werden, die dann später veröffentlicht werden, also geht es dort dann wirklich nur um ganz kurzes Tête-à-tête, es wird nicht viel ausgetauscht. Man will zum Beispiel – das war im Vorfeld zu lesen – zum Thema Nordafrika auch ein Signal aussenden, ja, Signal, da ist man wieder geneigt, in ehrfürchtiges Gähnen auszubrechen. Wie viel politische Macht hat diese Veranstaltung wirklich?

Zöpel: Da stimme ich Ihnen vollständig zu. Den - ich sage ganz bewusst - schwierigen oder aus meiner Sicht kaum vorhersehbaren Ereignissen in den arabischen Staaten wird man nicht durch ein Signal gerecht, und vermutlich liegt hier ein Punkt, wo auch all diese Staaten den Eindruck erwecken, sie überschätzten sich mit den Möglichkeiten des Einflusses. Das Maximum, was sie können, sind dann im Falle Libyens militärische Angriffe, nach der amerikanischen Logik ohne dass möglichst eigene Truppen betroffen werden, was den armen Soldaten natürlich zu gönnen ist. Dennoch macht das ein fragwürdiges Bild, und sonst dürfte das sehr, sehr schwer beeinflussbar sein, was dort geschieht. Und von daher glaube ich, dass man mit Signalen der Sache kaum gerecht wird.

Hatting: Ein konkretes Ergebnis immerhin gab es ja schon: Die G8-Staaten wollen ihre Atomkraftwerke noch einmal überprüfen. Welche konkreten Ergebnisse erwarten Sie noch?

Zöpel: Neu ist sicherlich das Thema Internet, obwohl es delikat ist. Es gab bisher noch keinen Gipfel dazu. Dass man sich darüber Gedanken macht – ich fand es gut, dass auf höchster Ebene die Beamten Überlegungen getroffen haben, inwieweit auch in diesem Bereich abzuwägen ist zwischen Freiheit und Schutz der Rechte von Menschen, die natürlich im Internet auch negativ betroffen sein können. Ja, bei den Kernkraftwerken wird kaum Bedeutsames herauskommen. Im Augenblick entscheidet noch jeder Staat selber, was er tut, und hier sind natürlich die G8 genauso Getriebene wie jeder einzelne Staat durch die erschreckende Erkenntnis, dass die Ingenieure sich maßlos überschätzt haben bei der Beherrschbarkeit.

Hatting: Jetzt haben wir so ein bisschen geschimpft, wir haben von Show-Veranstaltung gesprochen, wenn es um den G8-Gipfel geht. Wie sähe denn eine effektivere internationale Zusammenarbeit aus?

Zöpel: Die Effizienz liegt immer im Ergebnis, und hier kann man sich über kleine Ereignisse natürlich punktuell verständigen. In anderen Fällen ist es eine Frage der Kontinuität zunächst mal, das ist ein Aspekt, der andere Aspekt ist: Wie effizient sind diese Regierungschefs und Staatschefs der G8 überhaupt noch? Eine Kontinuität wäre eindeutig notwendig weiterhin im Bereich der Regulierung der globalen Finanzmärkte. Das ist auf den Weltgipfeln begonnen worden, das vermisse ich sehr, dass hier darüber nicht gesprochen wird, und da kommt der Bezug zu der Frage: Was symbolisieren oder was repräsentieren diese G8 überhaupt noch in dieser Welt?

Ich meine, es wird der Eindruck erweckt, dass weiterhin die Staaten, die sich selbst "der Westen" nennen, die Weltentwicklung beeinflussen könnten. Das ist ja, wie sich gezeigt hat, im Rahmen der globalen Finanzproblematik gar nicht mehr der Fall. Ich meine, die G8 täten gut daran, ein wenig Bescheidenheit zu dokumentieren und sich drauf zu konzentrieren auf die Konferenzen, ob die nun G20 heißt oder anders, aber mit den beiden bevölkerungsreichsten Staaten der Welt mit Abstand, also China und Indien, sich zu konzentrieren und nicht durch diese …

Hatting: Herr Zöpel, Sie sprechen G20 an. Brauchen wir eigentlich noch beide Veranstaltungen, oder ist G20 längst wichtiger als G8?

Zöpel: Ich würde meinen, mit dem Anspruch, globale Politik zu machen, sind G20 vielleicht sogar noch mit einem erweiterten Format, das in irgendeiner Form alle Menschen der Welt – G20 repräsentiert zwei Drittel der Menschen – repräsentiert, zu konzentrieren, und nicht den Eindruck zu erwecken, G8, also die USA, einige europäische Staaten und Russland, würden noch bestimmen können, was in dieser Welt geschieht. Ich glaube, in der Symbolik liegt viel Kontrafaktisches. Jetzt kann man zwei Interpretationen haben: der Welt was vormachen oder sich selbst.

Hatting: Ja, das werden wir heute erleben, denn heute geht der G8-Gipfel in Deauville auch schon wieder zu Ende. Das war Christoph Zöpel, bis 2002 Staatsminister im Auswärtigen Amt. Herr Zöpel, ich danke Ihnen für das Gespräch!

Zöpel: Ich darf Ihnen auch danken! Wiederhören!