Die Folgen von Fukushima

Von Udo Pollmer · 01.05.2011
Die Atomkatastrophe von Tschernobyl jährt sich gerade zum 25. Mal, da werfen die Atomruinen in Fukushima Schatten aufs Gemüt. Die Experten sind sich einig: Es droht keine Gefahr durch verstrahlte Lebensmittel. Aber wird das auch so bleiben?
Der Gedenktag von Tschernobyl war für die Medien willkommener Anlass, uns vor der Strahlengefahr in Wildschweinen und Waldpilzen zu warnen. Noch immer überschreiten einzelne Exemplare die Höchstmengen in Sachen Cäsium. Dank einer intensiven Aufklärung pflegen wir derartige Befunde stets den Russen in die Schuhe zu schieben. Doch da gibt es Zweifel. Denn die Kollegen in den Labors haben damals Irritierendes gemessen: Sie versicherten in privater Runde, sie hätten bei manchen Tieren, die vor der Katastrophe geschossen worden waren, deutlich höhere Gehalte gefunden als nach Tschernobyl. Offenbar gibt es mehr Quellen für radioaktive Belastungen.

Fukushima wird andere Folgen haben als Tschernobyl, schon allein deshalb, weil es ein ganz anderer Reaktortyp ist. In Japan sind vor allem das Erdreich und das Grundwasser gefährdet. Die riesigen Mengen an verseuchtem Kühlwasser werden vorerst noch in Betonbecken gelagert, aber spätestens beim nächsten Beben oder Tsunami wird sich das Zeug im Meer wiederfinden. Dort wird es von der Meeresströmung, dem Schwarzen Strom, auch Japanstrom genannt, in den Pazifischen Ozean geschwemmt. Da werden hin und wieder auch Partikel in unsere Speisefische gelangen.

Aber das ist selbst im ungünstigsten Fall unbedeutend gegenüber den Unmengen an Atommüll, der im Meer versenkt wurde. Die alten Fässer rosten allmählich durch – wie Rückstandsanalysen zeigen. Dazu kommt reichlich Radioaktivität aus der Nutzung von Erdöl. Bei Bedarf können wir vor unserer eigenen Türe kehren: Die Öl- und Gasförderungen im Meer tragen zu einer – ich zitiere das Institut für Fischereiökologie in Hamburg – "zu einer erheblichen Kontamination der Nordsee" bei. Strahlendes Radium oder Polonium sind speziell in den Öl- und Gasvorkommen gebunden. Nun sind sie im Fisch. Aber es ist immer noch viel weniger als in der Ostsee – denn die wirkt als Sammelbecken.

Und wie ist das mit den Kohlekraftwerken oder Kohleöfen oder Grillgeräten? Die werden auch mit Energieträgern aus der Erdkruste befeuert. Weltweit setzt das Verbrennen von Kohle etwa 10.000 Tonnen Uran und 25.000 Tonnen Thorium frei. Selbst der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland warnt davor, die Emissionen radioaktiver Substanzen durch den Betrieb von Kohlekraftwerken zu unterschätzen. Thorium hat schließlich eine Halbwertszeit von 14 Milliarden Jahren.

Deshalb kann auch Mineralwasser einiges an Radioaktivität aufweisen, schließlich nimmt es bei seinem Weg durchs Gestein alles an Mineralien mit, was nicht niet- und nagelfest ist. Die Strahlenschutzverordnung geht bei der Berechnung der Belastung davon aus, dass der Verbraucher höchstens einen Liter Mineralwasser am Tag trinkt. Wer mehr konsumiert, ist selber schuld. Für Leitungswasser gelten naturgemäß strengere Anforderungen. Da gibt es sogar eine Höchstmenge für die Radioaktivität.

Doch die heutige Strahlenbelastung verblasst gegenüber den zahllosen radioaktiven Wolken, die in den 1960er Jahren alle naslang um den Globus zogen. Tschernobyl war da nur ein fernes Wetterleuchten im Vergleich zu den 2000 Atomwaffentests, die meisten davon oberirdisch. Die Belastungen der Bevölkerung mit Radionukliden erreichten so enorme Dosen, dass sogar die Militärs ein Einsehen hatten und auf weitere Versuche verzichteten. Der Fallout war so groß, dass man heute noch bei den zwischen 1950 und 1965 Geborenen am Strontium im Knochen das Geburtsjahr ermitteln könnte.

Doch damals haben Behörden und Zeitungen jedes Risiko abgestritten. Den Bürgern wurde empfohlen, sich im Falle eines Atomschlags einfach eine Zeitung über den Kopf zu halten. Heute übertreffen sie sich die Medien mit Horrorszenarien. Da ist es wohl auch in Zukunft das Beste, die Zeitung nicht zu lesen sondern lieber Hütchen daraus zu falten, oder seine Fischbrötchen damit einzuwickeln oder sie anderweitig schnell hinter sich zu bringen. Mahlzeit?

Literatur:
Braun M: The Fukushima Daiichi incident. Areva, Paris 26. April 2011
Jaworowski Z: Observations on Chernobyl after 25 years of radiophobia. 21st Century Science & Technology 2010; Summer: 30-46
Beyermann M et al: Strahlenexposition durch natürliche Radionuklide im Trinkwasser in der Bundesrepublik Deutschland. Bundesamt für Strahlenschutz, Salzgitter 2009
Krylov DA: Radiation hazard stemming from coal-fired thermal power stations for population and production personnel. Thermal Engineering 2009; 56: 566-569
McBride JP et al: Radiological impact of airborne effluents of coal and nuclear plants. Science 1978; 202: 1045-1050
Hvistendahl M: Coal ash is more radioactive than nuclear waste. Scientific American 13. Dec. 2007
Jansen D: Radioaktivität aus Kohlekraftwerken. BUND Hintergrund, Nov. 2008
Kanisch G et al: Entweicht Radioaktivität aus den Abfallfässern im nordostatlantischen Versenkungsgebiet? Informationen für die Fischwirtschaft aus der Fischereiforschung 2003; 50: 24-27
Lehto J: Americium in the Finnish environment. Boreal Environment Research 2009; 14: 427-437
Calmet DP: Ocean disposal of radioactive waste: status report. IAEA Bulletin 1989; H.4: 47-50
Rieth U, Kanisch G: Atomtests, Sellafield, Tschernobyl und die Belastung der Meere. ForschungsReport 2011; H.1; 31-34
Bundesamt für Strahlenschutz: Natürliche Radioaktivität in Mineralwässern. Pressemeldung 23. August 2010
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