Die ersten Juden in Hamburg kamen von weit her

Von Dirk Schneider · 19.08.2011
Bis 1840 hatte Hamburg die größte jüdische Gemeinde im Deutschen Reich, bis 1933 immerhin noch die viertgrößte, mit rund 23.000 Mitgliedern. Spuren des kulturellen Reichtums, den die jüdischen Bürger der Hansestadt gebracht haben, finden sich zahlreiche.
Genau 400 Jahre besteht der jüdische Friedhof Königstraße in Hamburg-Altona. Unter hohen alten Bäumen liegen die Ruhestätten von Aschkenasen, bezeichnet durch die oft schiefen, moosbesetzten Grabsteine und die der Hamburger Sepharden. Sie erkennt man an den liegenden Grabplatten – und an den schmuckvollen Verzierungen, denn die Sepharden, die als erste Juden überhaupt in Hamburg leben durften, waren überwiegend wohlhabende Kaufleute. Sie kamen im 16. Jahrhundert von der Iberischen Halbinsel, wo sie zwangsgetauft worden waren und dennoch vor der Inquisition fliehen mussten. Ihr Geld und ihre Handelsbeziehungen waren ihre Eintrittskarte in die spröde, protestantische Hansestadt. Ihnen erst durften deutsche Juden nachfolgen, von denen es einige zu großer Bedeutung gebracht haben.

"Wir gehen jetzt da ganz hinten in die Ecke zu den zwei berühmtesten Gräbern aus jüdischer Sicht."

Dass dieser Friedhof ein Kulturdenkmal ist, dürften einige Hamburger wissen. Wie bedeutend er ist, erfahren die meisten Interessierten aber erst bei einer Führung, die jeden Sonntag, außer an jüdischen Feiertagen, angeboten wird:

"Einmal das hier ist Rabbi Emden, und hier, das ist Rabbi Eibeschütz. Es gibt im jüdischen Glauben eine sehr starke Erinnerungskultur. Und zu dieser Erinnerungskultur gehört auch, dass man die Gräber der Verstorbenen besucht und dort betet. Und man betet nicht nur an den Gräbern der eigenen Verwandtschaft, sondern auch an den Gräbern berühmter Persönlichkeiten. Und Rabbi Emden und Rabbi Eibeschütz sind beide berühmt, weil sie theologisch wichtige Bücher geschrieben haben, die im orthodoxen und ultraorthodoxen Judentum heute rezipiert werden. Wir haben hier also wirklich wegen diesen beiden Gräbern Besucher aus der ganzen Welt, vor zwei Monaten war ein Herr aus Singapur hier, der ist quasi in Tränen ausgebrochen dass er es noch erleben darf, hier an diesen Gräbern zu sein. Es gibt auch einen Rabbiner aus Antwerpen, der kommt zwei- bis dreimal im Monat hier her, um zu beten."

Wer in jüdisch-orthodoxen Kreisen nicht einmal weiß, wo Hamburg liegt, bekommt beim Namen Altona leuchtende Augen. In Hamburg selbst gibt es kaum noch Juden, die dieses Erbe kennen. Für Michael Studemund-Halévy sind die Friedhöfe der erste Anlaufpunkt für jeden, der sich für die jüdische Geschichte der Hansestadt interessiert:

"Weil einem Gebäude sieht man nicht an, dass es jüdisch ist. Und in viele Gebäude komme ich auch nicht rein. Hamburg hat noch sieben jüdische Friedhöfe. In der Nazizeit wurde einer richtig zerstört, gegen das Gesetz zerstört, ein Friedhof wurde nach Gesetz zerstört, die anderen sind noch erhalten, das heißt, da haben wir eine kompakte jüdische Geschichte ohne Unterbrechung."

Michael Studemund-Halévy sitzt im jüdischen Cafe Leonar im Hamburger Grindelviertel vor einer Apfelschorle. Wenn er von der jüdischen Geschichte der Hansestadt erzählt, kommt er ins Schwärmen. Dann blitzen seine Augen unter den grau melierten Brauen, und sein Gegenüber lauscht gebannt. Dagegen nimmt sich der Stadtführer durch das jüdische Hamburg, den der studierte Psycholinguist und Dozent für Judenspanisch diesen Sommer herausgegeben hat, fast nüchtern aus.

Das 240 Seiten starke Buch bietet einige Rundgänge auf jüdischen Spuren an – in erster Linie aber ist es ein Lexikon, das Orte jüdischen Lebens in Hamburg verzeichnet, in alphabetischer Reihenfolge. Die allermeisten von ihnen sind allerdings zerstört oder werden nicht mehr jüdisch genutzt. Wie reich die Geschichte des jüdischen Hamburgs ist, sieht man der Stadt heute nicht mehr an.

Studemund-Halévy möchte mit seinem Buch die Möglichkeit bieten, an eine jüdische Tradition anzuknüpfen. Denn die meisten der etwa 3.000 Juden, die heute in Hamburg leben, haben keine Wurzeln in der Stadt:

"Es sind überwiegend Einwanderer aus den GUS-Staaten, das heißt, sie haben mit Hamburg wenig zu tun, um ihnen zu zeigen, wie reich Hamburg eigentlich an jüdischer Geschichte war, ist auch dies Buch geschrieben worden. Um zu zeigen: Man kann aufbauen auf dem, was einmal war und viele haben mir gesagt sie wussten ja gar nicht, dass es vor ihnen Juden in Hamburg gab. Und ich glaube, wenn man das Buch durchgelesen hat und sieht, welche Persönlichkeiten Hamburg gebildet haben, kann man auch stolz sein auf die jüdische Geschichte Hamburgs."
Es gab die berühmte Familie Mendelssohn, die den Philosophen Moses Mendelssohn und den Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy hervorgebracht hat. Es gab berühmte Rabbis und die Familie Warburg, bedeutende Frauen wie Agathe Lasch, die erste Germanistikprofessorin Deutschlands und Männer wie den Philosophen Ernst Cassirer. Fast noch interessanter aber sind die Spuren des jüdischen Alltags, bei dessen Suche Studemund-Halévys Stadtführer ein auskunftsfreudiger Begleiter ist. Der auch alteingesessenen Hamburgern verrät, dass geläufige Straßennamen wie Wohlwill oder Haller an jüdische Tradition erinnern. Studemund-Halévy hat seine Apfelschorle ausgetrunken und bittet vor die Tür, zum ehemaligen Zentrum des jüdischen Lebens in Hamburg:

"Also hier, wo wir jetzt stehen, am Josef-Carlebach-Platz, benannt nach dem letzten Hamburger Oberrabbiner, hier stand die Hauptsynagoge. Und diese Synagoge, die Bornplatzsynagoge, wie sie benannt war, hatte die besondere Bedeutung als sie die erste frei stehende Synagoge in Hamburg war. Früher mussten Synagogen sich verstecken, also im Hintereingang, einem Christen konnte man nicht zumuten, sie zu sehen. Und eine Synagoge durfte, gleichgültig, welche Architektur, niemals höher sein als eine der christlichen Kirchen. Und hier in der Gegend hier am Grindel, wo die Hauptsynagoge stand, gab es auch weitere Synagogen.

Wenn man jetzt auf die andere Seite schaut von der Synagoge, hat man kleine Straßen, die vor 1933 überwiegend von Juden bewohnt waren. Da gab es jüdische Einrichtungen, wie etwa Privatsynagogen, die in einem Stockwerk untergebracht waren. Eine Variante ist eigentlich ganz hübsch in der Heinrich-Barth-Straße dort, die Synagoge wurde komplett zusammengepackt und wurde nach Stockholm verbracht, wo sie heute noch steht."

Und nicht nur das Grindelviertel, wo vor der Shoah ein Drittel der damals 23.000 Hamburger Juden lebte, ist Thema für Studemund-Halévy, sondern ebenso das jüdische Wandsbek, die Neustadt und die Stadtteile südlich der Elbe. Bebildert ist das Buch neben aktuellen Aufnahmen mit historischen Fotografien, die meisten von ihnen stammen aus der Sammlung des in Auschwitz ermordeten Rabbiners Eduard Dukesz. Die zahlreichen historischen Porträts hat der Hamburger Maler Otto Quirin kostenlos zur Verfügung gestellt. Viel Arbeit steckt in diesem Buch. Vielleicht, so hofft Studemund-Halévy, könnte es ein Grundstein werden für eine Fortsetzung des jüdischen Lebens in Hamburg und in Deutschland. Schließlich kamen die ersten Juden in Hamburg auch von weit her.

Das Buch "Im Jüdischen Hamburg. Ein Stadtführer von A bis Z" ist im Dölling und Galitz Verlag erschienen. Es hat 240 Seiten und kostet 19,90 Euro.
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