Die erste deutsche Moschee

Mekka unter märkischen Kiefern

10:29 Minuten
Moschee im Gefangenenlager für mohammedanische Soldaten in Wünsdorf-Zossen bei Berlin
Moschee als Propagandainstrument: Im brandenburgischen Wünsdorf wurden Muslime gegen ihre Kolonialherren aufgestachelt. © picture alliance/dpa/akg-images
Von Christoph Richter · 05.03.2020
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Die erste Moschee in Deutschland stand in Brandenburg. Im Ort Wünsdorf wollte das Kaiserreich muslimische Kriegsgefangene zu islamistischen Terroristen ausbilden. Heute steht an der Stelle ein Flüchtlingscamp, doch ein Gedenkort fehlt.
"Wir stehen auf der Moschee-Straße." Archäologe Thomas Kersting vom brandenburgischen Landesamt für Denkmalpflege zeigt auf einen gepflasterten Parkplatz in Wünsdorf, das an der Bahnstrecke Berlin-Dresden liegt. Von einer Moschee ist überhaupt nichts zu ahnen. 1915 wurde sie geplant und gebaut. Vom Deutschen Kaiserreich, zu Zeiten des Ersten Weltkriegs.
"Unter dem Parkplatz liegen die Reste, die archäologischen Reste der Moschee, die sich in sito – also an Ort und Stelle – befinden. Das haben wir genau nachweisen können. Daran erinnert jetzt weiter nichts, außer unseren Plänen und Dokumentationen."
Die Wünsdorfer Moschee gilt heute als der älteste religiöse Bau des Islam in Deutschland, ja sogar in ganz Mitteleuropa, so Thomas Kersting:
"Die tatsächlich auch als Gebetshaus errichtet worden ist. Es gibt ja auch diese Deko-Moscheen in den herrschaftlichen Parks in Süddeutschland irgendwo. Oder das Maschinenhaus in Potsdam, das kann man keinesfalls als Moschee im klassischen Sinn bezeichnen. In der Tat, das hier ist die älteste Moschee, die als Gebetshaus gedacht und genutzt worden ist."

Archäologische Ausgrabungen seit 2015

Die "Berliner Morgenpost" schrieb damals von dem deutschen Mekka in Wünsdorf unter märkischen Kiefern.
"Wenn man sich diesen Bau betrachtet, so wie der auf Fotos vorhanden ist, dann sieht man: Da stecken drin Elemente. Die reichen vom islamischen Spanien über die islamischen Bauten in Kairo und als Grundform der Felsendom in Jerusalem. Ein ganz wichtiges Bauwerk für den Islam. Bis hin zu türkischen Moscheen-Bauten, das Minarett ist ganz eindeutig in den Stil türkischer Moscheen gehend. Bis hin zum Mogulreich in Indien."
Reinhard Bernbeck vom Vorderasiatischen Institut der FU Berlin ist einer der Archäologen, die 2015 an Forschungsgrabungen auf dem Areal der Moscheeanlage beteiligt waren. Man habe wenige persönliche Gegenstände gefunden, aber Überreste der in Holzleichtbauweise errichteten Moschee wie beispielsweise eine eiserne Kronleuchteraufhängung, erzählt Altertumsforscher Bernbeck:
"Aber auch Reste von der Kuppel waren da. Und dann war ein Blitzableiter von dem Minarett dabei. Dann Stücke von den Fenstern des Moscheebaus, ein bisschen Bunt-Glas. Grün und Blau. Und zerbrochene Kacheln von dem Waschraum für die rituellen Waschungen. Das war alles vorhanden."
Konstruiert wurde die Wünsdorfer Moschee von Karl Bernhard, einem der wichtigsten Bauingenieure seiner Zeit. Gebaut in nur fünf Wochen. Für die Menschen muss es damals einigermaßen ungewöhnlich gewesen sein, dass man im märkischen Wünsdorf keine Kirchenglocken hörte, sondern den Muezzin. Aufgenommen durch die Phonografische Gesellschaft in Preußen.
Im Juli 1915 wurde die Moschee eröffnet, in der gerade einmal 400 Menschen Platz fanden. Sie stand im Zentrum eines Kriegsgefangenenlagers für Muslime, dem sogenannten Halbmondlager.

Propagandamoschee und Dschihadistenlager

Errichtet wurde die Moschee auf Wunsch des Muftis von Istanbul. Keine Großzügigkeit und Selbstlosigkeit des Deutschen Kaisers. Denn das muslimische Gotteshaus war als reine Propaganda-Moschee konzipiert. Das heißt: Sie war Teil der deutschen Dschihad-Propaganda. Die makabre Idee dahinter: Islamische Gefangene aus dem Ersten Weltkrieg sollten durch eine bevorzugte Behandlung für einen Heiligen Krieg gewonnen bzw. indoktriniert werden, erzählt Heike Liebau. Sie ist Indologin und forscht am Berliner Leibniz-Zentrum Moderner Orient über die Schicksale der muslimischen Kriegsgefangenen während des Ersten Weltkriegs.
"Deutschland nannte das die 'Revolutionierungsstrategie'. Es ging darum: Menschen anzustacheln gegen ihre Kolonialmächte. Mit der Idee, dort Unruhen zu schüren und Menschen bereit zu machen, sich gegen die eigenen Herrscher aufzulehnen."
Moschee im Halbmondlager Wünsdorf
Das sogenannte Halbmondlager wurde nach nur einem Jahrzehnt wieder abgerissen.© picture alliance/dpa/akg-images
In der Wünsdorfer Moschee, so Liebau weiter, fand letztlich auch die feierliche Vereidigung für Dschihad-Kämpfer statt, die dann in den Heiligen Krieg gegen die Kolonialmächte geschickt wurden. Eine Strategie, die nie aufging. Von mehr als 2000 Dschihadisten ist die Rede, die man ins Osmanische Reich brachte. Doch die meisten desertierten, sagt Liebau:
"Das Wünsdorfer Lager war sozusagen das Vorzeigelager für muslimische Kriegsgefangene. Auch um das Bild, was Deutschland ja vorher schon kreiert hat, eines islamfreundlichen Landes. Tenor: Seht her, hier können Muslime ihrer Religion folgen. Sie werden entsprechend ihrer religiösen Vorschriften versorgt und ernährt. Das wollte man nach außen vermitteln."

Rasseforschungen im Gefangenenlager

Eine Geschichte, die in der breiten deutschen Öffentlichkeit weitgehend unbekannt ist. Mehr noch: Das brandenburgische Wünsdorf ist ein Ort, der an das dunkle Kapitel des Kolonialismus in Deutschland erinnert. Er symbolisiert, mit welcher Herablassung und mit welcher kolonialistischen Überlegenheitsgeste Menschen muslimischen Glaubens in Deutschland Anfang des 20. Jahrhunderts behandelt wurden. Denn die Kriegsgefangenen wurden zu wissenschaftlichen Objekten deutscher Ethnologen degradiert. Man nutzte die Internierten in zynischer Weise für wissenschaftliche Feldforschungen, ohne dass sie sich hätten dagegen wehren können.
"In Wünsdorf waren es vor allem Sprachaufnahmen. Es gab aber auch anthropologische Vermessungen, die dann später natürlich eingeflossen sind in Rassestudien, in Rasseforschungen, die unter dem Nationalsozialismus betrieben wurden."
Die Tonaufnahmen lagern im Lautarchiv der Berliner Humboldt-Universität. Darunter ist auch ein Lied von russischen und tartarischen Kriegsgefangenen. In Wünsdorf aufgenommen von der preußischen phonographischen Gesellschaft mit einem Walzen Phonographen des amerikanischen Erfinders Thomas Alva Edison.

Flüchtlingslager statt Museum

Heute erinnert in Wünsdorf kaum etwas an die Moschee und die Kriegsgefangenen-Lager. Der ursprüngliche Erinnerungsstein ist verschwunden. An der Stelle befindet sich stattdessen eine Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete. Die blauen Wohncontainer stehen fast alle leer. Nur wenige Asylsuchende sind zu sehen.
"Historisch und von der Symbolik her ist es ein Fakt, über den man nachdenken sollte, nachdenken müsste."
Meint Wissenschaftlerin Heike Liebau. Denn genau dort, wo einst der Dschihad mit Hilfe Deutschlands geplant wurde, befindet sich heute ein Schutzort. Für Menschen, die vor eben jenem Dschihad fliehen, den die Deutschen einst versuchten anzuheizen. "Eine merkwürdige Ironie der Geschichte, die hier greifbar wird", sagt der brandenburgische Landesdenkmalschützer Thomas Kersting und spricht von einem Zirkelschluss deutscher Geschichte:
"Diese Dinge, die heute im Nahen und Mittleren Osten passieren, sind ja immer noch virulent, weil damals die Kolonialmächte vor 100 Jahren die Weichen einfach falsch gestellt haben. Die bis heute nicht wieder behoben werden konnten."
Im brandenburgischen Wünsdorf werde das mehr als deutlich, ergänzt noch Archäologe Reinhard Bernbeck. Nun müsse überlegt werden, wie mit dem Ort Wünsdorf, dem Erbe des Kolonialismus, umgegangen werde. Er bringt die Idee eines eigenen Museums ins Gespräch, in dem die Archivalien der einstigen Kriegsgefangenen, wie Bilder, Filme und Tonaufnahmen zusammen geführt werden könnten. Um den Menschen von damals, die damals zu Objekten gemacht wurden, die Würde zurück zu geben.
"Was wir ändern können, wie damit umgegangen wird. Dann hätte ich schon mal erwartet, dass man da – wo das Halbmondlager gestanden hat – irgendetwas hinbaut, was nicht ein Erstaufnahmelager für heutige Flüchtlinge ist, sondern ein kleines Museum."

Wünsdorf besser geeignet als Humboldt Forum

Es gebe zwar ein ehrenamtlich betriebenes Heimatmuseum in Wünsdorf, schiebt Bernbeck noch hinterher. Doch die Verantwortlichen vor Ort seien überfordert, die Geschichte des Kolonialismus in Wünsdorf adäquat abzubilden. Und: Es sei absurd, dass man demnächst die Dokumente der Kolonialgeschichte im Berliner Humboldt Forum unterbringen wolle. Im Nachbau des Hohenzollernschlosses. Dort wo einst die Herrscher residierten, die für den Kolonialismus maßgeblich verantwortlich waren:
"Ich halte den Ort Humboldt Forum für völlig falsch."
Reinhard Bernbeck schüttelt irritiert den Kopf. Wünsdorf sei der viel bessere Ort, um die dunkle Geschichte abzubilden. Auch Indologin und Kulturwissenschaftlerin Heike Liebau fordert, Wünsdorf als Gedenkort des Kolonialismus sichtbar zu machen:
"Das andere ist aber auch, die Erinnerung wach zu halten mit Schulprojekten, mit Diskussionsrunden, Vorträgen, es gibt ja viele Möglichkeiten, Erinnerung zu gestalten. Vielleicht muss man das noch intensivieren."
Vergessen werden darf dabei aber nicht, dass in Wünsdorf während der Zeit des Nationalsozialismus der Sitz des Oberkommandos der Wehrmacht war, die für viele Menschheitsverbrechen verantwortlich war. Später war es Sitz des Oberkommandos der Sowjetstreitkräfte in Deutschland. Zu DDR-Zeiten eine verbotene Stadt. Die Geschichten: In Wünsdorf überlagern sie sich. Die Geschichte vom deutschen Kolonialismus in Wünsdorf wird aber gerade erst wiederentdeckt.
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