"Die Entscheidung wurde aus dem Stand heraus getroffen"

Mohammed Hanif im Gespräch mit Britta Bürger · 14.05.2009
Der Autor Mohammed Hanif hat kritisiert, dass in Pakistan wieder das islamische Recht der Scharia gilt. "Es hat keinerlei Unterstützung seitens der Bevölkerung für diese Entscheidung gegeben", sagte Hanif, der zurzeit mit seinem ersten Roman "Eine Kiste explodierender Mangos" auf Lesereise in Deutschland ist.
Britta Bürger: Nachdem der pakistanische Journalist und Schriftsteller Mohammed Hanif zehn Jahre lang in London gelebt hat, ist er im vergangenen Jahr für die BBC nach Pakistan zurückgekehrt. Zuvor hatte er noch seinen ersten Roman veröffentlicht, der gleich für den renommierten Man Booker Prize nominiert wurde und jetzt auf Deutsch erschienen ist. "Eine Kiste explodierender Mangos" heißt das Buch, eine Satire über die pakistanische Militärdiktatur der 80er-Jahre.

Mohammed Hanif ist mit diesem Buch derzeit auf Lesereise unterwegs, und ich hatte die Gelegenheit, mit ihm über die aktuelle Situation in seinem Heimatland zu sprechen – zunächst mit Blick auf die Situation im Swat-Tal und die Einführung der Scharia. Ich habe Mohammed Hanif gefragt, welchen Rückhalt die pakistanische Regierung eigentlich für diese Entscheidung in der Bevölkerung hatte.

Mohammed Hanif: Es hat keinerlei Unterstützung seitens der Bevölkerung für diese Entscheidung gegeben. Diese Entscheidung wurde aus dem Stand heraus getroffen. Ich war erst vor zwei Monaten im Swat-Tal, kurz bevor diese Entscheidung getroffen worden ist, und ich habe mich bei den Leuten umgehört, sie waren alle sehr verängstigt, nichts funktionierte. Die öffentliche Verwaltung war zusammengebrochen, es gab eine fühlbare Präsenz der Polizei oder der Armee, alle waren untätig. Und in dieser Situation erklärte die Regierung, dass das Zulassen der Scharia für die Taliban der einzige Weg zum Frieden sei. Und auf dieser Grundlage wurde dann die Scharia zugelassen.

Bürger: Gerade für die Frauen bedeutet die Einführung der Scharia ja einen kaum vorstellbaren Rückschritt – also extreme Freiheitsberaubung, keine Möglichkeit mehr, zur Schule oder Universität zu gehen. Was haben Sie ganz persönlich konkret mitbekommen, wie hat sich das Leben im Swat-Tal in den letzten zwei, drei Monaten verändert?

Hanif: Nun, seit einer Woche läuft ja dort eine große Armeeoperation, infolge deren mehr als eine Million Menschen ihre Heimat verlassen haben und auf der Flucht sind. Also im Moment gibt es dort nur Krieg, von einer Herrschaft der Scharia kann dort jetzt eben keine Rede sein. Was aber den Zustand vorher angeht, so muss man sehen, das Swat-Tal war keine Stammesgegend, es war keine rückständige Gegend, sondern es war eigentlich eine ganz normal entwickelte Gegend mit verschiedenen Einrichtungen, mit Museen, mit Internetcafés, mit allen möglichen Bildungseinrichtungen, an denen auch die Frauen ganz normal beteiligt waren.

Die Frauen gingen zur Arbeit, sie konnten studieren. Plötzlich sind sie mit Einführung der Scharia Gefangene im eigenen Haus geworden, sie können nicht einmal mehr auf die Straße gehen, um irgendwelche Lebensmittel zu kaufen. Von einem ganz normalen Zustand hat sich also dieser Teil Pakistans zurückentwickelt in eine Lage, wo die Frauen plötzlich Gefangene in ihrem eigenen Haus sind.

Bürger: In einem Artikel für die "Neue Zürcher Zeitung" haben Sie beschrieben, Herr Hanif, wie konservative Pakistaner der Mittelklasse aber durchaus Sympathie für die Taliban bekunden. Wie ist das zu verstehen?

Hanif: Diese Menschen lebten ganz überwiegend nicht im Swat-Tal selbst. Sie stellten sich vor, dass die Taliban so eine Art romantische Sozialrevolutionäre wären, die die Korruption verjagen würden, die Gerechtigkeit wiederherstellen würden.

Sobald aber die Taliban im Swat-Tal ihre Herrschaft selbst angetreten haben, sobald erkennbar wurde, welche Art Gesellschaft sie schaffen wollen, mussten diese Menschen, die ursprünglich tatsächlich eine Art Zustimmung oder Verständnis gehegt hatten, sich eines Besseren besinnen. Zum Beispiel tauchte ja auch im Internet ein Video auf, das dann auch im pakistanischen Fernsehen gezeigt wurde, wo ein junges Mädchen von den Taliban ausgepeitscht wurde. Da verschwand also all dieses Verständnis.

Und diese Leute mussten sich fragen, oh, mein Gott, wenn das der Islam ist, den die Taliban einführen wollen, dann wollen wir das wirklich nicht. Also in den letzten Wochen hat sich tatsächlich die Einstellung bei diesen Menschen grundlegend zu ändern begonnen.

Bürger: Und Sie haben es beschrieben, der Konflikt ist aktuell wirklich eskaliert. Die Regierung hat angekündigt, die Offensive bis zum letzten Talib, so heißt es, fortzusetzen. Was heißt das denn?

Hanif: Die Regierung hat mit diesen Unternehmungen zu spät begonnen. Vor zwei Jahren, vor anderthalb Jahren noch hätten eigentlich die örtlichen Kräfte, die Polizei oder auch die Verwaltung das ganze Problem in den Griff bekommen können, jetzt dagegen muss man mit F16-Flugzeugen anrücken, man verwendet auch Kampfhubschrauber. Und das Ganze hat zu einer schrecklichen menschlichen Tragödie geführt.

Mehr als eine Million Menschen sind auf der Flucht. Viele müssen ihre Ernte auf den Feldern verdorren lassen. Kinder haben ihre Heimat verloren, Familien sind auseinandergerissen. Die UNO sagt, das sei die größte Binnenwanderung, die man gesehen habe in den letzten 15, 20 Jahren. Es ist also eine große Tragödie, der die Regierung unvorbereitet gegenübersteht. Auch die westlichen Mächte, auch die UNO stehen hilflos da. Hunderttausende von Menschen sind auf der Flucht, und die Regierung kann recht wenig daran machen. Auch wenn die Regierung behauptet, sie habe schon 700 bis 800 Taliban getötet, so gilt doch, niemand hat Zugang zu den eigentlichen Kampfgebieten. Ich selbst habe in all dieser Zeit keinen einzigen getöteten Taliban aus diesen Auseinandersetzungen gesehen.

Bürger: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem pakistanischen Journalisten und Schriftsteller Mohammed Hanif. "Eine Kiste explodierender Mangos" heißt sein Debütroman, der gerade auf Deutsch erschienen ist und im vergangenen Jahr für den britischen Booker Prize nominiert war. Das ist eine böse Satire auf die korrupte Militärregierung Pakistans. Ein Buch, das sich auf die Zeit der 1980er-Jahre konzentriert.

Eine Liebesgeschichte, ein Krimi, aber eben auch eine Satire auf die Militärdiktatur. Und in einer Rezension zu Ihrem Buch, Herr Hanif, wurden Ihre Wut und Ihr Witz hervorgehoben. Wut auf die Militärdiktatur, das kann man sich leicht vorstellen, aber Witz? Warum haben Sie sich für eine Satire entschieden?

Hanif: Nun ja, ich liebe nun mal lustige Dinge. Ich denke, es wird auf der Welt genug Trübsal geblasen, man muss auch mal über seine Situation lachen können. Übrigens gibt es auch einen sehr lebhaften Straßenhumor, den die Pakistani pflegen. Gerade in der Diktatur, wenn Zensur herrscht, wenn keine Meinungsfreiheit gegeben ist, dann stellen sich die Leute gerne an die Straßenecke und erzählen Witze über die Diktatoren, über all die Mächtigen, über das ganze Establishment. Und das ist auch eine Art zu überleben, die Gewaltherrschaft durchzustehen.

Ich selbst habe meine Jugend in den 80er-Jahren dort verbracht, und ich habe genau beobachtet, wie die Menschen reagieren. Und diese lustigen Geschichten, die habe ich übernommen und die habe ich auch dann eingebaut in meinen Roman.

Bürger: Bevor Sie Journalist und Schriftsteller geworden sind, waren Sie Pilot bei der pakistanischen Luftwaffe. Durch was für Erlebnisse ist Ihre Kritik am pakistanischen Militär in dieser Zeit gewachsen?

Hanif: Nun, ich habe mich ja der Luftwaffe im Alter von 16 Jahren angeschlossen. Ich lebte damals als Jugendlicher in einem kleinen Dorf, wo nichts geschah. Es war sehr langweilig. Und dann las ich diese Zeitungsannonce. Ich wollte also etwas Glamouröses erleben bei der Luftwaffe. Es stellte sich dann heraus, dass das Leben bei der Luftwaffe sehr hart war, aus viel Drill bestand, keine Spur von Abenteuer oder von irgendwelchen romantischen Erlebnissen. Und nach sechs bis sieben Jahren verließ ich die Luftwaffe und wandte mich zunächst mal dem politischen Journalismus zu.

Und in dieser Zeit entdeckte ich eigentlich, was die Militärherrschaft mit unserem Lande gemacht hatte. Zia, der Diktator, war elf Jahre an der Macht, und er hatte von außen her eine uns sehr fremdartige Ideologie aufgepfropft, die er aus Saudi-Arabien mitgebracht hatte. Zwar war Pakistan schon ein muslimisches Land, aber der Glaube galt als etwas Persönliches, das jeder mit sich selbst ausmachen sollte. Zia hat dann diese Ideologie gebracht, er wollte uns zu guten, frommen Muslimen machen, und in diesem Bestreben hat er das ganze Land korrumpiert. Und diese Erfahrungen sind sicherlich auch prägend mit in mein Schreiben eingeflossen.

Bürger: In Pakistan hat sich bislang kein Verlag getraut, das Buch zu veröffentlichen – allerdings kursiert wohl die indische Ausgabe. Nach zehn Jahren London leben Sie, Herr Hanif, seit dem vergangenen Jahr wieder in Karachi in Pakistan. Wie gefährlich ist das Leben für Sie – sowohl als Autor dieses Romans als auch in Ihrer Rolle als BBC-Journalist?

Hanif: Nun, das Leben ist für mich in Karachi genauso gefährlich oder bedrohlich wie für jeden anderen ganz normalen Bürger. Wenn Sie andeuten wollen, ob ich vielleicht durch mein Buch irgendwelche Schwierigkeiten hätte, dann ist die Antwort ganz klar nein, denn das Buch hat ja einen überwältigenden Erfolg in Pakistan, seit einem Jahr ist es auf den Bestsellerlisten, hat tolle Kritiken bekommen, und sehr viele Menschen besuchen meine Lesungen. Eine Zeitung verglich meine Lesungen sogar mit echten Rockkonzerten. Ich habe also aufgrund des Buches keinerlei Probleme. Aber was mich persönlich angeht, so teile ich eben die ganz normalen Sorgen jedes anderen normalen Bürgers auch.

Bürger: Sagt der pakistanische Schriftsteller und Journalist Mohammed Hanif. Ich hatte vor der Sendung Gelegenheit, mit ihm zu sprechen. Derzeit ist Hanif mit seinem Debütroman auf Lesereise in Deutschland. "Eine Kiste explodierender Mangos" heißt das Buch und ist erschienen im Münchener A1 Verlag.