"Die Eltern müssen entscheiden können"

Robert Zollitsch im Gespräch mit Christian Rabhansl und Ernst Rommeney · 11.04.2009
Nach Ansicht des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, besteht durch das Modell des Ethikunterrichts an Berliner Schulen keine echte Wahlfreiheit mehr. Zollitsch forderte, den Eltern die Wahl zwischen Religions- und Ethikunterricht zu überlassen. Er habe die Sorge, dass je nach politischer Mehrheit ein Senat vorschreibe, was Ethik sei.
Deutschlandradio Kultur: Gestern war Karfreitag, morgen ist Ostersonntag. Was ist diesmal der Leitgedanke Ihrer Predigten?

Robert Zollitsch: Ich werde an Ostersonntag natürlich über die Auferstehung predigen und über die Situation, in der wir in der Wirtschaft stehen. Denn es ist doch ein Stück einer Vertrauenskrise da. Es sind Ängste da bei den Menschen. Und ich möchte aufzeigen, was Ostern an Hoffnung für die Menschen bringt und was es heißt, dass wir durch die Auferstehung Jesu Christi eine Perspektive haben, die über dieses Leben hinausweist, und damit auch den Menschen Mut und Vertrauen geben, Ja zu sagen zu diesem Leben, weil Gott selbst Ja sagt zum Menschen, weil Gott uns den Weg zum Leben weist. Das ist wichtig, auch in dieser schwierigen Situation dann eine Basis zu haben, die trägt.

Deutschlandradio Kultur: Was bringt uns diese Osterbotschaft in der Wirtschaftskrise?

Robert Zollitsch: Sie wird in der Wirtschaftskrise einmal nachdenklich machen. Denn wir haben doch eigentlich viel zu lange gemeint, die Wirtschaft wächst endlos weiter, und alle haben auf Wachstum gesetzt, das immer weitergeht. Jetzt mussten wir feststellen, das Wachstum ist am Ende. Wir sind in der Krise. Das Geld wir nicht immer mehr werden. Es sind Milliarden verloren gegangen. Und deswegen werden die Menschen nachdenklicher und fragen: Ja, wofür lohnt es sich zu leben oder was ist der Sinn der Wirtschaft? Geht es in der Wirtschaft immer darum, immer noch mehr verdient zu haben, etwa dass ich nicht nur 15 %, sondern 25 % Gewinn habe, oder zu fragen, wer das bezahlen und erarbeiten soll? Ist Wirtschaft nur da, um Geld zu verdienen? Oder ist der eigentliche Wert der Wirtschaft nämlich der Mensch, dass die Wirtschaft für den Menschen da ist und der Mensch im Mittelpunkt steht. Jetzt geht es darum zu schauen, wie wir den Menschen helfen, wie wir einerseits unseren Wohlstand, soweit es möglich ist sichern, dabei aber auch an die denken, die an den Rand geraten sind bei uns, aber auch weltweit überlegen, was es heißt: Können wir uns in Europa einen Wohlstand sichern und leisten, wenn etwa in Afrika die Armut immer größer wird? Werden wir nicht am Ende überrollt werden von Flüchtlingen über das Mittelmeer und dann erleben müssen, wir können nicht eine Insel des Wohlstandes sein? Wir können unseren Wohlstand nur dann sichern, wenn wir auch mit den anderen teilen. Und wir werden den Gürtel wohl alle enger schnallen müssen. Darauf, meine ich, sollten wir die Menschen bei uns vorbereiten.

Deutschlandradio Kultur: Das heißt ja auch für die Kirchen selbst, dass sie nachdenken müssen. Denn sie werden weniger Einnahmen an Kirchensteuern haben. Werden Sie Mitarbeiter entlassen müssen?

Robert Zollitsch: Wir werden uns drauf einstellen müssen, dass durch die Zunahme der Arbeitslosigkeit bei uns, auch die Kirchensteuereinnahmen zurückgehen werden. Wir haben vor, die Sparmaßnahmen, die notwendig sind, so hinzukriegen, dass wir niemanden entlassen müssen, dass wir vor allem das Personal voll behalten werden. Darum müssen wir schauen, wo wir uns auch von Dingen trennen können, die eher Geld kosten als dass sie nun Geld bringen. Das wird ein Prozess sein, den wir sehr, sehr nachdenklich überlegen müssen. Wir haben allerdings den Vorteil, dass unser Ausgangspunkt gut ist. Wir sind gut aufgestellt und haben deswegen auch ein bisschen Spielraum.

Deutschlandradio Kultur: Trifft Sie denn diese Wirtschaftskrise zum falschen Zeitpunkt, weil Sie ja bereits in einem Prozess sind, dass Sie Pfarreien zusammenlegen müssen, weil sie weniger Mitglieder haben in der Kirche, weil sie auch weniger Pfarrer haben als früher?

Robert Zollitsch: Es trifft uns insofern ein bisschen schwieriger, weil wir tatsächlich in einer Situation sind, dass die Zahl derer, die Kirchensteuer zahlen, zurückgeht. Es werden zu wenig Menschen geboren und damit nimmt die Zahl derer ab, die die Kirche tragen. Aber wir haben auch rechtzeitig immer schon überlegt: Wie sind die Erwartungen im Blick auf die finanziellen Einnahmen? Wir sind dabei uns umzustellen, aber das hängt nicht damit zusammen, dass wir weniger Priester haben, sondern es ist die eigentliche Situation, dass weniger Gläubige da sind. Dieser Umstellungsprozess verlangt natürlich Zeit, verlangt auch viel an Überlegung. Aber wir werden ihn so bewältigen, dass er langfristig angelegt ist und nicht kurzfristig dazu führt, dass wir Menschen vor die Tür stellen müssen.

Deutschlandradio Kultur: Weniger Mitglieder deutet schon an, es geht nicht nur um eine finanzielle Krise, sondern auch um eine inhaltliche pastorale Krise. Wie tief ist die der Katholischen Kirche?

Robert Zollitsch: Wir stellen uns neu ein auf die Situation, in der dann tatsächlich neue Seelsorgeeinheiten herangebildet werden müssen, damit gemeinsam die Seelsorge wahrgenommen werden kann – von Priestern zusammen mit Pastoralreferenten, Gemeindereferenten und Diakonen. Das ist eine Umstellung, aber das ist nicht in erster Linie eine Umstellung finanzieller Art, sondern eine Umstellung im Blick auf die Art und Weise der Seelsorge, dass Seelsorge nicht mehr nur von einem Beruf, nämlich vom Priester allein wahrgenommen wird, sondern gemeinsam von verschiedenen Diensten. Darin sehe ich auch einen Gewinn und eine Chance für die Seelsorge. Zugleich geht es darum, auch den Gürtel ein bisschen enger zu schnallen und ein bisschen abzuspecken. Ich glaube, das können wir in Deutschland auch gut bewältigen.

Deutschlandradio Kultur: Aber es geht ja derzeit in der Katholischen Kirche in Deutschland auch um Grundsatzfragen. Bis zum Gründonnerstag wurden Unterschriften für die Petition "Vaticanum II" gesammelt. Den Initiatoren geht es darum, die Reformen des 2. Vatikanischen Konzils von 1962 bis 1965 zu sichern, wie etwa Dialog und Meinungsvielfalt innerhalb der Kirche. Ist diese Furcht, die sich darin ausdrückt, völlig unberechtigt.

Robert Zollitsch: Das 2. Vatikanische Konzil, das ich selber miterlebt und das ich auch mit Eifer verfolgt habe, hat uns vieles gebracht. Denn es hat einfach Weisungen gegeben, Wege gezeigt, wie die Kirche heute im 20. und 21. Jahrhundert leben, ihre Botschaft verkünden kann, wie sie Menschen ansprechen kann. Ich halte dieses 2. Vatikanische Konzil für einen großen Gewinn und es ist noch längst nicht ausgeschöpft. Wir haben noch viele Dinge, die wir aufzeigen können. Und ich sehe jetzt die Furcht, die bei manchen Menschen umgeht, es könnte irgendwo einen Stopp geben oder man könnte in das Konzil zurückgehen, eigentlich als ein gutes Zeichen: dass Menschen den Wert dieses Konzils entdeckt haben, dass Menschen sich dafür einsetzen sollen, dass eine Wachheit unter den gläubigen Christen da ist. Und ich kann die Menschen nur ermutigen und ich möchte versichern: Wir gehen den Weg im Sinn des 2. Vatikanischen Konzils weiter. Und ich lade alle ein, auf diesem Weg offensiv und zuversichtlich, ja voller Hoffnung weiterzugehen.

Deutschlandradio Kultur: Wenn Sie diese Furcht und diese Sorge und diese Debatte so begrüßen, ich nehme an, dann haben Sie die Petition selber auch unterzeichnet?

Robert Zollitsch: Nein, ich habe die Petition nicht unterzeichnet, weil ich persönlich nicht die Befürchtung habe, dass wir hinters 2. Vatikanische Konzil zurückgehen werden. Ich bin überzeugt, der Weg geht in dieser Richtung weiter. Das ist auch die ganz klare Haltung des Papstes. Damit habe ich nicht diese Angst, aber ich sehe, dass Menschen diese Befürchtungen äußern. Und ich versuche dann auch, den jetzt in meinen Augen richtigen Weg nach vorne weiterzugehen und aufzuzeigen.

Deutschlandradio Kultur: Sie antworten sehr diplomatisch, aber Sie haben ja schon darauf hingewiesen, dass Sie diese Diskussion, diese Auseinandersetzung für notwendig halten. Was sollte sich denn ändern in der Katholischen Kirche, wenn man den Geist des 2. Vatikanischen Konzils fortsetzt?

Robert Zollitsch: Es geht nicht um Änderung, es geht, wie Sie sagen, um Fortsetzung. Wir haben vieles erreicht. Wir haben erreicht, dass viele Menschen in der Liturgie engagiert und beteiligt sind. Wir haben etwa erreicht, dass wir auch Laien bei unseren Entscheidungen mit einbeziehen. Wir haben die Pfarrgemeinderäte geschaffen. Wir haben den Diözesanrat der Katholiken. Wir haben den Diözesanpastoralrat. Wir beraten uns auf vielen Ebenen. Und es gab noch nie so viele engagierte ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in unserer Kirche, wie heute. Das ist ein gewaltiger Gewinn. Und diesen Weg wollen wir weitergehen und die Leute einladen, dass möglichst viele dabei mitgehen. Für mich geht es um Fortsetzung des Weges.

Deutschlandradio Kultur: Die Frage war: Was soll sich in Zukunft noch ändern? Nicht, was hat sich bereits geändert.

Robert Zollitsch: Ja, es geht auch darum, dass wir einmal diesen Weg weitergehen. Und ich glaube, dass wir auf Weltebene der Kirche, etwa die Kollegialität der Bischöfe noch weiter ausbauen können, dass wir noch mehr Menschen, auch im Bereich der Kirche, der Verwaltung mit engagieren, dass Laien vieles noch weit übernehmen können. Das ist ein Prozess, der Zeit braucht und der nach vorne geht. Wir werden auch etwa in der Ökumene den Weg weiterführen mit der Evangelischen Kirche und schauen, wie wir da verstärkt die christlichen Positionen, die die Katholiken und Protestanten einigen, viel stärker noch in die Gesellschaft einbringen können, wie wir sie stärker zur Sprache bringen können, wie wir auch jetzt in der Wirtschaftskrise uns zu Wort melden. Da gibt es noch vieles zu tun, was uns noch bevorsteht. Da sehe ich noch viele Chancen, viele Aufgaben.

Deutschlandradio Kultur: Dialog war eins der Themen des 2. Vatikanischen Konzils. Wenn wir mal darauf schauen, was der Papst zuletzt gesagt hat - seine Regensburger Rede, Karfreitagsfürbitte und Pius-Bruderschaft, ist er ja immer wieder missverstanden worden. Was macht er denn da falsch?

Robert Zollitsch: Die Regensburger Rede war eine akademische Rede. Der Anlass, der zu Missverständnissen führte, war eigentlich ein Beispiel, das er aus der Geschichte nannte. Aber wenn wir an den Inhalt seiner Rede denken, dann müssen wir sagen: Da geht es tatsächlich um den Dialog mit dem Islam. Und der hat auch tatsächlich dazu geführt, dass dieser Dialog mit soundso vielen Gelehrten aus dem Islam dann auch angestoßen wurde, dass er in Gang kam. Aber es war die Frage, wo Anlass war, etwas miss zu verstehen.

Die andere Seite, die Sie nun ansprechen, etwa sein Zugehen auf die Pius-Bruderschaft, da geht es ihm auch um den Dialog, auf der einen Seite nämlich, dass hier eine Gruppe von Menschen ist, die katholisch sein wollen und die jetzt an den Rand geraten sind, ja außerhalb der Kirche sind, weil ihre Bischöfe exkommuniziert waren. Er hat die Tür einen spaltweit geöffnet, die Hand entgegengestreckt. Er hat gesagt: Ich will mit euch klären, ob es für uns und für euch gemeinsam eine Basis innerhalb der Katholischen Kirche gibt. Und das halte ich für wichtig, dass es dieses Gespräch gibt. Etwa, Papst Benedikt hat auch seine früheren Kollegen, Prof. Hans Küng, den ich auch persönlich kenne, in Tübingen zum Gespräch eingeladen. Die haben drei Stunden miteinander gesprochen. Das sind für mich Formen des Dialogs. Und wir werden diesen Dialog mit dem Judentum führen. Das tun wir hier in Deutschland. Auch Papst Benedikt hat Vertreter des Judentums empfangen. Wir werden diesen Dialog und das Gespräch auch suchen mit anderen Religionen, anderen Konfessionen. Das ist eine Aufgabe des Miteinanders. Denn ich bin überzeugt, die Religionen dieser Welt sollen nicht zum Gegensatz beitragen, sondern sollen gemeinsam zum Frieden beitragen. Da steht eine große Aufgabe vor uns. Das hat Papst Johannes Paul II. in der Breite angestoßen. Und dieser Dialog geht weiter.

Deutschlandradio Kultur: Papst Benedikt XVI. kritisiert immer wieder den Relativismus. Das heißt, er warnt davor, im Respekt vor dem Glauben der anderen die eigene Meinung zurückzustellen oder infrage zu stellen. Wie soll denn anders ein Dialog zwischen den anderen Religionen aussehen?

Robert Zollitsch: Ich persönlich bin der Überzeugung, ich kann dann mit jemandem sprechen, wenn ich selber eine klare Position habe. Und ich gestehe diese klare Position auch dem anderen zu und setze sie sogar voraus. Dann kommen wir miteinander ins Gespräch, dass wir die eigene Position darlegen, die des anderen zu verstehen suchen und damit dann auch entdecken, wie viel Gemeinsames wir haben, auch entdecken, wo es unterschiedliche Positionen gibt, um dann aber auch zu schauen, wie wir etwa im Blick auf die Gesellschaft, auf die Welt – auch aus unterschiedlichen Positionen, aus gemeinsamen Positionen – auch einen Beitrag für diese Gesellschaft, für eine bessere Welt leisten können. Das ist für mich solch eine Form des Dialogs. Dialog heißt nicht Nivellierung der Positionen, sondern es heißt, der Versuch andere zu verstehen und über Unterschiede hinweg das Gemeinsame zu finden.

Deutschlandradio Kultur: Machen wir es mal ein bisschen konkreter. Wir gucken auf den letzten Sonntag, den Palmsonntag zurück. Da hat Benedikt XVI. gesagt: "Ohne die tägliche Gemeinschaft und Begegnung mit Christus könne das Leben nicht gelingen." Muss das nicht ein Jude, ein Muslim, sogar ein mäßig gläubiger Christ nicht als Affront auffassen, wenn der Papst ihm sagt, dein Leben kann nicht gelingen?

Robert Zollitsch: Das ist eine Botschaft, die wir Christen vertreten, die uns Jesus Christus geschenkt hat. Und das ist auch meine Überzeugung. Einer, der Moslem ist, wird sagen: Ich stehe auf der Basis des Propheten. Und er wird von dort seine Position vertreten. Und das jüdische Volk wird sagen: Der Bund des Sinai, der Dekalog, die 10 Gebote, das ist unsere Basis. Ich respektiere die Position des anderen, erwarte auch, dass man meine Position respektiert. Indem ich meine Position positiv darlege – und für mich ist Jesus Christus dieses Fundament –, damit greife ich den anderen noch nicht an, aber ich respektiere, dass es tatsächlich in dieser Welt verschiedene Positionen gibt und dass wir uns deswegen nicht die Köpfe einschlagen, unsere Position darlegen, aber dann auch schauen, wie wir zu einem Miteinander kommen können.

Deutschlandradio Kultur: Aber ist es nicht die geübte Praxis in bestimmten Krisenherden der Welt, dass sich die Menschen eben deswegen den Kopf einschlagen? Denn wenn zum Beispiel die Katholische Kirche sagt oder sagen würde, Juden und Muslime kommen nicht in den Himmel, und die anderen tun das auch, ist der Streit da.

Robert Zollitsch: Es ist falsch, uns gegenseitig den Kopf einzuschlagen. Und das 2. Vatikanische Konzil hat ja auch gesagt ganz klar: Wir sind überzeugt, dass Jesus Christus den Weg in die ewige Seligkeit uns schenkt – Sie sprechen vom Himmel. Und es ist auch dort in den Erklärungen des 2. Vatikanischen Konzils gesagt, dass andere Menschen, die nach ihrer Überzeugung redlich in dieser Welt leben und sich um Wahrheit bemühen, dann auch das Heil erlangen können.

Ich behaupte nicht, und das 2. Vatikanische Konzil auch nicht, dass alle anderen, die nicht Christen sind oder die gar nicht katholisch sind, ich sage es mal brutal, sofort in die Hölle kommen.

Deutschlandradio Kultur: Evangelische Christen, Juden und Muslime verlangen einen Dialog auf Augenhöhe. Jetzt sagt aber die Katholische Kirche: Neben uns kann es eigentlich noch nicht mal mehr die Evangelische Kirche geben. Wie soll das funktionieren?

Robert Zollitsch: Hier geht es jetzt um die Definition dessen, was nach katholischem und orthodoxem Verständnis Kirche ist, nämlich Kirche, die aufgebaut ist auf dem Fundament der Apostel, die dann geleitet wird von den Bischöfen und dem Papst, die eine Gemeinschaft ihrer Sakramente hat. Dieses Verständnis von Kirche haben die orthodoxen Kirchen und die Katholische Kirche gemeinsam. Die Evangelische Kirche versteht sich in einem anderen Sinn als Kirche. Sie betont stärker den Glauben, stärker die unsichtbare Zugehörigkeit. Und ich gestehe zu, dass unsere Position mit der evangelischen Position da im Widerstreit ist. Aber im soziologischen Sinn ist die Evangelische Kirche Kirche und, das sagte auch der Landesbischof der Evangelischen Kirche in Bayern, mit meiner Position, wie ich sie formuliere, könne er leben. Denn sie sind Kirche, aber Kirche in einem anderen Verständnis als wir es haben.

Ich bin dankbar für die Fortschritte, die wir auf der Ebene der Ökumene erzielt haben, gerade seit dem 2. Vatikanischen Konzil. Wir werden etwa in diesem Jahr, 10 Jahre nach der Augsburger Erklärung zum gemeinsamen Verständnis und der Rechtfertigung mit der Evangelisch-Lutherischen Kirche, werden wir 10 Jahre zurückschauen. Wir haben nicht alle Aufgaben erfüllt, die wir damals versprochen haben, aber das ist ein Anlass daran weiter zu bauen, weiter uns zu bemühen: Wo sind gemeinsame Positionen? Und manchmal ist es so, dass in unterschiedlichen Formulierungen, die sich im Laufe von 500 Jahren Trennung zwischen Katholischer und Evangelischer Kirche entwickelt haben, noch viel tiefere und auch gemeinsame Positionen stehen, als es uns zunächst bewusst wird. Deswegen lohnt es sich, den Dialog zu führen, auch den theologischen Dialog. Und deswegen dürfen wir da nicht nachlassen.

Deutschlandradio Kultur: Wir sehen also, wie schwierig schon der Dialog zwischen den christlichen Kirchen ist. Was hilft denn dann die neu gefasste Karfreitagsfürbitte, indem um Erleuchtung für die Herzen der Juden gebeten wird, dass sie den Heiland Jesus Christus anerkennen?

Robert Zollitsch: Nun, man muss ein bisschen differenzieren. Sie sprechen von der neu gefassten Karfreitagsfürbitte. Diese Karfreitagsfürbitte wurde in keinem Gottesdienst der Katholischen Kirche in unserer Erzdiözese so gebetet. Denn diejenigen, die bei der Pius-Bruderschaft sind, das sind drei oder vier Gottesdienste, die beten sowieso noch die alte vorausgehende. Und in allen anderen Gottesdiensten wird die Fürbitte gebetet, wie wir sie in der erneuerten Liturgie haben. Das ist für mich ein Zeichen, wo wir darum beten, dass Gott es fügen möge, dass wir uns alle einmal beim Heil finden und Gott den Heilsweg des jüdischen Volkes selbst bestimmt. Es ist schade, dass eigentlich das, was nun ein Versuch war, damals denen, die die außerordentliche Form der Heiligen Messe in der alten Form feiern wollen, ein stückweit entgegen zu kommen - das ist natürlich eine hochtheologische Formulierung, dass man die dann auch anders verstehen kann. Aber hier geht es darum, im Sinne des Apostel Paulus, dass es das Anliegen ist, dass einmal am Ende der Zeit Gott alle zu Jesus Christus führen möge. Darum, meine ich, dürfen wir sogar beten.

Deutschlandradio Kultur: Wenn es um einen fruchtbaren Dialog der Religionen geht, warum fangen wir dann nicht bei den Schülern an mit einem gemeinsamen Unterricht für alle in Ethik oder auch in Religion, aber gemeinsam, wie es in Berlin und in Brandenburg schon mal angefangen wurde?

Robert Zollitsch: Es geht jetzt hier um die Frage Religion. Das ist nun leider so, wir bedauern es ja, dass wir in verschiedene Konfessionen bei uns gespalten sind. Und ich kann Religion nur leben in einer Form der Gemeinschaft, in der Gemeinsamkeit mit der Kirche. Darum ist es wichtig, dass jede Konfession ihren Religionsunterricht hat und damit auch junge Menschen entsprechend informiert, anleitet, ihnen hilft, auch in diese Gemeinschaft hineinzuwachsen, und sich zugleich dann auch mit den anderen Fragen auseinanderzusetzen.

Was in Berlin nun der Ethikunterricht ist, das ist kein Religionsunterricht. Meine große Sorge ist, dass hier ein Senat – und das hängt immer wohl von den Mehrheiten in Berlin ab – dann vorschreiben will, was Ethik ist und eine staatlich verordnete Lehre von Ethik kommt, an der alle teilnehmen müssen. Da wird nun der Religionsunterricht benachteiligt. Der kann zusätzlich dazu kommen. Und es ist gar nicht so, dass nun etwa die Berliner Schülerinnen und Schüler die echte Wahlfreiheit hätten. Und die Eltern haben die Entscheidung für ihre Kinder. Die Eltern müssen entscheiden können, ob ein Kind Religionsunterricht besucht oder, wer nicht den Religionsunterricht besucht, Ethik besucht. Aber man kann nicht einfach vom Staat her diese Deutungshoheit beanspruchen. Das passt für mich nicht in mein freiheitliches Verständnis von Rechtsstaat, von Demokratie. Da halte ich einfach die Position des Berliner Senates für falsch. Und ich bin drum froh über die Aktion "Pro Reli". Denn hier engagieren sich Menschen, engagieren sich viele Menschen in Berlin für eine Freiheit, die Freiheit auch Religionsunterricht in der staatlichen Schule zu haben, gleichberechtigt mit dem Ethikunterricht.
Deutschlandradio Kultur: Sie halten jetzt also ein Plädoyer für den konfessionellen Religionsunterricht. Da wird Ihnen kaum jemand widersprechen. Aber was hat dieser konfessionelle Religionsunterricht im staatlichen Schulunterricht zu suchen?

Robert Zollitsch: Der Staat muss ja schauen, welches seine Bürger sind. Und dem Staat muss es darum gehen, dass auch Werte vermittelt werden. Und die Werte kann der Staat nicht vermitteln, kann der Staat nicht garantieren. Werte vermitteln, Werte schaffen, das ist eine Sache, wie eine Kultur gewachsen ist, wie die Religionen gewachsen sind. Und zu unserem Kulturbereich gehören die Religionen dazu, die evangelische, katholische Religion primär, aber auch die jüdische Religion hat ihren Unterricht. Ich bin auch dafür, dass der Islam die Möglichkeit hat, islamischen Unterricht in deutscher Sprache zu geben, von Personen, die in Deutschland ausgebildet sind. Hier geht es um Werte, Werte, von denen unsere Gesellschaft lebt. Und der Staat hat die Pflicht, den Trägern dieser Werte, wenn er Unterricht vorschreibt, dann auch entsprechenden Raum zu geben. Ich bin überzeugt, dass wir entscheidend davon leben.

Deutschlandradio Kultur: Aber wenn es schon Religionsunterricht geben soll in der Schule, warum dann nicht eine allgemeine Religionslehre? Warum dann ein separates Angebot für jede Glaubensrichtung?

Robert Zollitsch: Religion verlangt eine persönliche Überzeugung. Im Religionsunterricht geht es nicht nur um Information, wie ich in Mathematik informiere, sondern es geht auch um die persönliche Auseinandersetzung mit einer Überzeugung, die auch der Religionslehrer entsprechend vertreten muss. Darum kann Religionsunterricht nur konfessionell sein Das andere wäre nur Religionskunde und würde gerade die jungen Menschen davor bewahren, wirklich innerlich zu einer klaren Stellungnahme zu kommen. Darum ist der Religionsunterricht für jeden so kostbar und so wichtig.

Deutschlandradio Kultur: Lassen Sie mich noch mal zuspitzen: Wenn der Religionsunterricht hin und her schwankt zwischen religiöser Sozialkunde oder Glaubenslehre, dann wird doch eigentlich das Ziel von Schule verfehlt, nämlich Grundlagenwissen zu schaffen, wie eben in Deutsch, wie in Physik und auch in Biologie.

Robert Zollitsch: Ich habe selbst Religionsunterricht erteilt. Und wir haben jedes Mal im Religionsunterricht auch Information, Glaubenswissen, Sachwissen gegeben – bis hin zum kulturellen Wissen. Unsere ganze große kulturelle christliche Tradition haben wir vermittelt. Und wir haben zugleich auch das Wissen um die Bibel und die Offenbarung vermittelt und zugleich damit geholfen, sich persönlich damit auseinander zu setzen, auch zu einer persönlichen Entscheidung zu kommen, auch geholfen, dann auf dieser Basis das Leben zu gestalten und zu leben. Das scheint mir entscheidend wichtig zu sein.

Deutschlandradio Kultur: Was ist aus Ihrer Sicht das Ziel des Religionsunterrichtes? Geht es darum den eigenen Glauben zu verkünden und gute Katholiken heranzuziehen?

Robert Zollitsch: Es geht sicher darum, den Glauben zu verkünden, Menschen zu helfen zu einer Entscheidung zugunsten der eigenen Religion zu kommen, aber auch das nötige Wissen dazu zu vermitteln als Grundlage und dann auch noch mal die ganze kulturelle Breite und die ganze Leistung von Religion in unserer deutschen Kultur aufzuzeigen. Damit ist das ein allgemeines Bildungsideal in aller Breite, aber zugleich auch die Hilfe und die Chance, dann zu einer persönlichen Entscheidung im Glauben zu kommen.

Deutschlandradio Kultur: Aber könnte man nicht auch anders herum sagen, es sei Aufgabe – und das gemeinsame Aufgabe – der Religionen, einen intoleranten und nicht gesprächsbereiten Fundamentalismus abzuwehren durch gute Bildung?

Robert Zollitsch: Das tun wir. In einem guten Religionsunterricht wehren wir den Fundamentalismus ab. Der katholische Religionsunterricht und evangelische Religionsunterricht - den kenne ich, den anderen kenne ich nicht bei uns - ist nicht fundamentalistisch ausgerichtet, sondern der ist darauf ausgerichtet, die eigene Religion und Konfession kennen zu lernen und zugleich auch Brücken zu bauen zum Nachbarn und Brücken zu bauen zu den anderen christlichen Religionen. Da ist gerade die eigene Position wieder wichtig, damit ich von einer klaren eigenen Position mit dem anderen ins Gespräch kommen kann, das Gemeinsame entdecken kann und auch das Gemeinsame nach außen vertreten kann. Und das geschieht im Religionsunterricht.

Deutschlandradio Kultur: Die Kirchen mischen sich ja gesellschaftspolitisch ein, nicht nur in der Schule. Taugen die Kirchen wirklich als Vorbild für eine demokratisch organisierte Gesellschaft?

Robert Zollitsch: Die Kirche lebt auch in den Jahrhunderten, in denen sie da ist. Und die Staatsformen haben sich gewandelt und haben gewechselt. Wir als Katholische Kirche stehen klar auf der Basis, dass ich meine, dass Demokratie die beste Staatsform ist, die adäquateste, weil es Wahlmöglichkeiten gibt, weil es dem einzelnen Freiheit gibt, weil es den Wechsel zwischen Regierungen gibt und weil damit auch die menschliche Macht entsprechend begrenzt ist. Jetzt kommt es in einer pluralen Demokratie natürlich darauf an, dann auch die eigenen Werte immer wieder einzubringen, der Gesellschaft zu helfen, auf diesen Werten zu leben und damit auch einen Dialogpartner in der Gesellschaft zu sein und zugleich ein Partner zu sein, der sich engagiert, dass diese Gesellschaft die Werte, die sie hat, auch behält, aus ihnen lebt und die Werte immer wieder neu vermittelt werden.

Deutschlandradio Kultur: Die Frage war nach der Vorbildfunktion in einer demokratischen Gesellschaft. Müsste die Katholische Kirche dazu nicht demokratische Strukturen in sich selber aufbauen?

Robert Zollitsch: Es kommt nun drauf an, wie man demokratische Strukturen versteht. Ich persönlich bin unbedingter Anhänger der Demokratie. Aber es geht jetzt in der Kirche noch mal um eine andere Dimensionen. Der Glaube ist uns von Gott geschenkt, Offenbahrung von Jesus Christus her. Über die Glaubenswahrheiten kann nicht einfach demokratisch entschieden werden. Es geht um die Weitergabe des Glaubens. Und es geht darum natürlich, wer die Verantwortung dafür trägt. Aber ich habe eingangs schon davon gesprochen, wir haben viele Formen der Mitwirkung von den Gläubigen in unserer Kirche entwickelt und wir werden sie weiter entwickeln. Es gibt über das Prinzip der Abstimmung nach Mehrheiten gibt es auch dieses Prinzip der synodalen Beratung und damit des Ringens um eine gemeinsame Basis. Da haben wir in der Kirche gute Erfahrungen gemacht. Wir wissen, wer die letzte Verantwortung trägt. Aber der, der die letzte Verantwortung trägt, der muss auch schauen, wie er die Breite, wie er die Meinung möglichst aller einbezieht. Da sind wir als Kirche von unseren synodalen Strukturen her durchaus eine Form, die breite Formen der Mitwirkung kennt.

Deutschlandradio Kultur: Aber die Regionalsynode in der Evangelischen Kirche stellt den Haushalt fest und wählt den Bischof. Was ist daran so falsch?

Robert Zollitsch: Auch bei uns wird der Haushalt nicht durch den Erzbischof festgelegt. Wir haben eine gewählte Kirchensteuervertretung. Die stellt den Haushalt fest und legt auch den Haushalt klar. Also, das sind gewählte Vertreter, die über die Finanzen der Erzdiözese bestimmen, die auch darüber bestimmen, wie der Kirchensteuerhebesatz ist. Das bestimme nicht ich als Bischof. Auch der Erzbischof von Freiburg wird nicht einfach ernannt. Er wird jetzt von einem Wahlgremium, das ist in diesem Fall das Domkapitel, gewählt. Das sind durchaus Formen der Mitbestimmung.

Deutschlandradio Kultur: Herr Zollitsch, wir danken Ihnen für das Gespräch.