Die eigennützige Bertelsmannstiftung

Rezensiert von Stephan Hilsberg · 24.10.2010
Die Bertelsmannstiftung ist eine feste politische Größe in der Bundesrepublik. Seit einigen Jahren ist sie in die Kritik gekommen. Diese findet mit dem Buch von Thomas Schuler "Bertelsmannrepublik Deutschland" neue, substantiierte Nahrung.
Schulers erster Vorwurf lautet, die Stiftung ist ein Steuersparmodell. Sie sei geschaffen worden um den gleichnamigen Medienkonzern Bertelsmann, Eigenkapital geschätzte 20 Milliarden Euro, im Besitz der Familie Mohn zu belassen, ohne die Erbschaftssteuern zu bezahlen. In der Tat, Reinhard Mohn, der Schöpfer von Bertelsmann war ein Steuerfuchs.

"Eines seiner Hobbys ist: Steuern sparen."

schreibt Schuler schon am Anfang seines Buches. Und er weist nach, dass es Reinhard Mohn mit der Bertelsmannstiftung gelungen ist, seinem Bertelsmannkonzern auch nach seinem Tode im Jahr 2009 fest in der Hand seiner Nachkommen zu etablieren, ohne die Erbschaftssteuern, die sich hier wohl auf schlappe fünf Milliarden Euro belaufen hätten, an den Fiskus zu bezahlen.

Das konnte gelingen, weil gemeinnützige Stiftungen, die sich dem Gemeinwohl verpflichten, vom Gesetzgeber mit vielerlei Steuervorteilen gefördert werden, unter anderem dem Erlass der Schenkungs- und Erbschaftssteuer. Und solange die Bertelsmannstiftung tatsächlich gemeinnützig wirkt, ist an dem auch nichts auszusetzen. Doch genau daran sind im Einzelnen Zweifel angebracht. Denn die Bertelsmannstiftung, und das ist der zweite Vorwurf von Schuler, tritt in einigen Arbeitsfeldern wie eine Marketingfirma des gleichnamigen Medienkonzerns auf. So versuchte sie, private Medien zulasten der öffentlich rechtlichen Medienanstalten wie ARD und ZDF zu promoten. Noch stärker ist das in einem aktuellen Politikfeld der Fall, der privaten Ausführung öffentlicher Verwaltungsaufgaben:

"Die Vermengung kommerzieller und gemeinnütziger Interessen wird in wenigen Bereichen so deutlich wie bei der Beratung und Privatisierung kommunaler Verwaltungen."

schreibt Schuler und belegt, wie die Bertelsmannstiftung in ihren Veröffentlichungen die Vorteile privater Dienstleister für kommunale Verwaltungsaufgaben herausstellt. Gleichzeitig bietet ein Tochterunternehmen des Konzerns den Kommunen genau solche Privatisierungs-Dienstleistungen mit dem Zweck der Kostenminimierung an. Das Ganze hat erhebliche Brisanz, weil diese Umorganisation häufig mit einer Lohnsenkung für die Beschäftigten verbunden ist.

Noch alarmierender aber wirkt das Buch, wenn es beschreibt, wie stark der Einfluss der Bertelsmannstiftung auf viele andere, noch größere und bedeutendere Politikfelder geworden ist. So geht die Einführung von Studiengebühren auf einen Input der Bertelsmannstiftung zurück. Bertelsmann hat sich großen Einfluss auf die Verfassungsorgane Bundespräsident und Bundesregierung geschaffen, ganz zu schweigen von dem Einfluss auf die nordrheinwestfälische Landesregierung. Die Stiftung hat dabei nicht die Politik diktiert, denn die bleibt trotz aller Lobbyarbeit für sich selbst verantwortlich.

Schaut man sich jedoch an, in wie vielen Politikfeldern sie erfolgreich unterwegs war, beginnt man angesichts ihres politischen Einflusses zu schaudern. So hat sie an der Ruck-Rede des damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog mitgeschrieben. Auch die berühmten Arbeitsmarktreformen, die heute unter dem Namen Hartz IV bekannt sind, wurden von ihr konzeptionell und bis in die Sprache hinein vorbereitet. Viele Ideen, wie die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe standen bei ihr schon Jahre vorher auf dem Papier. Dass sie ihren Weg ins Gesetzblatt fanden, hat zwar auch damit zu tun, dass der Kanzler der Hartz IV – Reform seiner eigenen Partei misstraute, unter Handlungsdruck stand und seinem Ruf eines Machers gerecht werden wollte.

Doch die Hartz-IV-Reform ist eben auch ein Beispiel für die Gewichtsverlagerung im Gesetzgebungsprozess der damaligen Zeit, weg vom Sachverstand des Parlaments, hin zu den Think-Tanks der Bertelsmannstiftung. Das mag auch ein Grund für den Misserfolg in der Umsetzung dieser Reformen gewesen sein. Die Bertelsmannstiftung hat jedenfalls jede Verantwortung für diesen Misserfolg weit von sich gewiesen. Das für die demokratische Politik unverzichtbare Prinzip der Verantwortung existiert für sie nicht. Diesem Phänomen sollte man sich stellen, wenn man sich als Politiker mit Einrichtungen wie der Bertelsmannstiftung einlässt.

Es ist ja richtig, wir sind ein Land der Reformen, und wir brauchen sie weiterhin. Doch geht es hier um Macht. Und Machtstrukturen müssen offengelegt werden.

"Die Bertelsmannstiftung ist undemokratisch, sie beeinflusst aber die Demokratie."

schreibt Schuler. Die Bertelsmannstiftung ist in ihrem politischen Selbstverständnis eine Verkörperung der Ideen und Erfahrungen ihres Schöpfers und Finanziers, Reinhard Mohn. Die Gefahr, dass die Politik in unserem Lande Schlagseite bekommt, wenn sie sich allzu sehr von diesem unternehmerisch geprägten Selbstverständnis bestimmen lässt, ist groß. Schon deshalb muss der Einfluss der Bertelsmannstiftung offengelegt und eingedämmt werden. Nimmt man den Steuersparzweck dieser Stiftung, und ihr Gebaren als Marketingabteilung des gleichnamigen Konzerns hinzu, dann fragt man sich, was an dieser Stiftung noch gemeinnützig ist.

Im Grunde müssten ihr die Finanzämter diesen Status aberkennen. Doch auch für die Bertelsmannstiftung selbst scheint fraglich, ob die Besitz- und Verantwortungsstrukturen, wie Reinhard Mohn sie bis zu seinem Tode 2009 geschaffen hat, dem Bertelsmannkonzern und seiner Stiftung wirklich nützen. Reinhard Mohn war immerhin ein erfolgreicher Unternehmer. Solche Eigenschaften vererben sich in der Regel nicht. Doch nun haben Frau und Tochter das alleinige Sagen im Unternehmen und in der Stiftung. Mit ihnen ist Bertelsmann nun untrennbar verknüpft bis in alle Ewigkeit. Dass dies eine wirklich sinnvolle Zukunftskonstruktion ist, kann man angesichts des Bertelsmannkonzerns und seiner Arbeitsplätze nur hoffen.

Thomas Schuler: Bertelsmannrepublik Deutschland - Eine Stiftung macht Politik
Campus Verlag, Frankfurt am Main 2010
Reinhard Mohn, langjähriger Chef des Medienkonzerns Bertelsmann, ist am 3.10.2009 verstorben.
Ein Steuerfuchs? Reinhard Mohn, langjähriger Chef des Medienkonzerns Bertelsmann, ist am 3.10.2009 verstorben.© AP
Cover "Die Bertelsmannrepublik - Eine Stiftung macht Politik" von Thomas Schuler
Cover "Die Bertelsmannrepublik - Eine Stiftung macht Politik" von Thomas Schuler© Campus Verlag
Mehr zum Thema