Die eigenen Geschichten anderen verständlich machen

Von Wolfgang Martin Hamdorf · 07.11.2009
Was die besten europäischen Filme dieses Jahres sind, darüber wird gerade in Sevilla entschieden. Dort findet noch bis zum 14. November das Festival des europäischen Films statt und dort werden die Gewinner des europäischen Filmpreises nominiert. Schwerpunkt ist in diesem Jahr das britische Kino.
Ben Kingsley: "Fishtank, written and directed by Andrea Arnold (...) gratulation to all the nominated, thank you."

"Fish Tank" der zweite Film der britischen Regisseurin Andrea Arnold und der schwedische Film "So finster die Nacht" von Tomas Alfredson. Mit dabei ist auch "Un Prophete" von Jaques Audiard, "Der Vorleser" von Stephen Daldry und "Slumdog Millionaire" von Danny Boyle. Und "Das weiße Band" von Michael Haneke.

"Das weiße Band" von Michael Haneke hat bereits die Goldenen Palme in Cannes und dem Jahrespreis der internationalen Filmkritik gewonnen. Jetzt kann das in beeindruckenden Schwarzweiß-Bildern gehaltene Dorfdrama auch die meisten Nominierungen auf sich vereinen. Dicht gefolgt vom Gefängnisfilm "Un Prophete", und dem in den indischen Slums inszenierten "Slumdog Millionaire".

Moritz Bleibtreu wurde für "Der Baader Meinhof Komplex" für den besten Schauspieler nominiert, und Penelope Cruz für "Los Abrazos Rotos" von Pedro Almodovar. Der wurde neben Lars von Trier, Danny Boyle, Michael Haneke und Andrea Arnold als bester Regisseur nominiert.

Zum sechsten Mal wurden die Nominierungen für den europäischen Filmpreis in einem Restaurant, vor der Kulisse der historischen Altstadt Sevillas bekannt gegeben. Marion Döring, die Direktorin der Europäischen Filmakademie:

"Also das Tolle ist, dass Sevilla ja fast alle Filme zeigt, die bei uns in der Auswahl sind, deswegen ist es ein schöner Ort, das bekannt zu geben, weil natürlich auch das Publikum die Filme gesehen hat und vor allem in den nächsten Tagen sehen wird. Wir haben eine sehr starke Verbindung mit Spanien, das ist sehr interessant, dass vor allem in Spanien die Akademie und der europäische Filmpreis sehr beliebt sind. Wir haben ein ganze Reihe von Kooperationen und sind jedes Jahr begeistert, wenn wir sehen, wie stark das Interesse für uns ist in diesem Land."

15 Filme stehen noch bis zum kommenden Samstag im Wettbewerb um den "Giradillo”; darunter auch die österreichisch-deutsche Koproduktion "Lourdes" von Jessica Hausner.

Zum ersten Mal überwiegen in diesem Jahr die Regisseurinnen im Programm. Passend zur überraschenden Nominierung lief auch das sensibel inszenierte Familiendrama um die Selbstfindung einer 15-Jährigen "Fish Tank" von Andrea Arnold im Wettbwerb. Die Filme im Wettbewerb sind auch eine Gratwanderung zwischen privaten Lebensräumen und spezifisch gesellschaftlichen Erfahrungen.

Das diese Mischung auch scheitern kann, zeigte der der irisch-spanisch-französische Eröffnungsfilm "Triage" von Danis Tonovic. Die Traumata eines Kriegsfotografen nach seiner Heimkehr aus Kurdistan blieben zu wenig eindringlich und andererseits bemüht plakativ, um wirklich zu überzeugen.

Bis zum Samstag sind noch Wettbewerbsfilme aus Israel, der Türkei und Frankreich zu sehen, das Gastland Spanien ist dabei nicht vertreten.

Der Länderschwerpunkt liegt dieses Jahr auf dem britischen Film. Unter dem Titel "The new brits" ist aber nicht nur Neues zu sehen. Gezeigt werden auch Raritäten und Neuentdeckungen aus dem britischen Filminstitut. Die Diskussionen über Gemeinsamkeiten und über Gegensätze der Filmkulturen werden in einem Festival des europäischen Films besonders gerne geführt. Der britische Regisseur Nicolas Roeg leitet dieses Jahr die internationalen Jury und eine Retrospektive ist seinem Werk gewidmet, darunter Klassiker der Filmgeschichte wie "Wenn die Gondeln Trauer tragen" aus dem Jahre 1974.

Nicolas Roeg hält nicht viel von länderspezifischen Etiketten, auch der europäische Film ist für ihn ein dynamischer Prozess von Gegensätzen, aber keine festgelegte Identität:

"Wir wollen nicht alle gleich sein, und wir können durchaus jemanden lieben, der ganz anders ist als wir. Es gibt Traumpaare, bei denen die Partner völlig gegensätzlich sind. Was sieht er in ihr? Sie haben doch nichts gemeinsam. Was sieht sie in ihm? Er ist doch so dumm. Aber das ist eben das Geheimnis der großen Liebe."

Sevilla versteht sich als Treffpunkt der europäischen Filmindustrie. im vielsprachigen multikulturellen europäischen Filmmarkt. Der schwedische Produzent Sören Staermose erhielt zur Eröffnung des Festivals den Preis der europäischen Filmwirtschaft, auch für seine sehr erfolgreiche Verfilmung der "Millennium"-Trilogie des 2004 verstorbenen schwedischen Erfolgschriftstellers Stig Larson. Für Sören Staemose liegt der Sinn des europäischen Films darin, die eigenen Geschichten dem anderen verständlich zu vermitteln:

"Die ganze Atmosphäre ist schwedisch und die Figuren sind auch schwedisch und wie vermittelt man das jetzt in den anderen europäischen Ländern mit all ihren unterschiedlichen Kulturen. Es ist sehr, sehr schwierig, diese Grenzen zu überwunden und wir hatten das Glück eben auf diesen sehr erfolgreichen Büchern aufzubauen. So wurde ein Blockbuster daraus. Wir haben 10 Millionen Kinokarten verkauft."

Bei aller internationalen Vielfalt wird in Sevilla aber immer auch Lokalkolorit gepflegt: Eine Reihe ist den aktuellsten Filmen aus Andalusien gewidmet. Altmeister Carlos Saura dreht zur Zeit in der Stadt seinen neuen Film: "Flamenco Flamenco" – wieder mit dem italienischen Kameramann Vittorio Storaro, der gestern mit dem Preis der Stadt Sevilla für sein Lebenswerk ausgezeichnet wurde.

Für Antonio Perez, andalusischer Filmproduzent und Vorstandsmitglied der Europäischen Filmakademie, stammt diese besondere Atmosphäre Sevillas aus einer kontinuierlichen Vermischung der Kulturen seit frühesten Zeiten.

"An den Palästen der Innenstadt siehst du, dass hier jüdische, christliche und moslemische Handwerker gemeinsam gearbeitet haben. Oft haben sie ganz friedlich nebeneinander existiert. Hier sind immer ganz unterschiedliche Sprachen, Ausdrucksformen und Kulturen miteinander ausgekommen. Sevilla ist eine sehr tolerante Stadt."