Die eigene Stimme - vom Computer gerettet

Von Folkert Lenz · 14.01.2008
Rund 5000 Menschen in Deutschland müssen in jedem Jahr fürchten, durch eine Krankheit ihre Stimme zu verlieren. An der Universität Oldenburg hat ein Physiker jetzt ein Verfahren entwickelt, mit dem die eigene Stimme und ihre individuellen Merkmale zum Teil konserviert werden können. Wenn schon nicht im Körper, dann wenigstens im Computer.
Tischgespräche per Sprechcomputer. Ein bisschen abgehackt klingen die Worte noch. Aber immerhin: Dieser Mann, der eine Kehlkopfoperation hinter sich hat, muss sich nicht mit einer Roboterstimme an seine Dinnergäste wenden. Der Sound aus den Lautsprechern am Laptop ähnelt seiner Originalstimme – samt süddeutscher Einfärbung. Doch der Weg dahin war lang.

"Brüssel … Wachstum … rechnet … Heimat … Wirkung … Sitzung …"

Wer via Computer mit seiner Umwelt kommunizieren will, muss diesen zuvor mit individuellem Sprachmaterial füttern - per Vorlesen. Wem - zum Beispiel aus Krankheitsgründen - der Verlust der Sprechfähigkeit droht, der kann sich der zwei- bis dreistündigen Prozedur unterziehen. Ein kleiner Packen eng bedruckter Papiere ist abzuarbeiten.

"Wir haben eine Wortliste, die die wichtigsten Silben der deutschen Sprache erfasst. Das sind einzelne Wörter, die der Patient vorliest. Insgesamt sind das sieben Seiten. Also durchaus ein überschaubarer Rahmen, den auch die Patienten gut schaffen können. Am Ende werden noch ein paar Sätze aufgenommen, um eben auch Wörter im Satzfluss noch mal zu haben."

Lilo Niebecker hat das Sprechprogramm "Meine eigene Stimme" seit seiner Entstehung begleitet und Dutzende von Aufnahmen mit Patienten gemacht. Ihr Job ist es auch, die vorgelesenen Wörter säuberlich am Computer in Einzelteile zu zerlegen. Sie zerschneidet die Worte zu Silben. Rund 70 Stunden und mehr dauert diese Arbeit pro Patient.

Der Physiker Eduardo Mendel von der Universität Oldenburg hat im Laufe von fünf Jahren das Programm ertüftelt, das mithilfe der Sprachschnippsel geschriebene Texte wieder in gesprochenes Wort verwandelt.

"Jede Silbe ist eine musikalische Einheit. Das heißt, sie können Wörter zusammenkleben mit Silben, sodass sie sich ziemlich anhören, als ob sie das ganze Wort einfach genommen hätten. Und das ist der Trick, dass man ungefähr 3000 Silben aufnimmt und aus diesen Silben könne man 94 Prozent der deutschen Sprache rekonstruieren, sagt der 54-Jährige."

So bekommt die Maschinenstimme eine persönliche Anmutung: Mundart und individuelle Sprachmelodie inklusive. Das Prinzip ist nicht ganz neu. Auch andere Sprachausgabesysteme benutzen es.

"Von zwei Wörtern wie 'denken' und 'Jutta", da können sie erste Silbe von Jutta nehmen und die letzte von denken und dann machen Sie jucken draus."

Das Problem: Die gleiche Buchstabenkombination kann ganz verschiedene Aussprachen verlangen.

"Man muss unterscheiden zwischen Silben, die betont sind. Und unbetont, lang, kurz, am Anfang, Mitte, Ende des Wortes. Das hat verschiedene Klänge. Und bei den verschiedenen Patienten hört sich dass auch sehr verschieden an."

Zwölf unterschiedliche Aussprachemöglichkeiten gibt es so für eine kurze Sequenz. Das ist der Grund, warum viele Programme einfach einzeln gesprochene Buchstaben aneinanderhängen. Aber genau das verleiht den Maschinenstimmen das Roboterhafte.
Mendels Programm erkennt in den meisten Fällen sogar korrekt, ob jemand etwas sucht oder er über Sucht reden möchte. Ob es sich um den Besten handelt oder der Betroffene eine Bestellung aufgeben möchte.

Zur Bedienung ist nur ein handelsübliches Laptop oder ein mobiler Mini-Computer mit Lautsprechern nötig. Schnell einen Text eintippen und schon spuckt die Maschine aus, was zu sagen ist.

"Ich möchte baden … Mir schmeckt das nicht … Ich fühle mich krank … Ich muss jetzt weg … Ich möchte ein Glas Wasser … Da antwortet niemand."

Solche Standardsätze können mit einem Tastenklick abgerufen werden - "Meine eigene Stimme" ist ein Programm für Alltagssituationen.
Die Software ist aber nicht dafür gedacht, um große Reden zu schwingen. Mit längeren Ausführungen ist sie überfordert, erklärt Eduardo Mendel.

"Man muss nicht alles in dem Moment schreiben. Man kann das aber vorbereiten. Sie können mehrere Sätze schon präparieren und diese Sätze werden dann so ausgegeben, wie sie sie geschrieben haben."

Eins allerdings ist wichtig, damit das Programm vernünftige Ergebnisse bringt: Die Stimme, die per Computer konserviert werden soll, muss noch funktionsfähig sein, sagt Mendels Assistentin Lilo Niebecker. Doch mancher Betroffene erfahre viel zu spät von der Existenz der Software, die einige Krankenkassen jetzt in ihre Heilmittellisten aufgenommen haben.

"Je schöner die Stimme noch ist - also je weniger sie von der Krankheit betroffen ist -, desto klarer entspricht sie überhaupt erstmal der Stimme, wie sie war. Und desto besser wird die Aufnahme und im Endeffekt auch das Programm."

In problematischen Fällen sind aber auch schon Familienangehörige eingesprungen, um ihre Stimme quasi zu "spenden". Lieber eine individuelle - wenn auch fremde – Stimme nutzen - als die gängigen Sprechroboter, sagen sich viele Betroffene.

Die eigene Stimme ist doch für jeden von uns eine sehr, sehr wichtige Eigenschaft. Sie ist eins der wesentlichen Teile unserer Persönlichkeit. Das macht doch eigentlich einen Menschen aus.