Die Dorfkümmerer

Von Ernst-Ludwig von Aster · 03.06.2013
Seit knapp einem Jahr arbeiten acht "Dorfkümmerer" in Brandenburg. Alle leben in entlegenen Regionen und sammeln Ideen, um das Landleben attraktiver zu machen und die Abwanderung junger Menschen zu stoppen.
"Da bleibst du Else, komm rein, komm rein. Tür wieder zu machen."

Else, das Huhn, nimmt Anlauf. Ulrike Macht versperrt den Weg. Schließt mit einer Hand die klapprige Holztür zum Geflügelgehege. Balanciert in der anderen einen Korb mit sechs Eiern.

"Draußen kann ja was Besseres zu fressen sein. Und Else ist die am Verfressensten sich Benehmende."

Ulrike Macht lebt auf einem Bauernhof im 130-Seelen-Örtchen Flieth. In der Uckermark. Vor vier Jahren hat die 59-jährige Übersetzerin entschieden, die Stadt, die ihr keine oder nur schlecht bezahlte Arbeit bietet, zu verlassen und einen Neustart auf dem Land zu wagen. An Ideen fehlt es Ulrike Macht nicht:

"Umstellung auf Permakultur, Sommerküche, Frühstück …, Komposttoilette, Schafe als Rasenmäher, Lagefeuerplatz, Hühner, Selbstversorgung, ja."

Und dann noch eine Garagengalerie, Leseabende. Reiki-Massagen, Heu-Pension. Und jeden Morgen frische Eier.

"Else ist die, die am bravsten legt."

Während Else legt, brütet Ulrike Macht über neue Ideen für ihr Dorf. Seit knapp einem Jahr ist sie eine von acht sogenannten Dorfkümmerern in Brandenburg. Die sollen mit Unterstützung einer Beratungsfirma und mit Geldern aus dem Europäischen Sozialfonds dabei helfen, das Dorfleben wieder attraktiver zu machen, auch für junge Leute. Sonst leben in Flieht und anderswo in der Uckermark bald nur noch Greise.

"Wir haben praktisch eine Ausbildung bekommen in verschiedenen Moderationstechniken, sind mit Fördermitteln konfrontiert worden. Und dann sind wir auf die Leute losgelassen worden, um die zu finden, die hier Ideen haben in den Dörfern, die was machen wollen."

Ulrike Macht geht als Dorfkümmerin von Tür zu Tür, sammelt die Wünsche und Ideen der Bewohner, lädt zu Versammlungen, die sie moderiert, und berät diejenigen, die gerne etwas auf die Beine stellen wollen, um das Leben auf dem Land zu verbessern. Das ist der Arbeitsauftrag. Ulrike Macht erinnert sich, dass vor einem Jahr alles mit einer Einladung in der Lokalpresse anfing:

"Und da sind von den etwa 650 Einwohner der Gesamtgemeinde ... sind etwa 15 dagewesen, das finde ich, ist schon ein guter Prozentsatz. Und was ich besonders begeisternd finde, es sind schon zwei Projekte entstanden."

Gemeinsam wollen die Dörfler ihre "Alte Schule" in Zukunft zu einem Tourismustreffpunkt umbauen, eine nahegelegene Badestelle attraktiver gestalten. Und der letzte Landwirt im Ort ist gleich zu Tat geschritten. Sein Projekt mit dem Namen solidarische Landwirtschaft lässt sich bereits besichtigen.

Am Gefallenendenkmal geht es vorbei, den Sandweg entlang. Am Dorfrand wohnt Bauer Obrembski mit seiner Familie..

"Er wollte auf Bio umstellen und hatte die Antwort gekriegt, es gibt keine Fördermittel mehr. Ohne kann er es nicht und er wusste nicht mehr weiter. Und da kam die Idee der solidarischen Landwirtschaft."

Doreen Obrembski winkt freudig über den Gartenzaun, als sie Ulrike Macht sieht.

"Ihr habt die ganze Zeit gewühlt, und ich habe auch gewühlt, ich habe auch noch nischt gesehen."

Sie hatte die Idee Gemüse anzupflanzen, das von den Städtern quasi abonniert werden kann - zu einem Festpreis vorab. So kann der Bauer wirtschaften und der Städter kriegt frische Ware. Solidarische Landwirtschaft eben.

Hinters Haus geht es zu einem Gewächshaus. Doreen Obrembski geht vorne weg, Mann und Schwiegervater hinterher. Links erstrecken sich die großen Anbauflächen der Biobauern, rechts die riesigen Raps-Plantagen für Biogasanlagen. Dazwischen liegen winzig die 62 Hektar der Obrembskis.

"Ist eigentlich zu klein, um sich eigentlich vollständig davon zu ernähren eine ganze Familie und die Pachten werden ja immer teurer, sage ich mal, dass man eigentlich gucken muss, ob man nicht zusätzlich was machen kann, damit wir besser über die Runden kommen."

Deshalb das Gewächshaus. Doreen Obrembski öffnet die Tür.

"Tür auf Wollen wir mal reingucken, als erstes gibt es bei uns Salat und Kohlrabi, der Salat wird morgen dann geerntet, damit er möglich frisch ist."

Für die Kunden. Die neue Solidargemeinschaft aus den umliegenden Kleinstädten. Hier werben die Obrembskis seit Monaten für ihre Idee: Sie liefern ihr Gemüse wöchentlich an feste Verteilpunkte in der Region. Die Kunden holen ab und zahlen monatlich.

"Es gibt einen Festpreis im Monat, der beträgt bei uns 50 Euro. Und für die 50 Euro gibt es eben, was gerade geerntet wird."

Ein Stückchen weiter liegt der Gemüseacker. Die Obrembskis investieren in Biosaatgut, wollen auf spritzen und düngen weitgehend verzichten. Dafür muss jeder Gemüsefreund viermal im Jahr zum Unkrautzupfen anrücken. Das kommt gut an, besonders bei Familien mit Kindern. Die lernen dabei, wo das, was sie essen, herkommt. Und dass es auch krumme Karotten gibt.

"Wir sehen hier Radieschen und Mohrrüben, Stangenbohnen und Buschbohnen, Kartoffeln sind hier ganz außen."

13 Kunden haben sie bisher. 50 sollen es irgendwann werden. Das wären 2500 Euro fixe Einnahmen pro Monat.

"Ist natürlich für uns auch ganz aufregend, weil wir ja auch noch nicht so große Erfahrung haben, wir haben das natürlich schon immer für uns angebaut, aber ist natürlich in einem ganz anderen Rahmen jetzt."

Doreen Obrembski blickt kurz in den Himmel. Die Sonne scheint. Endlich. Musste sie doch bisher ihre Kunden vertrösten.

"Als ick jetzt geschrieben habe, dass wir nicht am Ersten anfangen können durch die schlechte Wetterlage, weil es ja so lange kalt war, die waren alle, die ham alle zurückgeschrieben, machen sie sich keine Gedanken, das sehen wir doch ein. Da bin ich so glücklich und dankbar für gewesen, das kann man sich gar nicht vorstellen."

Doreen Obrembski lächelt. Ebenso wie Dorfkümmerin Macht. Das Projekt ist angeschoben. Nun kommt der Praxistest. In diesem Sommer wird sich zeigen, ob die solidarische Landwirtschaft funktioniert.

"Es geht natürlich darum, dass wir Projekte fördern, die dann auch wirklich im Dorf über Jahre alleine funktionieren werden als Selbstläufer. Und da schafft man nur, in dem man die Leute vor Ort fördert, die Ideen haben."

Als Nächstes kommt die Verschönerung der Badestelle dran. Und dann der Umbau der alten Schule.