Die Dichter und die Religion

07.05.2008
Wie hielten es Goethe, Sophie von La Roche, Clemens Brentano oder Peter Huchel mit der Religion, fragt das Buch. Oft führt diese Frage ins Zentrum der Existenz der Dichterleben. Wolfgang Frühwald sind wunderbare Porträts gelungen: lebendig, facettenreich und berührend.
"Das Gedächtnis der "Frömmigkeit". Der Titel klingt in unseren Ohren ein wenig verstaubt. Wenn heute einer als "frommer Mensch" bezeichnet wird, denkt man schnell an Unaufgeklärtheit und mangelnde wissenschaftliche Bildung. Zu Zeiten Luthers, auch zur Goethe-Zeit, ist das anders gewesen. Wenn hier von "Frömmigkeit" die Rede war, meinte man schlicht die Beziehung des Menschen zu Gott, zur Unendlichkeit, zu religiösen Fragen überhaupt. Was unter "Frömmigkeit" firmierte, heißt heute "Spiritualität". Dennoch, der Autor bleibt beim Alten. Das Wort "Frömmigkeit" hat schließlich eine große Tradition, besonders hierzulande.

"Die Frömmigkeit steht an der Wiege deutscher Literatur" stellt Wolfgang Frühwald fest. Die Deutschen sind ein frommes Volk, seine Dichter und Denker hat das Thema "Gott" noch niemals kalt gelassen. Sowohl Martin Luther als auch Friedrich Nietzsche – der große Reformator des Christentums und derjenige Philosoph, bei dem alle großen Gotteslästerer des 20. Jahrhunderts in die Schule gegangen sind - beide schreiben eine unvergleichliche Prosa in Deutsch.

Frühwalds Buch hat 15 Kapitel. Jedes einzelne eröffnet den Blick auf eine bestimmte Epoche, ihre Literaturlandschaft und auf bestimmte Schriftsteller und Schriftstellerinnen. Es geht zum Beispiel um Sophie von La Roche, Schriftstellerin der Goethezeit und Herausgeberin von "Pomona", der ersten deutschen Frauenzeitschrift. Es geht um die Romantiker, um Clemens Brentano und Joseph von Eichendorff, aber auch um die Modernen: um Peter Huchel und Tankred Dorst. Wolfgang Frühwald hat sich jedes Mal gefragt: Wie hält er’s (oder auch sie es) mit der Religion? Die "Gretchen-Frage", an verschiedene Dichterleben gestellt, fördert nicht etwa Marginales zutage, sondern führt ins Zentrum der Existenz. Frühwald sind wunderbare Dichterportraits gelungen: lebendig, facettenreich und berührend.

"Goethe und die Religion", auch dieses schwierigen Themas hat sich der Autor angenommen. Und wir erfahren, auf seine "Gretchen-Frage" hat Goethe im Lauf des Lebens höchst unterschiedlich geantwortet. Die Jugend des Dichters ist von pietistischer Frömmigkeit geprägt. Dann trifft er Herder und konvertiert zum Pantheismus. In späteren Jahren wird Goethe das Wort "Weltfrömmigkeit" zu einem Lebensthema. Darunter versteht er eine rastlose Tätigkeit zum Wohle der eigenen Bildung und der menschlichen Gemeinschaft. Goethe war sich übrigens sicher, dass ein immerwährendes Tätigsein die Menschenseele unsterblich macht.

Frühwalds Buch handelt nicht nur von frommer Zuversicht und Gottesfreude, sondern auch von Gottesferne und nihilistischer Verzweiflung. Und nicht zuletzt von jenen grausamen Schauspielen der Geschichte, die ein pervertierter Gottesglauben inszeniert hat. Darum geht es zum Beispiel in einem Kapitel über den Jesuitenpater Friedrich Spee von Langenfeld. Der lebte in der Zeit der großen Hexenprozesse und hat vielen der angeblichen Hexen vor ihrem Gang zum Scheiterhaufen die Beichte abgenommen. Von Langenfeld hat 1631 ein Buch mit dem Titel "Cautio Criminalis" verfasst. Frühwald beschäftigt sich ausführlich mit diesem Werk wider die perfiden Praktiken der Hexenprozesse. Von Langenfeld streitet nicht zuletzt gegen die Männer der eigenen Kirche, die ihre neurotischen Angstfantasien und perversen Machtgelüste als "fromme Taten zur Ehre Gottes" drapieren.

Frühwalds Buch handelt über Literaturgeschichte. Und es ist dennoch aktuell. "Religion ist Sinn und Geschmack für’s Unendliche" schreibt der Romantiker Friedrich Schleiermacher Anfang des 19. Jahrhunderts. Klingt das nicht hochmodern? Zeitlos ist offensichtlich auch die tröstende Kraft in den Urtexten des Christentums. Frühwald zitiert Horst Bienek, einen DDR-Schriftsteller, der Anfang der Fünfziger ein paar Jahre in einem russischen GULAG verbrachte, nachdem SED-Genossen ihn denunziert hatten. - Er sei nie ein Bibelleser gewesen, aber im GULAG gab es einen Mitgefangenen, der große Teile der Bibel auswendig kannte, so berichtet Horst Bienek. Und bekennt seinem Leser, ohne den Zuspruch des Apostels Paulus aus den Briefen an die Korinther hätte er die Qualen des Lagers vermutlich nicht überlebt.
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Rezensiert von Susanne Mack

Wolfgang Frühwald
Das Gedächtnis der Frömmigkeit. Religion, Kirche und Literatur in Deutschland

Verlag der Weltreligionen. April 2008.
369 S., 22,80 Euro