Die Despotie der Elite

Von Volker Trauth · 28.09.2012
Ute Scharfenberg bringt in ihrer Bearbeitung von Uwe Tellkamps Roman "Der Eisvogel" die Geschichte einer geistigen Verführung auf die Bühne. Im Zentrum der Handlung: Der 30-jährige Wiggo Ritter, den es in die Arme einer rechtskonservativen Bewegung treibt.
Es ist der Roman einer geplanten und missglückten Revolution von Rechts, die Bestandsaufnahme einer von Krisen geschüttelten Gesellschaft, die in Angst und Selbsthass zu versinken droht – und es ist die Geschichte einer geistigen Verführung.

Verführt wird der 30-jährige arbeitslose Philosoph Wiggo und der Verführer ist der charismatische Tatmensch Mauritz – Kopf des militärischen Arms einer rechtskonservativen Bewegung, die sich "Wiedergeburt" nennt.

Was beide verbindet ist das Unbehagen an der Demokratie, die sie als Hort von Mittelmaß sehen. Ausweg soll die "Despotie der Elite" werden. Am Ende will Wiggo aussteigen, tötet in Notwehr den Verführer und trägt selbst schwere Verbrennungen davon. Im Krankenhaus beginnt er nachzudenken und sich über seine Tatmotive klar zu werden.

In der Bühnenbearbeitung von Ute Scharfenberg werden die 314 Seiten des Romans auf gut 50 Seiten einer Theaterfassung gebracht und die circa 100 handelnden Personen auf 15 Schauspieler verteilt. Im Roman angelegte oder angedeutete Dialoge werden herauskristallisiert, ineinander montiert und einer neuen Abfolge unterworfen. Diese Abfolge ist dramaturgischen Überlegungen geschuldet: wenn beispielsweise früher als im Roman der berufliche Abstieg Wiggos erzählt wird, kommt sehr bald die geistige Verführbarkeit des 30-jährigen ins Spiel.

Im Roman wird ja das Geschehen in erster Linie vom Icherzähler Wiggo berichtet, assistiert von drei Zeugen, die seinen Weg gekreuzt haben. Für die Potsdamer Inszenierung ist eine Folge von insgesamt 31 Szenen entstanden.

Die Anlage der Szenen zielt auf stärkere Konturierung und Verlebendigung der Träger von Meinungen und Positionen. Während im Roman einzelne Ereignissplitter und Handlungsfetzen mit Bindestrichen verbunden waren und so nur schwer zu verstehen war, wer da sich mit wem auseinandersetzt, sind jetzt Konfliktpartner deutlicher zu erkennen.

Regisseur Steffan Otteni hat versucht, das oft sperrige Textmaterial so weit wie möglich in szenisches Spiel aufzulösen. Dazu hat er eigene Texterweiterungen gefunden.

Bei ihrer ersten Begegnung werfen sich Wiggo und Mauritz Textstellen aus Menos Klage an Diothyma (Hölderlin) an den Kopf – so ihre Seelenverwandtschaft bekundend. Theatralische Steigerungen gibt es jede Menge. Im Rahmen eines Crashkurses für Jungunternehmer rennen die wie besessen gegen Säulen und schreien verbissen ihre Siegeszuversicht heraus, martialische Gestalten robben, foltern und marschieren in einer Übungsstunde der Wehrsportgruppe von Mauritz, und das gemeinsame inbrünstige Singen des Deutschlandlieds beendet die Tagung der "Bewegung Wiedergeburt".

Der Theatralisierung sind jedoch vom Text her Grenzen gesetzt. Viele Passagen haben einfach zu wenig situatives Potenzial. Das betrifft vor allem die Figur des Mauritz. Dessen Texte sind unübersehbar vor allem Verkündigungen und Bekenntnisse, ohne dass durch sie konkrete Handlungen vorangetrieben werden.

Die herausragende schauspielerische Leistung liefert Alexander Finkenwirth als Wiggo. Der vermag es in den besten Momenten der Inszenierung das auseinander laufende Geschehen zusammenzuhalten. Klar voneinander abgegrenzte schauspielerische Haltungen fallen auf: die lähmende Angst bei der Rückerinnerung an das von ihm ausgelöste Feuer, Wut und Ekel über perverse Auswüchse in der Gesellschaft und über marktschreierische Medienmeldungen sowie Entsetzen über die Abgründe in sich selbst beim Einbruch in die Wohnung des Professors, der ihn entlassen hat.

Insgesamt eine engagierte Arbeit, die jedoch nicht beweisen kann, dass dieser Roman nach weiteren Umsetzungen auf der Bühne schreit.