Die Chancen der jungen Generation

Von Anna von Münchhausen |
Kaum ein Werbespot hat in den vergangenen Monaten Feuilletonisten und Soziologen ähnlich beschäftigt wie der einer deutschen Bausparkasse. Offenbar hatten die Werber damit einen Nerv getroffen.
Die Helden des Dreißig-Sekunden-Films sind die kleine Lena und ihr Papa. Der liegt vor seinem schettrigen Bauwagen in einer Blechwanne, die etwa sechsjährige Tochter sitzt auf den Stufen davor. Sie erzählt von Mitschülern, die eine eigene Dachterrasse, eine eigene Wohnung, ja - man staune - ein richtiges Haus haben. "Alles Spießer", schnaubt der Papa voller Verachtung. Pause. "Papa, wenn ich groß bin, will ich auch Spießer werden."

Soziologen sprechen von einem Re-Design des Bürgerlichen. Es wird wieder in Weiß geheiratet, und viele finden nichts dabei, wenn ein Mann noch mit 27 bei den Eltern wohnt und dort seine Wäsche waschen lässt.

Doch anstatt sich über diese offenbar enorm vernünftigen jungen Leute zu freuen, hebt in der Elterngeneration das große Jammern an. Ihre Prognose verrät mehr als ein bisschen Lust am Untergang. Deutschlands Zukunft sieht, wenn man diesen Eltern glauben darf, wirklich düster aus. Man macht sich – wieder einmal – sehr viele Sorgen um die jungen Leute. Werden sie eine vernünftige Ausbildung erhalten? Werden sie Arbeit finden? Werden sie bindungsfähig sein, eine Familie gründen, Verantwortungsbewusstsein zeigen? Werden sie sich Familie überhaupt leisten können, angesichts der Tatsache, dass jeder von ihnen bald für zwei Rentner und die eigene Alterssicherung aufkommen muss? Die bangen Fragen schließen beinahe schon die Antwort ein: "Die werden ganz ganz arme Schweine sein", wie es ein Vater neulich ausdrückte. Dahinter stand, unausgesprochen, wohl auch die eigene Furcht, diese Verlierer bis ans Ende der eigenen Tage unterstützen zu müssen.

Wer die Jugendlichen selbst befragt, erlebt, dass sie keineswegs diese düsteren Prognosen übernehmen. Zwar sind auch sie weit davon entfernt, ihre Zukunft in Rosarot zu zeichnen. Doch über das, was sie mit ihrem Leben anstellen wollen, haben die zwischen 18 und 30 Jahre alten Deutschen – davon gibt es übrigens 12,5 Millionen - in der Regel sehr genaue Vorstellungen. Zweitausend von ihnen hat das Jugendmagazin "Neon" kürzlich befragt. Zwei Zahlen aus dieser Studie sind besonders aufschlussreich, für manchen sogar überraschend: Wie schätzen Sie die derzeitige Stimmung in Deutschland ein? fragten die Meinungsforscher. "Niedergeschlagen", antworteten 66 Prozent, "pessimistisch" nannten sie 61 Prozent. Und mit welcher Stimmung blicken Sie selbst in die Zukunft? wurde daraufhin gefragt. Als "hoffnungsvoll" beschrieben sich 54 Prozent der jungen Männer und Frauen. "Optimistisch" nannten sich immerhin noch 45 Prozent. Nur 15 Prozent ordneten sich bei "niedergeschlagen" ein.

Na und? könnte man fragen. Jugend war doch immer mit dem Vorrecht auf Übermut, Optimismus und Zukunftslust verbunden. Heute dreht sich der Generationskonflikt halt nicht um politische Aufmüpfigkeit und Verweigerung. Was die Älteren von den Jüngeren unterscheidet, ist vielmehr die unterschiedliche Bewertung von Lebensentwürfen. Aber es steckt mehr dahinter. Hans Magnus Enzensberger, ein eher nüchterner Beobachter unserer Zeit, sagte kürzlich: "Ich kenne viele junge Leute, denen das Gejammer nicht passt und denen die Unbeweglichkeit nicht passt."

Beweglich allerdings sind sie. Da ist die neunzehnjährige Frankfurterin, die innerhalb von zwei Jahren das International Baccalaureat in England gemacht hat und sich jetzt aussuchen kann, ob sie in Heidelberg, in Maastricht oder in Exeter studieren möchte. Da ist der Zwanzigjährige, der nach seinem Wehrdienst erst einmal ein dreimonatiges Praktikum bei einer Firma in Moskau absolviert. Begründung: Englisch kann doch heute jeder. Da ist Corinna aus einem kleinen Dorf bei Erfurt. Nach ihrer Lehre und einem Gesellenjahr in einem großstädtischen Frisiersalon hat sie jetzt die Meister-Prüfung bestanden und überlegt, sich selbständig zu machen. Dafür gibt es, wie sie im Internet herausgefunden hat, womöglich sogar einen Kleinkredit aus Brüssel. Zeit, sich darum zu kümmern, hat sie augenblicklich, denn ihr Freund leistet seinen Ersatzdienst in einem amerikanischen Seniorenheim ab.

Sie sind wirklich gut vernetzt, diese postmateriellen Jugendlichen. Netwörkeln betreiben sie allerdings nicht verbissen, sondern eher spielerisch. Sie haben nicht das geringste ideologische Problem mit Geld und Kapital, aber sie wissen genau: Überfluss ist aus und vorbei. Also heißt es, die eigenen Ressourcen erkennen und einsetzen.

Jugend buchstabiert Globalisierung nicht mit Arbeitsplatzverlust. Deutschland entgrenzt sich. Keine zehn Jahre haben Auslandsstudienprogramme wie Erasmus gebraucht, um sich unter Studenten durchzusetzen. Der Bologna-Prozeß, mit dem die Universitäten gerade beschäftigt sind, mag unausgegoren erscheinen – immerhin ist er ein Zeichen dafür, dass im akademischen Bereich das Denken in Bewegung geraten ist.

Die meisten Jugendlichen heute sind Gelegenheitsjäger; gleichzeitig aber wünschen sie sich stabile Beziehungen und später irgendwann einmal auch Kinder. Wer darin einen simplen Rückgriff auf die Formen des Zusammenlebens von gestern erkennt, liegt falsch. Sie wissen durchaus um die Zerbrechlichkeit von Beziehungen und familiärer Ordnung, doch das schreckt sie nicht davon ab, es wenigstens mal auszuprobieren.

Wie wäre es also, wenn wir Erwachsenen selbst mal die Perspektive wechselten? Sind womöglich wir, die Eltern, die doch immer nur das Beste wollen, einfach nur Schwarzmaler, Chancenverdränger, Bedenkenträger? Vielleicht sollten wir zur Abwechslung einmal nicht bloß mit Jeans und Sneakers den Jugend-Look übernehmen, sondern deren Erkenntnis. Nämlich daß das Leben eine spannende Baustelle ist. Und es bleiben wird.


Anna von Münchhausen, Journalistin, geboren 1953 in Westfalen, Abitur in Heidelberg, Studium der Anglistik, Geschichte und Pädagogik in London um Hamburg, Staatsexamen für das Höhere Lehramt. Journalistisches Handwerk an der Henri-Nannen-Schule erlernt, anschließend viele Jahre als Redakteurin und Ressortleiterin der Wochenzeitung "DIE ZEIT" tätig, Schwerpunkt: Reportagen, Porträts, Glossen aus den Themenbereichen Gesellschaft, Erziehung, Bildung, Unterhaltung. Seit 2001 stellvertretende Ressortleiterin im Ressort "Gesellschaft" der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Veröffentlichungen: "Das waren die achtziger Jahre" (als Mitherausgeberin) und "Eine Stunde für mich allein – ein Ratgeber für gestresste Mütter".