"Die Burka ist für Deutschland kein Problem"

Ute Mager im Gespräch mit Ulrike Timm · 19.05.2010
Nach Einschätzung der Heidelberger Professorin für Öffentliches Recht, Ute Mager, gibt es keine ausreichenden Gründe, um die muslimische Ganzkörperverschleierung in der Öffentlichkeit zu verbieten. Dies würde in das Recht auf Selbstbestimmung eingreifen, sagte Mager.
Ulrike Timm: "Wir können nicht zulassen, dass manche das Recht für sich in Anspruch nehmen, andere anzuschauen, ohne selbst gesehen zu werden", das sagte ein belgischer Abgeordneter. Als erstes europäisches Land hat Belgien das Tragen der Burka verboten. Die Burka, das ist das sackähnliche Gewand mit Gitterfenster vor den Augen, das einer Frau nur einen kleinen Sehschlitz lässt und sie vor ihrer Umgebung vollständig verbirgt.

In Afghanistan ist sie ein normales Kleidungsstück, in Europa kommt die Burka auch unter Muslimen kaum vor, und sie ist doch zum Politikum geworden. Das belgische Parlament ist vorgeprescht. Frankreich debattiert heute. Könnte der Ganzkörperschleier auch in Deutschland verboten werden und würde das unserer freiheitlichen Ordnung schaden oder nützen? Dazu interessiert uns die Meinung von Ute Mager, sie ist Professorin für Öffentliches Recht in Heidelberg. Schönen guten Tag!

Ute Mager: Ja, guten Tag!

Timm: Frau Mager, das generelle Verbot einer Burka - ist das überhaupt mit dem Recht auf Selbstbestimmung vereinbar?

Mager: Also, sich zu bekleiden und sich zu zeigen in der Öffentlichkeit ist in der Tat eine Frage der Selbstbestimmung, und davon gehen wir aus, dass jeder, der sich in der Öffentlichkeit zeigt, selber darüber entschieden hat auch und entscheidet, wie er sich zeigt. Das bedeutet: Wenn wir jetzt dazu Regelungen machen, bedarf ein solcher Eingriff der Rechtfertigung. Der Staat muss gute Gründe anführen, legitime Ziele, um Vorschriften zu machen über die Bekleidung.

Timm: Und welche Gründe könnten das sein?

Mager: Ja, das ist genau die Frage, also zum Beispiel zum Schutz der Kommunikation jetzt in der Schule wäre durchaus denkbar, ein Burkaverbot in dem Bereich der Schule einzuführen. Oder aber zum Schutz im Straßenverkehr, der anderen Straßenverkehrsteilnehmer: Wenn eine Burka zum Beispiel die Sicht behindert und deshalb die Unfallgefahr sich klar oder nachweislich erhöht, wäre dafür auch ein Burkaverbot sicherlich zumindest die Verfolgung eines legitimen Ziels, das muss dann ja auch noch weiter geeignet sein, die Maßnahme, die man dafür trifft, und muss erforderlich sein.

Es darf kein milderes Mittel geben. Also, für diese eben genannten Ziele wäre an so etwas zu denken. Vielleicht ein etwas absurdes Beispiel: Wenn wir jetzt gehäufte Fälle hätten von Banküberfällen von Burkaträgerinnen, womöglich auch -trägern, wäre das das vielleicht auch ein Grund, in solchen Bereichen Verbote auszusprechen. Für ein Verbot auf der Straße, muss ich Ihnen sagen, kann ich ein legitimes Ziel erst mal nicht erkennen.

Etwas anderes könnte vielleicht gelten, wenn ein solcher Auftritt regelmäßig – aber das ist zweifelhaft –, regelmäßig zur Erregung öffentlichen Ärgernisses führen würde, wenn es Aufruhr gäbe, wenn der öffentliche Friede dadurch beeinträchtigt wird. Ansonsten sehe ich keinen Anhaltspunkt. Also, diese Situation haben wir ja nicht, in Deutschland auf keinen Fall, und ich habe auch nichts gehört aus Frankreich oder Belgien dieser Art.

Timm: Gibt es denn in Belgien, wo man es ja beschlossen hat, dieses Verbot, gibt es da dieses Problem um Grundrechte so nicht? Hat der Belgier weniger Selbstbestimmungsrecht als der Deutsche?

Mager: Das kann ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, denn diese Grundrechte sind ja eine allgemeine, sagen wir mal, europäische Verfassungstradition. Ich weiß natürlich nicht, wie es dort im Detail ist, auf jeden Fall gilt auch für Belgien wie für Deutschland die EMRK, also die Europäische Menschenrechtskonvention, die ja ein Mindeststandard, den Grundrechtmindeststandard in Deutschland garantiert für alle Konventionsstaaten, also Belgien gehört wie alle anderen EU-Mitgliedsstaaten auch dieser Konvention an.

Und ob das Burka-Tragen jetzt in den Anwendungsbereich der Konvention fällt, ist wiederum eine andere Frage. Wenn es Ausdruck der Religionsfreiheit ist, kann man es bejahen, eine Art allgemeiner Handlungsfreiheit, wie wir sie verbürgt haben, ist in der EMRK allenfalls als Recht auf Privatsphäre, da kommt man in schwierige Details. Langer Rede kurzer Sinn: Ich denke, in Belgien ist es prinzipiell auch nicht anders. Verbote müssen, oder Einschränkungen der Selbstbestimmung müssen gerechtfertigt werden, müssen mit einem guten Grund versehen werden.

Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton". Kann man die Burka verbieten? Darüber sprechen wir mit der Jura-Professorin Ute Mager. Frau Mager, der frühere Verfassungsrichter Hans-Joachim Jentsch kann sich durchaus vorstellen, die Burka verfassungskonform zu verbieten, weil jemand, der die Welt nur durch einen Schlitz im Tuch sieht, nicht offen kommunizieren kann. Eben sprachen Sie es kurz an. Wie sehen Sie das? Wäre das ein hinreichender Grund?

Mager: Also, da wird ja denn doch für die Burka-Trägerin eine Pflicht zur Kommunikation auch auferlegt. Wenn ich mich an die Öffentlichkeit begebe, dann darf ich mich nicht verschließen, sondern ich muss quasi offen sein für Kommunikation mit anderen. Dem würde ich so nicht zustimmen: Ich darf auch rausgehen und Kommunikation prinzipiell mit anderen verweigern.

Ich finde nicht, dass der Staat mir eine Pflicht zur Kommunikation auferlegen kann. Ein anderer Ansatzpunkt wäre noch für mich, wenn man sagt: Die Frauen, die Burka in der Öffentlichkeit tragen, die tun das ja alle gar nicht freiwillig, sondern die werden alle gezwungen. Das wäre noch wieder ein anderer Ansatz. Dann stellen wir in Frage die bisher immer vorausgesetzte Selbstbestimmung, so in der Öffentlichkeit zu erscheinen.

Timm: Aber was würde das Verbot überhaupt bewirken, abgesehen davon, dass die Frauen, die zum Tragen der Burka tatsächlich gezwungen werden, dann gar nicht mehr vor die Tür dürfen?

Mager: Ja, nichts. Genau das würde es erreichen, dass nämlich die Frauen – unabhängig davon, wie intensiv die jetzt gezwungen werden –, dass die vermutlich nicht mehr auf der Straße erscheinen würden. Insofern – selbst wenn man die Frauen, sagen wir mal, schützen wollte vor dem Zwang, wäre doch die Frage, ob das Mittel Verbot der Burka ein geeignetes Mittel, diesen Frauen zu helfen oder ein eher zweifelhaft … und ob es nicht mildere Mittel gibt, nämlich dass man solchen Frauen, die wider Willen Burka tragen müssen, im Grunde Möglichkeiten der Hilfe anderer Weise ermöglicht. Das wären die milderen und vielleicht auch besseren Mittel, als jetzt jemanden, der unter Zwang steht, im Grunde in eine weitere Zwangssituation zu bringen.

Timm: Also, ich fasse noch mal zusammen: Wenn ich die rechtliche Seite sehe, ist für Sie das Recht auf Selbstbestimmung das stärkere gegenüber dem Recht auf offene Kommunikation als Grundlage unseres Gemeinwesens. Das eine sticht das andere.

Mager: Die individuelle Selbstbestimmung steht für mich über einem allgemeinen, objektiven Wert der Kommunikation, ja. In diesem Fall schon. Ein objektiver Grundrechtswert würde sonst individuell zu einer Pflicht umformuliert, und das finde ich äußerst problematisch, da kommen wir auf ein ganz grundlegendes Problem, das haben wir nicht nur in diesem Fall, sondern durchaus öfter, inwieweit eben die Grundrechte, die eigentlich individuelle Abwehrrechte sind, dadurch, dass man sie auch zu Werten, zu objektiven Werten uminterpretiert – was durchaus gute Gründe hat, in vielen Konstellationen wichtig ist – … dann aber individuell plötzlich zu einer Pflicht auf Kommunikation macht. Das halte ich für sehr, sehr problematisch. Dann ist plötzlich der Staat der Grundrechtsberechtigte und die Einzelnen werden zu Grundrechtsverpflichteten.

Timm: Frau Mager, unter deutschen Muslimen ist die Burka sowieso verpönt, sagt der Zentralrat der Muslime und spricht von einer völlig sinnlosen Debatte. Innenminister de Maizière will 100 Burka-Trägerinnen in Deutschland ausgemacht haben, wie immer er das getan hat. Aber ist es klug, für die Minderheit einer Minderheit überhaupt Gesetze zu machen oder ist die Diskussion dadurch auch ein bisschen schleierhaft?

Mager: Ja, also ich glaube wirklich, in Deutschland ist ein solches Verbot deshalb wirklich vollkommen unverhältnismäßig, weil es eine so, so, so geringe Zahl betrifft und es deshalb eben auch kein öffentliches Ärgernis gibt, dass es jetzt keinerlei Prägung der Öffentlichkeit durch eine solche Bekleidung gibt. Das sind absolute Einzelfälle. Da ein Gesetz für zu machen würde in der Tat neben allen anderen Dingen, wie ich ja schon gesagt habe, der Sache ein völlig unnötiges Gewicht geben. Die Burka ist für Deutschland kein Problem.

Timm: Dann gucken wir doch mal über die Grenze hinaus. Wenn nicht jedes Land für sich diskutiert – Belgien und Frankeich kommen ja offensichtlich zu anderen Ergebnissen –, wenn man das mal gesamteuropäisch diskutiert: Würde so ein gesamteuropäisches Verbot denkbar sein und eine andere Qualität haben?

Mager: Ja. Gesamteuropäisch kommen dann ja die Europäischen Menschenrechtskonventionen ins Spiel. Das ist ja, wie schon gesagt, der Mindeststandard in Europa, an dem sich auch die Europäische Union orientiert. Da haben wir am Ende, denke ich mal, auch kein anderes Ergebnis, weil nämlich, wenn wir jetzt mal meinetwegen die Religionsfreiheit nach der Europäischen Menschenrechtskonvention zur Anwendung bringen, auch die eben nur eingeschränkt werden darf.

Es muss gesetzlich vorgesehen sein und außerdem muss eine solche Einschränkung in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein für die öffentliche Sicherheit, das haben wir wohl nicht, zum Schutz der öffentlichen Ordnung, Gesundheit oder Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.

So, da könnte man jetzt denken, öffentliche Ordnung oder meinetwegen Recht und Freiheiten anderer, da haben wir vielleicht Ansatzpunkte, nur das muss man dann auch wieder rückkoppeln in einer demokratischen und auch freiheitlichen Gesellschaft notwendig. Und das dürfte doch auch hier bezweifelt werden. Ich glaube, letztendlich ist wohl für ganz Europa die Burka eben kein echtes Problem.

Timm: Burka verbieten wäre vielleicht noch schwieriger als sie tragen zu müssen, meint die Jura-Professorin Ute Mager zu einem diskutierten Burkaverbot. Belgien hat es gemacht, Frankreich will es heute beschließen. Herzlichen Dank fürs Gespräch!

Mager: Gerne! Wiederhören.