Die braunen Jahre des Buchmarkts

Rezensiert von Ernst Piper · 20.02.2011
Christian Adam befragte jahrelang Zeitzeugen, durchstöberte Antiquariate und wertete Verlagswerbung aus. Sein Mosaik liefert ein anschauliches, aber kein vollständiges Bild des Buchmarkts im Nationalsozialismus.
Adolf Hitler las gerne Karl May, als Schuljunge und auch später als Reichskanzler. Auf dem Obersalzberg standen "Winnetou", "Old Surehand" und viele andere Bände neben dem Bett in Hitlers Schlafgemach. Auch Hermann Göring las nicht nur Kriminalromane, sondern auch Bücher von Jules Verne und Karl May, einem der erfolgreichsten deutschen Autoren aller Zeiten.

Diese Tatsachen sind nicht neu, aber Christian Adam, der viele Jahre zum Buchmarkt im Dritten Reich geforscht hat, stellt sie in einen größeren Zusammenhang. Adam hat zahllose Antiquariate durchstöbert, Zeitzeugen befragt, die zeitgenössische Literatur ebenso gelesen wie die Forschungsliteratur, Verlagswerbung ausgewertet und aus all dem ein Mosaik zusammengesetzt, das uns kein vollständiges, aber doch ein anschauliches Bild des Buchmarkts im Dritten Reich liefert.

Christian Adam schreibt in seiner Einleitung:

"Zugleich unterlag der Begriff der Literatur von jeher einem steten Wandel. Im vorliegenden Buch wird er in seiner allgemeinsten Bedeutung verwendet und soll die Gesamtheit des Geschriebenen und Gedruckten umfassen, eben auch nicht-fiktionale Texte wie Sachbücher, Dokumentarisches oder Propagandaschriften, um nur einige zu nennen."

Diesen Anspruch kann der Autor nicht einlösen. In seiner dennoch durchaus lesenswerten Darstellung analysiert er den Buchmarkt vor allem im Bereich der Belletristik. Hinzu kommt der Blick auf einige ausgewählte Sachbücher und Schriften von Nationalsozialisten. Der Befund von Christian Adam ist nicht wirklich neu, aber er füllt das bekannte Bild mit Farbe und liefert eine Reihe von anschaulichen Beispielen. Ein besonders ergiebiger Zeitzeuge ist dabei Victor Klemperer, dessen Tagebücher Adam in Hinblick auf dessen Lektüreerlebnisse systematisch ausgewertet hat.

Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler Reichskanzler. Dennoch lebten die Deutschen nicht von einem Tag auf den anderen in einem anderen Land. Die Etablierung der nationalsozialistischen Diktatur war ein längerer Prozess, der sich über mehrere Jahre hinzog. Das gilt insbesondere für die Durchdringung des Alltagslebens. Für neue Bücher gab es keine Vorzensur, vielmehr ein Kontrollsystem, bei dem verschiedene Instanzen um Zuständigkeiten und Einfluss konkurrierten. Außerdem waren überall im Land viele Millionen Bücher vorhanden. Die öffentlichen Bibliotheken konnte man kontrollieren und ihre Bestände anhand von Listen des sogenannten "schädlichen und unerwünschten Schrifttums" überprüfen. Bei den privaten Buchbeständen war das kaum möglich.

Christian Adam hat für seine Arbeit Zeitzeugen interviewt, unter ihnen die 1921 in Potsdam geborene Ilse Kleeberger:

"Was Ilse Kleeberger berichtet und was viele andere Zeitzeugen auch erzählen, deckt sich weitgehend mit der Studie zur Lektüre Jugendlicher unmittelbar vor und nach 1933: Die von den Nazis verbotene Literatur verschwand nicht sofort und auch nicht spurlos. Selbst Kleebergers Vater, der bis zum Schluss ein Hitleranhänger blieb, habe die nach 1933 verbotenen Bücher wie Ludwig Renns 'Krieg' oder Erich Maria Remarques 'Im Westen nichts Neues' neben 'Mein Kampf' im Bücherregal stehen gehabt."

Adams Befunde zeigen einmal mehr, dass selbst so brutale und totalitär ambitionierte Diktaturen wie die der Nationalsozialisten sich sehr schwer taten, die privaten Lebensgewohnheiten der Menschen zu verändern. Allen Appellen zum Trotz lasen die Leute – soweit möglich - weiterhin das, was sie lesen wollten und nicht nur das, was das Regime ihnen als lesenswert verordnen wollte. Die erwähnte Studie zur Lektüre Jugendlicher aus dem Jahr 1933 beklagt denn auch die "erschreckende Richtungslosigkeit unserer literarisch interessierten Jugend".

Adam gibt in seinem Buch zunächst einen gedrängten Überblick über die nationalsozialistische Literaturpolitik und macht dann einige Anmerkungen zum Begriff des Bestsellers, bevor er im Hauptteil seiner Arbeit eine interessante Typologie der zehn erfolgreichsten Buchtypen im Dritten Reich entwickelt.

Er beginnt mit den populären Sachbüchern, darunter den damals sehr erfolgreichen Rohstoffromanen wie zum Beispiel Karl Aloys Schenzingers "Anilin", das innerhalb weniger Jahre eine Auflage von fast einer Million Exemplare erreichte. Diesen Buchtyp würde man heute wohl dem erzählenden Sachbuch zuordnen. Was Adam leider weitgehend ausblendet, sind die eigentlichen Sachbücher. Ein so wichtiger Autor wie Hans F. K. Günther kommt bei ihm überhaupt nicht vor.

Der Eugeniker Günther, der den Spitznamen "Rassegünther" hatte, war entscheidend für die Implementierung der nationalsozialistischen Rassenideologie. Seine Bücher hatten große Verbreitung, so war zum Beispiel seine "Kleine Rassenkunde des deutschen Volkes" 1934 bereits im 120. Tausend und erfüllt bei Weitem Adams Bestsellerkriterien.

Als Zweites widmet sich Adam dem Propagandaschrifttum und stellt einige ausgewählte Titel von Hitler, Rosenberg und Goebbels vor. Interessant ist sein Seitenblick auf die Cigaretten-Bilderalben der Firma Reemtsma, der aber leider sehr knapp ausfällt. Gerne hätte man mehr über die Produktionsbedingungen dieser Propagandapublikationen erfahren, auch über ihren Vertrieb, der ja nicht über den Buchhandel erfolgte. In der kleinen Bestsellerliste am Schluss seines Buches führt der Autor eines dieser Alben auf, "Deutschland erwacht" von 1933. Andere, die nicht minder erfolgreich waren, wie zum Beispiel "Raubstaat England", nennt er dagegen nicht.

Christian Adam setzt dann seinen Überblick fort mit Kriegsbüchern, humoristischen Sammlungen, moderner und klassischer Unterhaltungsliteratur und zeigt die weiterhin erhebliche Bedeutung ausländischer Autoren. Margaret Mitchells "Vom Winde verweht" verkaufte fast 400.000 Exemplare. Erst nach dem Kriegseintritt der USA im Dezember 1941 mussten die Buchhändler den Schmöker aus dem Regalen nehmen.

Zuletzt wendet sich Adam einem ganz besonderen Marktsegment zu:

"Die Verlagsbranche insgesamt hatte die Wehrmacht und das riesige Heer der Soldaten und sonstigen Dienstverpflichteten sehr schnell als große, wenn nicht gar die größte Zielgruppe der Buchhandelsgeschichte bis zu diesem Zeitpunkt entdeckt. Den Feldpostausgaben verdankten unzählige Unternehmen nicht nur das Überleben, sondern sie wurden zum Geburtshelfer für Nachkriegskarrieren und Weltkonzerne."

Zu nennen ist hier insbesondere das Verlagshaus C. Bertelsmann, in den späten 20er Jahren mit einem Jahresumsatz von einer Million Reichsmark von eher bescheidener Bedeutung. Zehn Jahre später, bei Kriegsausbruch, waren es drei Millionen, dann aber explodierte das Geschäftsvolumen geradezu. Von 1933 bis 1941 steigerte Bertelsmann seinen Umsatz um 700 Prozent, den Gewinn sogar um 3000 Prozent. Das Verlagshaus in Gütersloh wurde zum wichtigsten Buchlieferanten der deutschen Wehrmacht.

Dieses letzte Beispiel mag noch einmal illustrieren, dass Christian Adams Buch trotz mancher Einschränkungen eine gewinnbringende Lektüre verspricht. Der Autor beschreibt einen Buchmarkt, der zum einen durch ein erstaunliches Maß an Kontinuität, zugleich aber auch durch signifikante Unterschiede zu der Zeit vor 1933 und nach 1945 charakterisiert ist. "Lesen unter Hitler" bedeutete Zeitloses und Zeitbedingtes, "Winnetou" und "Mein Kampf".

Daneben brachte das Dritte Reich nicht wenige Bücher hervor, die erstaunlich bruchlos ihren Erfolg unter ganz veränderten Umständen fortsetzten. 1934 erschien die erste Auflage von Johanna Haarers Buch "Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind". Bis 1945 wurden eine halbe Million Exemplare verkauft. Unter dem leicht modifizierten Titel "Die Mutter und ihr erstes Kind" waren es nach dem Krieg dann noch einmal so viele. "Lesen unter Hitler" war nicht so grundlegend anders als das Lesen nach seinem Tod. Auch auf dem Buchmarkt wirkten die braunen Jahre noch lange nach.

Christian Adam: Lesen unter Hitler. Autoren, Bestseller, Leser im Dritten Reich
Verlag Galiani, Berlin 2010
Cover: "Lesen unter Hitler. Autoren, Bestseller, Leser im Dritten Reich" von Christian Adam
Cover: "Lesen unter Hitler. Autoren, Bestseller, Leser im Dritten Reich" von Christian Adam© Verlag Galiani