Die Börse Frankfurt wird gegründet

Von Hartmut Goege · 09.09.2010
Im ausgehenden Mittelalter gewann der überregionale Handel mehr an Bedeutung. Da aber unterschiedliche Geldsysteme existierten, entwickelte sich der Handel mit Schuldscheinen. Schnell erkannten die Kaufleute, dass der Handel mit diesen Wertpapieren einfacher war, wenn er an einem festen Ort stattfand: an der Börse.
Im 16. Jahrhundert zählte Frankfurt neben Augsburg und Nürnberg zu den reichsten Handelsorten im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation. In diesem losen Staatenbund, in dem jeder Kurfürst sein eigenes politisches Süppchen kochte, war Frankfurt als freie Reichsstadt nur dem Kaiser unterstellt. Hier wurden nicht nur deutsche Könige und Kaiser gekrönt, hier wurde eben auch viel Geld verdient, was Martin Luther schon 1524 in seinem "Sermon über den Handel" geißelte:

Zitat Martin Luther
"Du wirst dich wundern, wie es kommt, dass überhaupt noch ein Heller in Deutschland ist. Frankfurt ist das Silber- und Goldloch, durch das alles abfließt, was wächst und gedeiht, bei uns gemünzt und geprägt wird. Wäre dieses Loch zugestopft, brauchte man sich jetzt nicht die Klage anzuhören, dass es überall nichts als Schulden gibt und dass alle Länder und Städte mit Zinsen belastet und vom Wucher ausgesogen sind."

Die Messestadt Frankfurt lag am Kreuzweg europäischer Handelsstrassen und war von Krisen und Kriegen weitestgehend verschont geblieben. Hier trafen sich Kaufleute aus ganz Europa, um Informationen über Absatzmärkte auszutauschen, Waren nachzufragen oder Kundenaufträge abzuwickeln. Doch wer Geschäfte machen wollte, stand einer Fülle an Zahlungsmitteln gegenüber. Das Deutsche Reich besaß viele kleine Wirtschaftsräume mit eigenen Geldsystemenen. Neben dem Reichstaler gab es etwa Pfälzische Dukaten, Rheinische Goldgulden oder Sächsische Guldengroschen.

Für ausländische Münzen existierten keine einheitlichen Wechselkurse. So war Frankfurt ein Eldorado für zwielichtige Geldwechsler geworden. Viele Markt- und Messebesucher beklagten, daß beim Münztausch ein Großteil der Handelsgewinne in der Stadt verblieb. 1585 richteten deshalb 84 auswärtige Kaufleute aus Belgien, Holland, Italien und deutschen Kleinstaaten ein Gesuch an die Stadt Frankfurt:

"Wie die Herren gut Wissen haben, herrscht in den hiesigen Meßzahlungen nun etliche Jahre her große Unordnung. Obwohl der Rat hiergegen ernstliche Mandate hat ergehen lassen, haben sich doch Leute gefunden, die frei und ungescheut Jedermann zwingen wollen, die Münzsorten höher, als sonst gebräuchlich, von ihnen anzunehmen."

So mancher unvorsichtige Kaufmann hatte nach erfolgreichem Geschäftsabschluß weniger in der Tasche als vorher.

"Da aber solcher Münzwucher als sicherer Verderb aller Gewerbe und Handlung nicht zu dulden ist, so haben wir zur Abstellung nichts Heilsameres gefunden, als daß ein allgemeiner Vergleich des Wertes in allen Münzsorten unter uns getroffen werde."

Am 9. September 1585 gab der Rat dem Antrag statt. Dieses Datum gilt als Gründungstag der Börse Frankfurt. Von nun an fand sich zu jedem Messetermin auf dem Rathausplatz Römerberg ein Kreis von Kaufleuten zusammen, um im Devisenverkehr verbindliche Preise zu ermitteln. Da der überregionale Handel zunahm, kam bei Zahlungsschwierigkeiten dem sogenannten Wechsel immer mehr Bedeutung zu. Diese schriftliche Verpflichtung eines Schuldners, dem Wechsel-Besitzer eine bestimmte Summe zu zahlen, erleichterte die Abwicklung von Handelsgeschäften. Denn die Schuldscheine waren auf Dritte übertragbar. Vor allem Antwerpener Kaufleute mit ihren internationalen Verbindungen, die sich nach der Eroberung ihrer Stadt durch die Spanier in Frankfurt niedergelassen hatten, favorisierten dieses Geschäft. Es band die Kaufleute wiederum an den Besuch der hiesigen Messen. Hier konnten sie ihre Wechsel einlösen. Hatten an den Börsenversammlungen anfangs nur Kaufleute teilgenommen, dominierten nach und nach Makler das Börsengeschehen. Am 29. März 1625 erließ die Stadt folgendes Edikt:

"In jeder Messe sollen die Makler am Montag in der Zahlwoche vormittags acht Uhr vor den beiden regierenden Bürgermeistern nach abgelegtem Handgelöbnis anzeigen, wo ihres Wissens die meisten Wechsel hin und wider geschlossen; darauf haben um zehn Uhr die Kaufleute von unterschiedlichen Orten und Nationen zusammenzutreten und mit Zuziehung der angesehensten Makler den Kurs festzusetzen."

Nur wenige Tage später wurden die ersten offiziellen Durchschnitts-Notierungen für zwölf Geldsorten an Korrespondenten anderer europäischer Handelsplätze versandt. Fast 200 Jahre lang tätigte die Börse Frankfurt nur Geschäfte mit Münzen und Wechseln. Mitte des
18. Jahrhunderts kamen auch Staatsanleihen hinzu. Der Aktienhandel begann in Frankfurt 1820 und schon 1840 gab es den ersten Börsenboom, ausgelöst durch den großen Geldbedarf für den Eisenbahnbau.
Heute zählt Frankfurt neben London, Paris und New York zu den wichtigsten Börsenplätzen weltweit.