Die Bildhauerin und der Diplomat

25.04.2008
Das Leben der berühmten Bildhauerin Camille Claudel endete einsam und im Irrenhaus. Ihr Bruder, Paul Claudel, war ein erfolgreicher Schriftsteller und Diplomat mit glänzender Karriere und Familie. Eine Doppelbiografie über Camille und Paul Claudel deckt Gemeinsamkeiten zwischen den beiden auf, die auf den ersten Blick grundverschieden scheinen.
Ihr Leben hätte nicht unterschiedlicher verlaufen können: Die Bildhauerin Camille Claudel stirbt 1943 allein und einsam im Irrenhaus, wo sie nach einem viel versprechenden Auftakt ihrer künstlerischen Laufbahn über 30 Jahre lang in Verwahrung war. Ihr jüngerer Bruder Paul, Jahrgang 1868, hat unterdessen eine glanzvolle Karriere gemacht. Der würdige Familienvater und hoch verdiente Diplomat, Jahrzehnte lang im Ausland beheimatet, Vertreter der "renouveau catholique", einer katholisch-mystischen Dichtung, war ein anerkannter Schriftsteller geworden und wurde schließlich sogar zum Mitglied der Académie francaise berufen. Die neue Doppelbiografie der französischen Literaturwissenschaftlerin Dominque Bona beleuchtet zum ersten Mal die Zusammenhänge zwischen den Lebensläufen der Geschwister und fördert geheime Verbindungen zu Tage.

Bona folgt der Chronologie der Ereignisse und liefert eine Art Lebensroman der beiden Geschwister. Zuerst präsentiert sie uns das freudlose Elternhaus in der französischen Provinz des Tardenois. Die Mutter, eine zänkische, missgünstige Person, hat nur die mittlere Tochter Louise mit Zuneigung bedacht, weshalb Camille, 1864 geboren, und Paul sich eng miteinander verbinden. Beide begeistern sich für die raue Landschaft, in der sie aufwachsen und finden Gefallen an Literatur und Kunst.

Camille formt schon zu Schulzeiten aus Ton Figuren und Büsten, und als die Familie in den achtziger Jahren nach Paris übersiedelt, beginnt sie, unterstützt von ihrem Vater, eine Ausbildung in einem Bildhaueratelier. Paul quält sich unterdessen an dem renommierten Gymnasium Louis-le-Grand. Beiden Geschwistern ist der formvollendete Umgang und die kultivierte Konversation in den Pariser Salons ein Graus. Dennoch frequentieren sie eine Zeit lang den "Jour fixe" von Mallarmé und bewegen sich in den einschlägigen Kreisen, ohne sich anzupassen oder gar den Akzent ihrer ländlichen Herkunft zu vertuschen. Im Gegenteil: sie bestehen auf ihrer Ursprünglichkeit. Bona siedelt genau in diesen Sphären den Ursprung ihrer künstlerischen Begabungen an.

Sehr zum Entsetzen ihrer Mutter tritt Camille in das Atelier von Rodin ein. Der Mann ist ein Berserker und hat eine inspirierende Wirkung auf die Neunzehnjährige. Sie wird seine Geliebte und offizielle Begleiterin, aber Rodin, der Camille aufrichtig liebt, ist ein notorischer Frauenverführer und kann sich überdies von seiner jahrzehntelangen Gefährtin Rose nicht lösen. Einfühlsam porträtiert die Autorin die turbulente Beziehung und sieht in der gewaltsam von Camille vollzogenen Trennung – sie hielt die Unentschiedenheit Rodins eines Tages nicht mehr aus und wollte auch in ihrer Formensprache unabhängig von ihm werden – den Ursprung ihrer psychischen Instabilität. Camille, die mit ihren freizügigen, kraftvollen Statuen mitunter für Skandale sorgt, aber dennoch Erfolg bei wichtigen Sammlern und Galeristen hat, steigert sich derartig in ihre Arbeit hinein, dass sie jeden Bezug zur Wirklichkeit verliert. Mit Anfang vierzig ist sie eine verwirrte, heruntergekommene Frau ohne finanzielle Mittel. Nach dem Tod des Vaters lassen die Mutter und Paul sie in eine psychiatrische Anstalt einweisen und unterbinden jeden Kontakt mit der Außenwelt.

Dominique Bona zeigt auf, dass auch Paul Gefährdungen durch extreme emotionale Zustände kennt und seine unnachgiebige Haltung der Schwester gegenüber vermutlich hier seine Wurzel hat. Als junger Mann erfährt er eine religiöse Bekehrung. Auf Rodin ist er eifersüchtig, er habe seine Schwester zur Sünde verführt. Seine eigenen Gespenster bannt Paul Claudel durch eine rational geschlossene Ehe und seinen strikten Glauben. 1904 wäre er nämlich beinahe selbst an der Zurückweisung durch seine anderweitig verheiratete Geliebte Rosalie Fetch zu Grunde gegangen, die sich mit einem dritten Mann aus dem Staub machte. Paul Claudel verliert jede Contenance und verfolgt Rosalie, die überdies von ihm schwanger ist, gemeinsam mit dem geschassten Ehemann durch halb Europa. Als sich sogar das Außenministerium besorgt zeigt, zieht sich Claudel ins Kloster zurück. Durch seine Ehe gerät er in ruhigere Fahrwasser. Sein Beruf führt ihn nach Japan, Brasilien, Dänemark und in die USA. Die letzten Jahre seines Lebens verbringt er zurückgezogen auf einem Schloss in der Dauphiné.

Bonas Biographie ist lehrreich und informativ. Sie betrachtet Camille als eigenständige Künstlerin und reduziert sie nicht auf ihre Rolle als Schülerin und Geliebte Rodins. Zugleich wird die Tragik dieses Frauenschicksals deutlich. Zwar ist sie in der Lage, sich dem Einfluss des Lehrers zu entziehen, aber sie schneidet sich auch von sämtlichen Kontakten zur tätigen Welt ab. Man erfährt viel über die praktischen Zwänge einer Existenz als Bildhauerin: die Kosten des Materials, die Arbeit mit Gießern und Modellen, die Abhängigkeit von Auftraggebern. Auch Paul Claudel wird zu einer lebendigen Figur. Gerade im Widerschein der schwesterlichen Biographie gewinnen seine dunklen Seiten an Plastizität. Der hymnische Katholizismus, der in seinen Gedichten dominiert, ist eben nicht der ganze Claudel.

Allerdings hat Dominque Bonas Doppelbiographie Camille und Claude ein großes Manko. Die Literaturwissenschaftlerin scheint gewissermaßen von Paul Claudels emphatischer Ausdrucksweise angesteckt: ihre Sprache ist unerträglich blumig und von einem künstlichen Pathos durchdrungen. Formulierungen wie "Das Genie der großen Dichter hat sich unter diesem tiefhängenden Himmel entfalten können, im Angesicht dieser dem Unendlichen geöffneten Felder, die weder durch Hecken noch Mäuerchen getrennt sind, höchstens durch spärliche Baumgruppen, die den wütenden Ansturm des Windes verlangsamen sollten" und "Er verschließt sich nicht: Große Winde erfüllen weiterhin seine Prosa mit reiner Luft" schmälern den Genuss der Lektüre.

Rezensiert von Maike Albath

Dominique Bona: Camille und Paul. Kunst und Leben der Geschwister Claudel
Aus dem Französischen von Eva Moldenhauer
Albrecht Knaus Verlag, München 2008
384 Seiten, 22,95 Euro
Der französische Schriftsteller, Dichter und Diplomat Paul Claudel, Bruder von Bildhauerin Camille Claudel
Paul Claudel© AP Archiv
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