Die Bildhauerin Merle Richter war "Artist in Residence"

Als Künstlerin an der Grundschule

Ein 11-jähriges Mädchen malt mit Buntstiften ein Bild.
Kreativ sein ohne Leistungsdruck, das Programm "Artists in Residence" bringt Grundschüler und Künstler zusammen (Symbolbild). © imago stock&people
Merle Richter im Gespräch mit Nicole Dittmer · 10.07.2018
Kreative Freiheit statt Notenstress: Als "Artist in Residence" arbeitete die Künstlerin Merle Richter ein Jahr an einer Berliner Grundschule. Dort half sie Kindern, ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen. Für manche war das gar nicht so einfach.
Ein Atelier in einer Grundschule? Für die Bildhauerin Merle Richter war das eine ungewohnte Erfahrung - und auch für die Schüler. Anfangs kamen sie nur während des Schulunterrichts ins Atelier von Merle Richter, doch dabei blieb es nicht: "Weil die Kinder ziemlich viel Spaß und Freude daran hatten, was sie im Atelier machen konnten, kamen sie häufig auch noch zusätzlich am Nachmittag freiwillig ins Atelier zum Arbeiten."

Kunst ohne Noten

Frei von schulischem Leistungsdruck konnten die Schüler im Atelier von Merle Richter experimentieren und ihren Interessen nachgehen: "Mir war es wichtig, dass die Kinder keine Aufgabenstellung erhalten haben, sondern einen Raum erhalten haben für ihre eigenen Ideen, ihre eigenen Interessen und Neigungen. Und ich sie dann begleitet habe in diesem Prozess. Zum Beispiel der Ideenfindung und Umsetzung."
Manche Kinder hätten anfangs Schwierigkeiten gehabt mit dieser ungewohnten Freiheit umzugehen, erklärt Merle Richter: "Eine Schülerin war diese Freiheit nicht so gewohnt und hatte erst einmal Sorge, dass sie nicht die zündende Idee kommt. Und im beiläufigen Gespräch über Hobbies habe ich dann von ihr von ihrem Spaß und ihrer Freude am Kochen und Experimentieren erfahren. Und dann entwickelte sich daraus die Idee, dass sie mit Zucker arbeiten kann."

Bild aus Zucker

Die Schülerin experimentierte mit Zucker, ließ ihn karamelisieren und kam schließlich auf die Idee die klebrige, braune Masse mit weißem Wachs zu kombinieren und daraus eine Landschaft mit einer Treppe und einem Baum zu schaffen: "Dazu kamen dann noch Figuren. Unter anderem ein Mann mit Anzug, Krawatte und Sonnenbrille, der einen Coffe-to-go-Becher in der Hand hält und die Treppen hinunter stürzt. Es sind Beobachtungen der Kinder aus ihrer alltäglichen Lebenswelt."
Dass Kinder die gewohnte Umgebung mit einem anderen Blick wahrnehmen, das ist offenbar ein Effekt der Begegnung zwischen Künstlern und Kindern: "Das Besondere an dem Programm ist dieser Moment, dass der Künstler der Schule erst einmal fremd ist (…) und dieser Moment der Irritation entsteht. Im Prinzip wird Gewohntes erst einmal durchbrochen und das regt natürlich die Wahrnehmung an. Die Schüler nehmen den Raum erst einmal ganz anders wahr und werden viel bewusster."

Scheitern dürfen

Neben einer neuen Wahrnehmung war es für die Schüler auch eine neue Erfahrung ohne Leistungsdruck schaffen zu können: "Das heißt, die Kinder sehen die Prozesse des Zweifelns, des Scheiterns, des Wiederneuanfangs, des Transformierens. Und das macht, so wie ich es beobachtet habe, auch einfach Mut selber Sachen auszuprobieren."
(mw)
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