Die Berufung gefunden

Von Dirk Schneider · 24.01.2012
Zehn Monate lang hat Schriftsteller Thomas Pletzinger das Basketballteam von Alba Berlin begleitet. Herausgekommen ist eine Sportreportage: Spannend wie ein Krimi, denn die Fallhöhe einer guten Bundesligamannschaft ist enorm - für das Team, aber auch für den einzelnen Sportler.
Die Berliner O2 World an einem Sonntag im November. Gleich wird das Basketballteam von Alba Berlin seine Erzrivalen empfangen, die Brose Baskets Bamberg. Thomas Pletzinger steht ungeduldig am Spielfeldrand:

"Das ist schon wahnsinnig besonders, weil es ein bisschen das aufgreift, wo mein Buch endet. Also das letzte Finalspiel um die Deutsche Meisterschaft. Und jetzt geht es tatsächlich darum, für Berlin so eine Art Revanche zu nehmen."

Für sein Buch "Gentlemen, wir leben am Abgrund" hat Thomas Pletzinger zehn Monate lang das Team von Alba Berlin begleitet. Es war eine ereignisreiche Saison, und am Ende hat Alba die Meisterschaft nur knapp an Bamberg verloren. Alle paar Minuten wird der Schriftsteller jetzt mit Handschlag begrüßt, von Spielern, Sportreportern, Fans. Man könnte den Zwei-Meter-Mann mit den kurz geschorenen Haaren auch für einen ehemaligen Alba-Spieler halten:

"Ich hab bis ich 25 war, aktiv gespielt, aber den Gedanken an eine Profikarriere habe ich mit 18, 19 aufgegeben oder aufgeben müssen. Ich habe einfach erkannt, dass ich nicht gut genug war."

Brandt Hagen war Thomas Pletzingers Team, Ball und Korb, Sieg und Niederlage waren die Koordinaten, zwischen denen sich seine Jugend abgespielt hat. Der 36-Jährige beschreibt sich selbst als Suchenden. Hagen war für ihn Heimat, aber nicht der Ort, an dem er bleiben wollte:

"Kein toller Ort, aber ein sehr herzlicher Ort, wie ich finde. Alle meine Freunde waren Basketballer, meine erste Freundin war Bundesligaspielerin. Das war die Welt in der ich gelebt habe damals."

Und in die er 2010 noch einmal eingetaucht ist, bei Alba Berlin, dem Team seiner Wahlheimat. Anfangs noch misstrauisch beäugt, wurde er zu einem Teil der Mannschaft. Er begleitete sie ins Trainingslager, saß mit in der Kabine und bei den Spielen auf der Mannschaftsbank. Heute sitzt Pletzinger nur ein paar Meter weiter, hinter dem Korb, auf den die Bamberger jetzt ihre Angriffe starten - mit einer guten Trefferquote.

"Man muss schon sagen, dass die Bamberger wahnsinnig gut sind. Die sind sehr konzentriert, lassen sich eigentlich gar nicht aus dem Konzept bringen."

Mit Anfang 20 entdeckte Thomas die Welt der Indierockkonzerte, des Biertrinkens und der Kunst. Er erwägte ein Kunststudium, aber sein Medium war schon immer die Sprache. Sie hat ihn aus Hagen hinaus geführt - zum Studium der Amerikanistik nach Hamburg, ans Deutsche Literaturinstitut nach Leipzig, schließlich nach Berlin, wo er heute als Schriftsteller und Übersetzer lebt, mit Freundin und kleiner Tochter. Zwischenstationen führten ihn unter anderem nach Amerika. Am 11. September 2001 war er Praktikant bei einem Verlag in New York.

Die Anschläge auf das World Trade Center hat er in seinem ersten Roman "Bestattung eines Hundes" verarbeitet. Dass dieses Buch ins Amerikanische übersetzt wurde, ist für ihn eine Auszeichnung:

"Auf dem amerikanischen Buchmarkt gibt es nur drei Prozent übersetzter Bücher, und diese drei Prozent teilen sich auf in alle Sprachen der Welt."

In der O2 World liegt Alba am Ende des dritten Viertels mit 60:67 zurück. Noch kein einziges Mal war die Mannschaft in Führung. Doch der Schriftsteller bleibt gelassen:

"Es sind jetzt sieben Punkte vor für Bamberg, aber im Basketball ist das ganz schnell aufholbar."

Vielleicht würde Pletzinger eine Niederlage seines Vereins aber gar nicht so sehr schmerzen. Seine persönliche Meisterschaft hat er mit dem Buch über Alba Berlin schon gewonnen. Nach langem Kampf am Schreibtisch, als die stressige Saison vorbei war:

"Ich hatte einen wirklich, wirklich harten Sommer. Ich habe ein ganzes Buch in einem Sommer geschrieben. Ich habe mir jeden Tag eine Grenze gesetzt, die ich erreichen muss, das war eine Weile tausend Worte, was schon unfassbar viel ist für mich. Und habe dieses Programm dann einfach runtergerissen."

Während andere Menschen vor seinem Ladenbüro im Prenzlauer Berg in kurzen Hosen vorbeigeschlendert sind.

"Ich muss wirklich sagen das war das Anstrengendste, was ich jemals gemacht habe."

Doch jetzt weiß der Schriftsteller, der einmal Basketballer werden wollte, dass er seine Berufung gefunden hat:

"Besonders jetzt, wo es fertig ist, weiß ich, dass ich Autor bin und dass ich so ein großes Projekt durchziehen kann. Und jetzt kann ich glaube ich mit Fug und Recht behaupten, dass ich diesen Titel zu Recht für mich verwende. Also ich sage jetzt ich bin Autor, und ich bin's tatsächlich, und das ist sehr schön."

Die Alba-Fans haben Thomas Pletzinger schon letzte Saison belohnt, mit Sprechchören: "Thomas schreibt ein Buch", sangen sie, "Thomas schreibt ein Buch".

Und an diesem Sonntag im November belohnt ihn auch "seine" Mannschaft: mit einem 87:81-Sieg gegen den Erzrivalen aus Bamberg.

"Mann, - ja, das ist schön. Ich denke ich habe über das richtige Team ein Buch geschrieben, also, wenn die so ein Spiel gewinnen ist schon gut."
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