Die Baronin und der Jazz

Von Bettina Kaps · 23.01.2007
Sie kannte die New Yorker Jazzszene der frühen 60er Jahre und Musiker wie Miles Davis, Charlie Parker und Thelonius Monk. Pannonica war nicht nur eine Gönnerin und ein Schutzengel. Mit einigen hatte sie Affären. Stücke wurden ihr gewidmet. Ein Album mit Polaroid-Fotos von ihr, versehen mit den Wünschen der Musiker, hat ihre Enkelin nun als Buch veröffentlicht.
Nadine de Koenigswarter stöbert gern in alten Sachen. Besonders im Haus ihrer verstorbenen Großmutter, der Baronin Pannonica von Koenigswarter. Die Villa liegt in Weehawken, am Hudson-River, mit Blick auf Manhattan.

Nadine de Koenigswarter: " In ihrem Zimmer stehen große Truhen, auf einer davon stand "Fotos". Ich dachte, es wären Familienfotos. Und gewissermaßen stimmte das auch: es waren Fotos von Jazz-Musikern, bekannten und unbekannten, und Fotos ihrer unzähligen Katzen. Pannonica hatte mit Polaroid fotografiert, und viele Aufnahmen gingen schon kaputt. Später stieß ich noch auf zwei Hefte aus rotem Hermes-Leder. Pannonica hatte bestimmte Fotos hineingeklebt, und dazu die Wünsche der Musiker gesammelt. Die hatte sie mit der Schreibmaschine notiert. Es waren zwei wunderbare Künstlerbücher."

Pannonica de Koenigswarter, eine geborene Rothschild, fotografierte ihre Freunde, und die Enkelin hat Fotos und Wünsche jetzt in einem Bildband veröffentlicht. Duke Ellington ist zu sehen und Miles Davis, Charlie Parker, Thelonius Monk und Charlie Mingus…, die gesamte New Yorker Jazzszene der frühen 60er Jahre. Die Baronin hatte den schwarzamerikanischen Jazzmusikern ihr Leben gewidmet.

Erstmals gehört hatte sie diese Musik schon im Londoner Elternhaus. Pannonica wurde 1913 geboren. Ihr Vater – Banker aus Pflicht und leidenschaftlicher Insektenforscher – entdeckte in Ungarn eine Schmetterlingsart. Die taufte er "Pannonica" – so der lateinische Name für Ungarn – und seine Tochter taufte er gleich mit.

Ihr Bruder Victor wurde während des Zweiten Weltkriegs von Winston Churchill als persönlicher Beauftragter zu Präsident Roosevelt geschickt. In den USA entdeckte er den Jazz. Später weihte er seine Schwester ein und machte sie mit Jazz-Musikern bekannt.

Nadine de Koenigswarter: " Dieses Stück "Black, brown and beige" von Duke Ellington wirkte für Pannonica wie ein Auslöser. Anschließend entdeckte sie die Musik von Theolonius Monk, der ihr bei einem Konzert in Paris auch vorgestellt wurde, und dann tauchte sie ganz und gar in die Welt des Jazz ein. "

Das war 1954. Pannonica war 41 Jahre alt und hatte fünf Kinder. Sie war mit dem französischen Diplomaten Jules de Koenigswarter verheiratet, den sie auf einem Flugplatz in Nordfrankreich kennen gelernt hatte. Dort hatte sie den Pilotenschein gemacht. Im Krieg arbeitete das Ehepaar für den französischen Widerstand und wurde nach Afrika geschickt.

Anschließend wurde ihr Mann Diplomat – ein Leben, das Pannonica nicht behagte. Die beiden trennten sich. Nachdem sie Monk kennen gelernt hatte, war ihr Entschluss gefasst: Sie zog nach New York, mietete eine Suite in einem Luxus-Hotel, und zog jede Nacht mit ihrem silbergrauen Bentley von Club zu Club.

Charlie Parker war einer der Ersten, der bei ihr Zuflucht suchte. Er war von Alkohol und Drogen zerstört, erzählt Francis Marmande, selbst Kontrabassist, Schriftsteller und Jazz-Spezialist. Marmande hat Pannonica in einem New Yorker Jazzclub erlebt:

" Für mich war sie schon zu Lebzeiten eine Legende. Weil Charlie Parker einige Tage oder Monate bei ihr gelebt hat, bevor er starb. Vor dem Fernseher! Er sah eine Sendung mit burlesken Jongleuren, bekam einen Lachanfall und daran starb er."

Die Skandalpresse gierte nach Pannonicas Affären. Schließlich handelte die Baronin in einer Zeit, in der noch Rassentrennung herrschte. Wenn sie mit ihren afroamerikanischen Freunden unterwegs war, wechselten die Leute die Straßenseite oder sie spukten vor ihnen aus. Die schwarzen Musiker waren keine Stars. Sie standen am Rand der Gesellschaft.

Nadine de Koenigswarter: " Angesichts ihrer Probleme, dieser anhaltenden Unsicherheit in ihrem Leben, hat Panonnica gehandelt. Sie griff ein, so gut sie konnte. Damals verlangten die Musikclubs von den Musikern eine Kabarettkarte. Wenn diese eingezogen wurde, durften sie nicht mehr öffentlich auftreten. Sie mussten auch Fingerabdrücke hinterlassen. Pannonica wehrte sich gegen diese diskriminierenden Maßnahmen. Sie wollte ihnen helfen, mit mehr Freiheit zu spielen."

Weil sie in den Luxushotels nicht mehr erwünscht war, kaufte sie die Villa in Weehawken. Monk taufte sie Catsville und später Cathouse. Cats bezeichnet im New Yorker Slang einen Musiker. Monk lebte bis zu seinem Tod bei ihr. Außerdem nahm Pannonica nicht nur Musiker auf, sondern auch hunderte streunender Katzen, für die sie genauso hingebungsvoll sorgte. Pannonica war nicht nur eine Gönnerin und ein Schutzengel. Sie löste die Musik auch aus, die ihre Freunde spielten, meint Francis Marmande:

" Ohne Pannonica wäre der moderne Jazz – also die Zeit vom Bebop bis zu Mingus – nicht genau das gewesen, was er war. Das ist eine schwerwiegende Behauptung, unterstellt sie doch, dass diese Musik von einer Person abhängig war. In diesem Ja. Im Fall von Monk, Parker und den anderen war es so. Das ist eine Feststellung. "

Für Marmande waren Pannonica und Theolonius Monk "himmlische Geliebte". Der Musiker Tommy Flanagan hat ihre Fusion mit seinem Titel "Thelonica" beschrieben, für den er ihre beiden Vornamen verschmolzen hat.

Sonny Clark formulierte seine Zuneigung in "My dream of Nica", Monk benannte einen seiner berühmtesten Titel nach der Freundin. Alles in allem sind der Mäzenin über 20 Kompositionen gewidmet.

Die Fotos geben den Alltag in Cathouse wieder. Sie zeigen die Musiker beim Spielen, Schlafen und beim Albern: Etwa Sonny Clark und Charlie Rouse, die sich in Pelz und seidenem Morgenmantel der Baronin verkleiden. Fingerabdrücke und Flecken beweisen, dass sie von Hand zu Hand gegangen sind. Alltäglich klingen auch die Wünsche der Musiker, sie sind schlicht und überraschend zugleich. Viele wünschen sich - wie Oskar Peterson - besser zu spielen. Oder, dass Amerika ihren Jazz als Kunst anerkennt. Und Miles Davis: To be white – Weiß zu sein…

Pannonica hatte selbst versucht, ihr Buch zu veröffentlichen – aber die Verleger waren nicht interessiert. Die Zeit dafür war wohl nicht reif. Nadine lebt in Frankreich. Dort hat sie das Buch ihrer Großmutter jetzt fast 20 Jahre nach deren Tod herausgebracht.

Pannonica de Koenigswarter starb im November 1988 an einer Herzoperation. Ihrem Wunsch gemäß wurde ihre Asche um Mitternacht im Hudson-River verstreut – es war wie eine Hommage an Monks berühmte Komposition "Round Midnight".
Miles Davis 1981 in New York
Miles Davis 1981 in New York© AP
Die Jazzlegende Thelonious Monk, Piano, 1963
Die Jazzlegende Thelonius Monk, Piano, 1963© AP