Die Aufklärung in Bildern

Von Barbara Wiegand · 09.05.2012
Kant, Lessing, Voltaire, Rousseau - mit der Epoche der Aufklärung verbindet man Schriftsteller. Wie sich Gedanken und Erkenntnisse der Zeit aber auf bildende Kunst auswirkten, ergründet das Berliner Kulturforum in seiner neuen Ausstellung.
Die Epoche der Aufklärung verbindet man meist mit der Literatur oder der Philosophie, mit Kant oder Lessing, Voltaire oder Rousseau. Welche Bedeutung diese Epoche in der Bildenden Kunst spielte - wie sich die Gedanken und Erkenntnisse in den Werken widerspiegelten und vor allem, welche Perspektiven die Künstler vielleicht selber schufen - das spielte bisher keine große Rolle. Das will eine Ausstellung im Berliner Kulturforum jetzt ändern. Sie will die Kunst dieser Epoche neu entdecken - unter dem Titel: Von mehr als einer Welt - Die Künste der Aufklärung werden 400 Zeichnungen, Gemälde und Buchillustrationen gezeigt - überwiegend aus den Beständen der Staatlichen Museen zu Berlin.

Von mehr als einer Welt - diesem Titel wird man in der Ausstellung mehr als gerecht, denn schon im ersten Raum fühlt man sich fern von dieser, unserer Welt - ja, man taucht ein in fremde Galaxien, in die Weiten des Universums begegnet Marsmenschen, Monstren Mutationen. Vieles davon auf Papier gedruckt, gezeichnet - und gern auch mal überzeichnet. Denn hier haben die Künstler ihrer Fantasie freien Lauf gelassen. Pferdefüßige Wesen sind zu sehen, die wie eine Mischung aus Teufel und Star-Wars-Krieger daherkommen. Bewaffnet mit so etwas wie einem Riesenpilz und einem Bund Möhren. Genauso schräg ist das Raumschiff, das in einer anderen der hier ausgestellten Buchillustrationen ins All abhebt:

"Es gab auch die ersten Überlegungen, wie man von der Erde zu anderen Planeten gelangt. Man stellte sich das als Luftschifffahrt vor. Denn hier gibt es zum Beispiel eine Zeichnung aus dem Jahr 1744, da sieht man ein Luftschiff, das sich einem Planeten nähert. Und der Planet schickt sogar einen Botschafter. Man hat fast das Gefühl, es ist das Hologramm eines Aliens. Und diese Alien Hologramm spricht den Kapitän dieses Luftschiffes an."

Erläutert Moritz Wullen, Direktor der Kunstbibliothek. So ist schnell klar, dass die Schau von mehr als einer Welt erzählt - aber nicht, was das mit dem Thema Aufklärung zu tun hat:

"Unsere These ist, dass es keine Kunst der Aufklärung gibt im 18. Jahrhundert, die die Aufklärung widerspiegelt. Sondern es gibt eine Kunst, die zum Teil überaus ideenreich ist und aus ganz vielen Künsten besteht, die sich zum Teil auch widersprechen zum Beispiel in diesem skurrilen intergalaktischen Kongress, den wir hier zeigen, stellen wir fest, dass der Mensch des 18. Jahrhunderts erkannte, dass seine Perspektive nicht die einzig richtige ist."

Angelehnt an die Erkenntnis der Aufklärung, dass jenseits von Europa die Welt nicht zu Ende ist und auch in der Ferne Hochkulturen existieren, geht es nun im Berliner Kulturforum auf, was die Künstler daraus machten. Wichtig war den Ausstellungsmachern dabei zu zeigen, dass die die Kunst nicht nur Literatur und Philosophie reflektierte, sondern eigene Bilder fand. So befassten sich die Künstler nicht nur mit der einen Welt und ihrer Anschauung, sondern mit allen möglichen Welten. Es entstand ein Bildkosmos, der bis ins Universum und darüber hinaus ins Jenseits reicht. Der Geist Friedrichs des Großen etwa feierte kurz nach dem Tod des Preußenkönigs in sogenannten Fantasmagorien seine Wiederauferstehung - eine Technik, bei der Portraits auf Rauchwolken projiziert wurden. Doch der Blick richtete sich nicht nur auf ferne Planeten und gespenstische Sphären, sondern auch auf das Innerste des Menschen. Kurator Jörg Völlnagel:

"Wir haben Innenansichten wie zum Beispiel in diesem berühmten anatomischen Atlas von William Hunter wo wir ein werdendes Kind im Mutterleib in einer Detailtreue und Drastik, die man bis dahin nicht kannte, die durchaus schockierend wirkt. Wir haben aber auch den indiskreten Blick für erotische Darstellungen, ein Genre in dieser Zeit, das sich großer Beliebtheit erfreute. Dieser indiskrete blick ist dasselbe wie der anatomische Blick, den Körper sozusagen in seine Einzelteile zerlegen und ihn dann im Bild wieder zusammenzufügen."

So gingen Künstler und Illustratoren oft an der Grenze zur Wissenschaft ans Werk - mit schockierender Akribie. Manchmal lösten sie sich in ihren Bildern, aber auch von dieser gegenständlichen Genauigkeit und tunkten etwa Papierblätter in Farbe. Frühe abstrakte Bilder, die mit ihren poppig bunten, zerfließenden Formen wie Vorboten der psychedelischen Malerei der Beat Generation wirken. Ein bemerkenswerter Farbakzent in dieser Ausstellung - an deren Ende es dann wieder düsterer zugeht. Denn dann liegt die Welt in Trümmern - große, aufgeschlagene Bände zeigen Römische Ruinenlandschaften von Giovanni Battista Piranesi, dahinter hängen Darstellungen des Erdbebens in Lissabon - passend zur Beschäftigung der Aufklärung mit der Apokalypse und dem Ende der Menschheit - in Büchern, aber auch in Bildern:

"Wir begegnen dieser postapokalyptischen Bildkultur der Aufklärung in Filmen des 20. Jahrhunderts wieder. Und das Ganze hat natürlich einen historischen Hintergrund. Mit den Ausgrabungen im Herkulaneum und in Pompeji wird sich der Zeitgenosse nicht nur der Größe der antiken Kunst bewusst, sondern auch des Ausmaßes an Zerstörung."

Für sich schon beeindruckend in ihrer melancholischen Schönheit, sind diese Endzeitbilder Teil einer abwechslungsreich inszenierten, facettenreichen Schau. Denn die undogmatische Auslegung des Begriffs der Aufklärung lässt Raum für die vielen Varianten, mit denen sich die Kunst dieser Epoche dem Denken der Aufklärung annahm. Und daraus neue Perspektiven eröffnete, auf diese und andere Welten.
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