Die Auferstehung der Toten

04.09.2013
Plötzlich sind da – die Zombies. Sie übernehmen erst die Herrschaft in Moskau und schließlich auch in anderen Städten. Diese Rahmenhandlung nutzt Viktor Jerofejew, um in einzelnen Episoden das aktuelle Russland mit Ironie und sarkastischer Zuspitzung zu beschreiben.
Seiner Vorliebe für Extreme ist dieser Autor treu geblieben. Inspiriert vom spektakulärsten Gedanken des russischen Marginalphilosophen Nikolai Fjodorow (1829 – 1903), beflügelt wohl auch vom seit einigen Jahren waltenden Zombie-Boom in der entsprechenden Genreliteratur und im Film, nimmt er genau diesen Gedanken als Ausgangssituation für seinen neuen Roman: die Auferstehung der Toten. Plötzlich sind sie da, ihre Invasion ist überwältigend, aggressiv übernehmen sie die Herrschaft zunächst in Moskau, schließlich auch in zahlreichen anderen Städten in Russland.

Was der Ich-Erzähler, offenbar Schriftsteller, den "Krieg" nennt, ist dabei so etwas wie eine Übernahme durch schiere Präsenz. Von kriegerischen Handlungen ist letztlich wenig die Rede, was nicht zuletzt damit zu tun hat, dass man den plötzlichen Eindringlingen etwas hilflos gegenübersteht. Im Normalfall kommen Fremde mit irgendwelchen Absichten, hier aber sind es die eigenen Vorfahren, die die Macht beanspruchen! Man wird in Russland einfach seine Vergangenheit nicht los.

Das neue Machtzentrum ist die kürzlich eröffnete Botschaft eines Landes, das es auf keiner Landkarte gibt, eine scheinbare Inselgruppe im Irgendwo: die Akimuden. Die Toten mit ihrer innigen Verbindung zum Jenseits werden von hier aus gesteuert, sozusagen aus einem Insel-Paradies, und natürlich von einer Art Gottesgestalt, die nicht weiter auftaucht, sich aber hin und wieder mit Depeschen zu Wort meldet. Und die am Ende verfügt, dass die Toten wieder zurück in ihr Reich kehren sollen, die einen auf ihre Friedhöfe, die Privilegierteren auf die Akimuden.

Diese durchaus verwirrende Rahmenhandlung nutzt der Autor, um in den einzelnen Episoden, aus denen der Roman besteht, vor allem eines zu tun: das aktuelle Russland zu beschreiben, mit vielen Blicken in seine (Kultur-)Geschichte. Mit der gewohnten Ironie, mit der Lust an sarkastischer Zuspitzung, mit politisch aufgeladener Satire, mit großer Nähe zum Surrealistischen oft, aber auch mit zahlreichen Rückgriffen auf die eigene Biografie und mit philosophierenden Reflexionen setzt Jerofejew sein Werk zusammen.

Freund eines einfachen und geradlinigen Erzählens war dieser Schriftsteller nie, und hier kommt eine weitere seiner Vorlieben ins Spiel. Es ist die Freude am literarisch aufgemischten Chaos, am Aufbrechen und Zerfetzen der Textstruktur, am oft abrupten Wechsel der Tonlagen und Themen. Das zerlegt und fragmentiert das Gesamte, fügt sich in seinen wie zuckende Blitze hellen Teilen dann aber wieder zusammen, zu jenem Panorama, das dieser scharfsichtige und provokante Schriftsteller von seinem Land zeichnet.


Besprochen von Gregor Ziolkowski

Viktor Jerofejew: Die Akimuden
Aus dem Russischen von Beate Rausch
Hanser Berlin Verlag, Berlin 2013
460 Seiten, 24,90 Euro