Die APD-Riot-Tour auf Station in Hamburg

Der Container des Abgrunds

Miniatur-Riot-Wonderland auf Kampnagel: Miniaturpolizist am Guckloch
Blick in den Container mit dem Miniatur-Wonderland © Deutschlandradio / Swantje Underberg
Von Swantje Unterberg · 11.08.2017
Im Rahmen des Kampnagel Sommerfestivals in Hamburg hat der britische Konzept-Künstler Jimmy Cauty einen Container aufgestellt. Darin: das Miniaturwunderland, das keine Wunder zeigt, sondern nur Zerstörung. Online gibt es dazu "Fakten und Regeln".
Mitten im Hamburger Schanzenviertel steht ein Schiffscontainer. Er ist über und über mit Graffiti beschmiert und so unscheinbar, dass ihn kaum jemand wahrnimmt.
"Das passt ja auch zu den Plakatwänden, die hier in der Schanze sind, und zu den vielen Graffitis", sagt ein Passantin.
Wer sich dem Container trotzdem nähert, hört, dass der Container knarzt und piept. Ganz leise nur dringen die Geräusche nach außen: Sirenen, das Knacken von Funkgeräten, Stimmen, die viel zu hell und zu schnell sind, um sie zu verstehen.
"Hinweis 5: Alles ist im Maßstab 1:87, selbst der Sound."
Der Schiffscontainer mit dem Miniatur-Riot-Wonderland
Der Schiffscontainer mit dem Miniatur-Riot-Wonderland © Deutschlandradio / Swantje Unterberg
Die Containerwände sind von Dutzenden wie zufällig angeordneten Gucklöchern durchsiebt, jedes kaum größer als ein Türspion.
- "Jetzt ergibt‘s auch Sinn."
- "Kommst du jetzt erst auf die Idee, dass man auch 'reingucken kann?"
- "Yeah, das ist uns jetzt erst aufgefallen. Wir haben dich gesehen und dann standst du da so. Ich so, was macht die denn da."
- "Ist ganz schön heftig."
- "Ist das vom Miniaturwunderland?"
- "Ist das Anarchie?"
- "G20 nachgestellt."

Dystopie im Container

Hinter den Gucklöchern: Eine dystopische Welt. Jeder Ausschnitt, den das Auge erfasst: zerstört. Wie bei einem Puzzle ergibt sich langsam ein Bild: Von verlassenen Hochhäusern, grau und kaputt, einer Brücke, die abgebrochen ist. Verdorrte Felder, wie von einem Aschestaub bedeckt. Bäume ohne Blätter, in deren Wipfeln ein Autowrack hängt und über allem dann das Blinken von hunderten Polizeiwagen. Wo man auch hinsieht: Überall ist Polizei.
"Hinweis 3: In dem Container sind etwa 3000 handbemalte britische Polizisten. Und mehr Einsatzfahrzeuge, als ein echter Polizist jemals zu sehen bekommt."
Je nach Standort entdeckt man neue, auch witzige Details. "Das ist natürlich lustig, weil hier eine postmoderne Imbissbude ist, nämlich ein Maiskolben als Imbissbude", stellt der Hamburger Autor Roger Behrens beim Blick in den Container fest. Auch wenn die Polizei in ihrer Übermacht bedrohlich wirkt. Jeder einzelne scheint eher nutzlos. In Gruppen stehen sie herum, die Hände auf dem Rücken verschränkt, der Blick verliert sich im Nichts. Vor einem Haus entdeckt man pinkelnde Cops. Ein Polizist schreibt "Fuck the" an eine Wand und fügt dem Schriftzug gerade ein "P" hinzu.
"Was jetzt auffällig ist, dass es so wirkt wie ein verlassenes Schlachtfeld, wo ein Teil derjenigen, die an der Schlacht auch beteiligt waren, vielleicht einen Feierabendmaiskolben jetzt genießen", sagt Behrens.
"Hinweis 7: Niemand weiß, was die Zerstörung verursacht hat und wohin die Zivilisten verschwunden sind."
Der britische Künstler Jimmy Cauty hat das Modell entwickelt. Und lässt die Zuschauer mit der Miniaturausstellung "The Aftermath Dislocation Principle", kurz "ADP", weitgehend allein. Einzig ein 31 Punkte umfassendes Regularium auf der Website des Projekts liefert Anhaltspunkte.
"Hinweis 27: ADP darf nur an Orten mit einer dystopischen Vergangenheit oder einer utopischen Zukunft gezeigt werden."

Das Gewaltmonopol des Staates und was davon übrig bleibt

Seit 2016 wird der Container an geschichtsträchtigen Orten gezeigt, zunächst in Großbritannien, dann in Wien, jetzt in der Hansestadt.
"Hinweis 26: Die ADP-Riot-Tour geht weiter. Erst durch Europa, dann durch den Rest der Welt – bis zum Ende aller Zeiten."
An allen Orten, wo der Container pausiert, soll ein Anwohner in einem Pamphlet die Geschichte des Ortes einfangen. Kampnagel hat dafür den Autor Roger Behrens beauftragt. Das Schanzenviertel ist aber ohnehin schon bundesweit bekannt, dank der Roten Flora etwa, und jetzt auch wegen der massiven Ausschreitungen während des G20-Teffens. Behrens legt sich nicht fest, sondern zählt weiter auf: soziale Kämpfe, der gescheiterte Aufstand von 1923, Gentrifizierung, autonome Aktionsformen. Und er - wie so viele, die man hier am Container trifft - kommt dann doch wieder auf G20 zurück:
"Deshalb ist es für mich problematisch, dies jetzt konkret in eine Geschichte von politischer Biografie, Stadtteilbiografie einzuspinnen. Wiederum sehr passend für unsere Gegenwart: Was wir hier im Container sehen, ist ein Ereignis. Und auch der ganze G20 war ein Ereignis. Es war nicht Geschichte, die gemacht wird. Da meine ich auch, dass der Container das einfängt. Auch hier drin wird keine Geschichte erzählt, hier drin gibt es kein Weiter, hier gibt es kein Morgen, hier gibt es keinen nächsten Tag.
Was passiert an diesem Maiskolbenstand, wenn die Maiskolben ausverkauft sind? Wo machen die weiter? Das ist ja das überzeichnete Bild: Wenn der Staat sein Gewaltmonopol so weit verteidigt hat, dass nur noch die Gewalt da ist, gegen wen verteidigt er das dann?"
Der Bürger, er steht draußen und blickt herab auf die Gewalt. - Ob als Außenstehender, als Leviathan, als empathischer Betrachter? - Das ist ungewiss.
"Hinweis 31: Niemand hat eine Interpretationshoheit über das Aftermath Dislocation Principle. Die Bedeutung kann nur diskutiert werden, nie erfasst."

Kompressor vom 11. August 2017 - die ganze Sendung hier:

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