Die Angst vor der Angst

16.12.2010
"Die unterirdische Schlacht" erschien erstmals 1983 in Argentinien, im selben Jahr, in dem auch die Militärdiktatur endete. Erzählt wird eine Geschichte im Falklandkrieg. Der Autor sagt, er habe den Roman in sechs Tagen mit Hilfe von zwölf Gramm Kokain geschrieben.
Rodolfo Enrique Fogwill, der sich nur Fogwill nennt, beziehungsweise nannte - der Autor ist im August dieses Jahres im Alter von 69 Jahren gestorben-, veröffentlichte "Die unterirdische Schlacht" bereits im Jahr 1983. Im selben Jahr, in dem auch die Militärdiktatur in Argentinien endete.

Der Roman schlug regelrecht wie eine Bombe ein. Er katapultierte einen bis dahin fast unbekannten Gedichtschreiber und Werbetexter in die erste Reihe der argentinischen Avantgarde. Fogwill will den Roman in sechs Tagen mit Hilfe von zwölf Gramm Kokain geschrieben haben. Sein Roman trägt die Spuren eines Rausches und zugleich einer Ernüchterung.

Der Erzähler des Romans enthält sich jeden Kommentars. Er lässt sich von einem, der dabei war, berichten, was er gesehen und erlebt hat. Etwa zwölf Mann haben sich in einen Berg eingegraben. Sie hausen in den Stollen, horten Vorräte. Nachts wagen sie sich aus ihrem Versteck hervor, überqueren die feindlichen Linien, handeln mit den englischen Offizieren, tauschen Zucker, Zigaretten, Kerosin. Bei zehn Grad unter Null schleichen sie wieder zurück in ihren Bau.

Zunächst geht es zu wie im "Kriegstagebuch" von Ernst Jünger. Kleine Jungs besaufen sich, suchen Abenteuer und Gefahren, erzählen sich Männerwitze, wie den vom Gürteltier, das sich versteift und das man nur wieder ausgraben kann, wenn man ihm den Finger in eine gewisse Öffnung steckt. Nach diesem Gürteltier, das sich eingräbt, nennen sich die Deserteure Pichis. Los Pichiciegos, blinde Gürteltiere, heißt der Roman von Fogwill auf Argentinisch. Im Trupp dieser Maulwürfe bildet sich eine Führungsclique heraus. Die heiligen Vier Könige, so nennen sie sich blasphemisch, haben schnell das Sagen in der Unterwelt von Falkland. Sie herrschen gnadenlos im Pichi-Bau. Kaltblütig stimmen sie darüber ab, wen sie aussortieren. Wer als nächster draußen in der Kälte unter zehn Grad erfrieren darf.

An diesen Umschlagpunkten bewährt sich Fogwill als Schriftsteller und zugleich als Zyniker. Er beschreibt, wie in dieser inoffiziellen, unsichtbaren, "unterirdischen Schlacht" die Gesichter aufquellen "aus Angst vor der Angst", wie die Augen vertrocknen und die Haut verkrustet, wie aus kleinen Jungs, die in den Krieg geschickt werden, harte Männer werden, die nur noch eine einzige Empfindung kennen: die Angst.
"Die unterirdische Schlacht" ist durchtränkt von Angstvisionen. Die vier Anführer der pichis sehen Zeichen am Himmel, einmal sind es englische Bomber, die in V-Formation fliegen und als V am Himmel kleben bleiben. Aber diese komischen Heiligen wissen die Zeichen nicht zu deuten (anders als die drei Könige). Unerklärliches aber verbreitet Angst. Sie kündigen, in Umkehrung des Neuen Testaments, nicht die Geburt eines Retters an, sondern die Apokalypse. Fogwill profaniert, entheiligt das Heilige mitsamt allen Propheten. Bei ihm verkünden die Zeichen einzig Unheil.

Nach der Lektüre dieses erschreckenden Kriegsromans stellt sich eine ernüchternde Erkenntnis ein: Ziel der Propaganda und des Krieges ist die Zersetzung des Gegners durch die Erzeugung von Angst. Die Engländer gewannen den Krieg nicht, weil sie militärisch überlegen waren. Sie gewannen in Unterzahl den Krieg, weil sie die Argentinier so einschüchterten, dass sie aufgeben mussten. "Als ginge es zu einer Party", so stiegen die Marines von ihren Hubschraubern herab; sie töteten nicht die Feinde, sondern spuckten sie an und zeigten ihnen, dass sie jeden beliebigen "Argi" oder auch "pichi" jeder Zeit töten könnten.

Faszinierend, wie Fogwill mit kurzen Dialogen und in einem rasanten Tempo die Komik in Tragik umkippen lässt. Dieser Roman erfüllt die Kriterien eines sublimen Klassikers. Er erzeugt die negative Seite von Erhabenheit: den Schrecken und das Grauen des modernen Kriegs. Und die Einsicht in das Räderwerk der Höllenangst. Einfach grandios.

Besprochen von Ruthard Stäblein

Fogwill: Die unterirdische Schlacht
Aus dem Spanischen von Dagmar Ploetz
Rowohlt, Reinbek 2010
192 Seiten, 16,95 Euro