Die akademische Revolution

14.07.2009
Die Evolutionstheorie des Naturforschers Charles Darwin brachte das Weltbild des 19. Jahrhunderts durcheinander. Viele Gelehrte, die der kirchlichen Schöpfungsgeschichte anhingen, wehrten sich gegen seine Thesen. Nun liegt erstmals die Geschichte der Reaktionen in zwei Sammelbänden vor.
Als 22-jähriger naturwissenschaftlicher Laie begann Charles Darwin 1831 auf eigene Kosten seine berühmte Forschungsreise auf der Beagle. Sein Idol Alexander von Humboldt begleitete ihn auf Schritt und Tritt auf seiner Spurensuche nach dem Ursprung der Arten, diesem Geheimnis aller Geheimnisse: "Er ist wie eine Sonne, die alles illuminiert, was ich sehe", notierte Darwin zu Beginn seiner Weltreise, deren wissenschaftliche Auswertung schließlich unser althergebrachtes Weltbild mit dem Mythos der Einzelerschaffung aller Lebewesen erschütterte und ablöste.

Als sich Charles Darwin 1859 schließlich dazu durchrang, seine Theorie vom Ursprung der Arten zu veröffentlichen, wusste er, dass er in einen dramatischen Konflikt mit den Vertretern der alten Lehre verwickelt werden würde. Darwin war bereit und fähig, sich mit der Rezeption seiner Theorie auseinanderzusetzen. Er reagierte auf Kritik und setzte sich mit den vorgebrachten Argumenten in einer atemberaubend umfangreichen Korrespondenz auseinander.

Zum Charles-Darwin-Gedenkjahr - vor 200 Jahren erblickte er das Licht der Welt, vor 150 Jahren erschien sein Hauptwerk "Origin of Species" - legt jetzt der Londoner Verlag Continuum erstmals eine Studie vor, die es möglich macht, sich ein differenziertes Bild zu machen von der europäischen Rezeption von Charles Darwins Theorien. Die europäischen Kulturnationen von Spanien bis Finnland und von Irland bis Rumänien reagierten aufgrund ihrer spezifischen Prägungen jeweils ganz anders und mit verschiedener Geschwindigkeit auf Darwins Herausforderung. Am schwersten taten sich die französischen, durch und durch scholastisch geprägten Naturwissenschaftler.

Wie ihre spanischen, katalanischen und irischen Kollegen standen sie unter dem Diktat der römisch-katholischen Kirche, die gleichsam vor Ort ihren Einfluss ausübte, während der Vatikan selbst sich eher im Hintergrund hielt und von hier aus seine Fäden spann. Katholische Sympathisanten von Darwin wurden, wie unlängst aus bisher unzugänglichem Aktenmaterial im Vatikan ersichtlich wurde, durch Selbstzensur zum Schweigen und der Rücknahme ihrer darwinistischen Überzeugungen gedrängt. Der Vatikan war bemüht, nach außen hin eine abwartende Haltung zu demonstrieren. Charakteristisch für die katholische Abwehrfront gegen Darwin, bis hinein ins reaktionäre Franco-Regime des 20. Jahrhunderts, ist das vor der spanischen Königin Isabell II. anlässlich der Inauguralvorlesung zum akademischen Jahr 1861-62 der Universität Barcelona abgelegte Bekenntnis: "Wir halten fest an dem Prinzip, dass wir in erster Linie Katholiken sind und dann Philosophen."

Zu Beginn seiner naturphilosophischen Forschungen hatte Charles Darwin nach seinem Cambridger Theologiestudium noch fest dem alten Glauben an den biblischen Schöpfungsbericht angehangen. Erst ganz allmählich sah er sich unter der immer erdrückenderen Beweislast seiner umfassenden Forschungsergebnisse dazu genötigt, sich vom traditionellen Weltbild zu verabschieden. "Ich hatte nie vor, atheistisch zu schreiben - ich muss mich damit abfinden, Agnostiker zu sein", bemerkte er im Rückblick auf sein Leben.

In ihrer Gesamtheit fügen sich die Nationalporträts der Rezeptionsgeschichte von Charles Darwin zu einer spannenden Kultur- und Mentalitätsgeschichte der europäischen Wissenschaft des 19. und 20. Jahrhunderts. Das Darwin-Rezeptions-Mosaik, das die Hauptherausgeberin Eve-Marie Engels, Inhaberin des Lehrstuhls für Ethik der Biowissenschaften an der Universität Tübingen, aus 30 Einzelbeiträgen quer durch Europa zusammen mit ihrem amerikanischen Kollegen Thomas F. Glick den Lesern vorstellt, dokumentiert, wie sich letztendlich Darwins immer mit unbeirrbarer Geduld propagierte Vision allen kirchlichen und politischen Widerständen zum Trotz durchsetzen konnte - zumindest in der internationalen Republik der freien Wissenschaft.

Besprochen von Hans-Jörg Modlmayr

Eve-Marie Engels u.a. (Hg.): The Reception of Charles Darwin in Europe
Continuum Verlag, London 2009
zwei Bände, 736 Seiten, 200 Pfund