Die "Affäre Kießling"

Von Burkhard Schmidtke · 15.09.2008
Eine Affäre Kießling würde es so heute in der Bundeswehr nicht mehr geben. Doch 1983 galt ein angeblich schwuler Bundeswehrgeneral als Skandal. Die Affäre um General Günter Kießling entwicklte sich zu einer Groteske in der Bundesrepublik.
Im Juli 1983 plaudern zwei Ministerialbeamte im Bonner Verteidigungsministerium darüber, dass der stellvertretende NATO-Oberbefehlshaber, General Dr. Günter Kießling, homosexuell sei. Daraufhin wird der Militärische Abschirmdienst - MAD - eingeschaltet. Auf Bitte des MAD zieht am 5. September ein Kölner Kriminalbeamter mit einem Foto von General Kießling durch einige Schwulen-Lokale der Stadt. Gäste wollen auf dem Foto einen "Günter" oder einen "Jürgen" "von der Bundeswehr" erkennen. Auf jeden Fall habe der Name ein "ü".

Der MAD schreibt nun in einem Bericht, Kießling sei "aus einer Serie von Fotos eindeutig als 'Günter von der Bundeswehr'" identifiziert worden. Der General wird daraufhin am 15. September nach Bonn befohlen. Verteidigungsminister Manfred Wörner verlangt seine vorzeitige Entlassung. Vier Tage später einigen sich Minister und General auf den 31. März 1984 als Ende der Dienstzeit Kießlings.

Der General gibt sein Ehrenwort, dass an den Vorwürfen nichts dran sei - und wird zunächst einmal krank geschrieben. Nach einem weiteren Bericht des MAD besteht Wörner auf einem früheren Entlassungstermin: dem 31. Dezember 1983. Am 23. Dezember erhält Kießling, der zivil gekleidet im Ministerium erscheinen muss, seine Entlassungsurkunde. Nun beantragt der General diziplinare Ermittlungen gegen sich selbst.

Am 5. Januar 1984 wird der Fall durch die "Süddeutschen Zeitung" öffentlich gemacht. Wörner befragt nun angebliche Zeugen auch persönlich. Er glaubt ihnen mehr als dem General und seinem Ehrenwort.

"Ich kann nur sagen: Ich habe pflichtgemäß gehandelt, und auch General Kießling muss verstehen – zumal er ein hochrangiger Soldat ist –, dass in einem solchen Fall bei begründeten Verdachtsmomenten gehandelt wird. Das geschieht mit jedem Hauptmann so, und das muss auch bei einem General so geschehen."

Während Wörner auch politisch immer mehr an Rückhalt verliert, wird durch Medienrecherchen in der Kölner Schwulenszene ein Doppelgänger des Generals aufgetan: ein "Jürgen von der Bundeswehr". Am 1. Februar 1984 wird Kießling wieder eingestellt und am 24. März mit allen militärischen Ehren verabschiedet. Bundeskanzler Helmut Kohl vor der Bundespressekonferenz:

"General Kießling hat bittere Wochen durchmachen müssen. Aber auch für Manfred Wörner war dies eine Zeit, an die er sicherlich noch lang in seinem Leben zurückdenken wird."
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