"Die Abenteuer von Tim und Struppi - Das Geheimnis der Einhorn"

Gesehen von Hans-Ulrich Pönack · 26.10.2011
Fast 30 Jahre lang hat Steven Spielberg davon geträumt, die Abenteuer der Comic-Helden Tim und Struppi zu verfilmen. Das Ergebnis seines Langzeitprojekts wirkt technisch aufwendig, aber leider ziemlich humorfrei - ohne zündende Ironie.
"Die Abenteuer von Tim und Struppi – Das Geheimnis der Einhorn" ist ein Lieblingsprojekt des am 18. Dezember 65 Jahre alt werdenden großen Fantasten und erfolgreichsten Regisseurs aller Zeiten ("Der weiße Hai"; "E.T."; "Jurassic Park").

Dass diese 140-Millionen-Dollar-Produktion zuerst in Europa, sprich kürzlich in Brüssel, welturaufgeführt wurde (Weihnachten ist in den USA der Start), wundert nicht, denn die beiden Haupt-Helden stammen schließlich aus der Feder des belgischen Comic-Autoren und –Zeichners Georges Prosper Remi, besser bekannt als Hergé (gestorben am 3. März 1983), dessen Pseudonym sich aus seinen französisch ausgesprochenen und umgedrehten Initialen "RG" ergibt.

Lange, sehr lange vor den Zeiten globaler Abenteurer wie 007-James Bond, Dr. "Indy" Jones oder Ethan Hunt ("Mission: Impossible") schickte Hergé einen einheimischen Reporter ohne Redaktion mit wehendem Trenchcoat und einem kleinen weißen pfiffigen Hund, einem Foxterrier, an seiner Seite um die ganze Welt, um sie die haarsträubendsten Abenteuer erleben zu lassen.

Am 10. Januar 1929 erblickten sie das Licht der Papier-Welt, in der Jugendbeilage "Le Petit Vingtième" der katholischen Tageszeitung "XXiéme Siècle", und durften gleich einmal nach Russland reisen: "Tim & Struppi im Land der Sowjets". Der Erfolg war gigantisch. Die Auflage der Zeitung versechsfachte sich donnerstags, wenn die Beilage erschien. Danach war der Erfolgsweg dieser beiden Kumpels nicht mehr aufzuhalten. Tintin alias Tim und sein treuer Begleiter wurden zu einem Exporthit des Königreichs und zum belgischen Nationalheiligtum.

Sie waren quasi überall zu finden; sowohl in Südamerika wie auch in China oder in Afrika. Und, schon 1950, sogar auf dem Mond ("Schritte auf dem Mond"). In 47 Herstellungsjahren entstanden 23 Comic-Bände um diesen stupsnasigen Rotschopf mit der berühmten Haartolle und seinen fröhlichen Hunde-Begleiter. Rund 230 Millionen Comic-Exemplare wurden bislang weltweit verkauft; die dazugehörigen Übersetzungen erfolgten in mehr als 77 Sprachen. "Spezis" dieser Reihe, die sich ausführlich mit den Beiden befassten/befassen, werden auch Tintinologen genannt, nach dem belgischen Originaltitel der Serie.

Filmisch hatte sich über die Jahrzehnte mit diesen Helden nichts Sonderliches getan: Es gab einen belgischen Puppen-Animationsfilm (1947), zwei längere belgische Zeichentrickfilme fürs Kino und das Fernsehen (1969 und 1972), eine französisch-kanadische TV-Zeichentrickserie mit 39 Folgen (zwischen 1991 und 1993) sowie zwei französische Realfilme "ohne Nachhall" (1961 und 1964).

Steven Spielberg und Peter Jackson ("Der Herr der Ringe") planen abwechselnd, "Tim & Struppi" gleich dreifach neu aufzulegen. Auf der riesigen Leinwand. Spielberg hat vorgelegt, mit Jackson als Co-Produzenten; Jackson wird beim Folgefilm Regie führen, mit Spielberg als Produzenten. Falls alles gut geht. Für den ersten Kinofilm, natürlich im modischen 3D herausgeputzt, benutzten Spielberg und seine Drehbuch-Autoren Steven Moffat, Edgar Wright & Joe Cornish die drei Bände "Die Krabbe mit den goldenen Scheren" (1941), "Das Geheimnis der 'Einhorn'" (1942) sowie "Der Schatz Rackhams des Roten" (1943).

Ausgangspunkt: Tim kauft auf dem Flohmarkt ein altes Schiffsmodel, hinter dem plötzlich auch allerlei finstere Gestalten her sind. Motto: Und bist du nicht willig und verkaufst uns das Modell, dann eben mit Gewalt. Tim ist aufgescheucht, ein neues Abenteuer winkt, in dem es um eine verschlüsselte Botschaft im Innern des Schiffsmodells ebenso geht wie dann um einen sagenumwobenen Schatz, den es zu erobern gilt. Neben Tim & Struppi mischt auch der beinahe ständig besoffene, oft unbeherrschte, etwas schlichte, öfters aufbrausende, aber dann auch schon mal alkoholdeprimierte Kapitän Haddock mit, dessen Urahn schon gegen den Oberschurken Sakharin kämpfte und der sich dann doch zusammenreißt, um hier letztlich grandios fightend doch mitzumischen.

Spielberg ist die Story eigentlich nicht so wichtig. Auch nicht, für eventuelle Comic-Nichtkenner, die charakterliche Einführung der Figuren. Für ihn geht es gleich in die bombastischen Vollen, mit furiosen Verfolgungsjagden per Auto, Motorrad, per Flugzeug und Schiff. Dabei kann er die "volle Fantasy" ausleben, denn der Film wurde quasi menschengezeichnet. Mit dem sogenannten "Motion Capture"-Verfahren. Also keine reine Zeichnung pur, sondern: Schauspieler werden in Anzügen mit reflektierenden Punkten an Computer angeschlossen, die dann ihre Bewegungen, Reaktionen analysieren und übernehmen. Der Rest ist dann komplizierte Technik-, sprich Computer-"Spielerei". Technisches Handwerk. Wie einst schon zum Beispiel bei "Der Polarexpress" (2004 von Robert Zemeckis mit dem siebenfachen Tom Hanks), so dass die Figuren dann wie echt aussehen sollen. Sollten. Lebensecht. Identifizierbar. Mit Haut und Haaren. Und Charakter. Und hier liegt die Krux. "Tim & Struppi", das sind weder Fisch noch Fleisch. Bleiben fremd. Gefühlt fremd. Beide. Tim wie Struppi. Sehen dennoch, wirken dennoch unwirklich, künstlich, halt zu sehr doch "gemacht" aus. Besitzen wenig emotionale Nähe, Zuseher-Verbindung. Kommen mehr als seelenlose Puppen-Gesellen ´rüber, mit denen sich voll anzufreunden kaum möglich ist. Da ist man mehr schon an dieser grantigen, kantigen Neben-Hauptfigur, dem alkoholkranken Käpt’n Haddock, dran. Denn der besitzt (unfreiwillig?) mehr "stürmisches Individual-Leben" als die eigentlichen Helden, also Herr und Hund. Bewegt, beunruhigt, interessiert weitaus mehr als diese beiden herzigen Titel-Typen.

Warum Steven Spielberg unbedingt so naturalistisch werkeln wollte, wird nicht verständlich. Sein Werk riecht ver- bzw. zerkonstruiert. Vor allem in den erzählenden Momenten, Motiven. Da hakt das Interesse, die spannende Anteilnahme beträchtlich. Weil auch ziemlich humorfrei. Ohne zündende Ironie. Faktisch sachlich. Während die optische, die visuelle Performance in den gigantischen Verfolgungsszenen brillant ist. Faszinierend. Da lassen Spielberg & Team ihre technischen Fähigkeiten sich voll entfalten. Da wird die Trick-Show zum totalen Highlight. Mit überbordender Fantasie. Herrlich. Die volle Krawall-Tour auf dem Jahrmarkt.

Und die "Schauspieler"?: Jamie Bell (unvergessen als "Billy Elliot – I Will
Dance", 2000) stellte sich für Tim zur Verfügung. Andy Serks, unlängst in "Planet der Affen – Prevolution" primatenmäßig stark unterwegs, gibt den Suffkopp Haddock mit charismatischer Robustheit. "Bond" Daniel Craig ist als Bösewicht Iwan Iwanovitsch Sakharin nur sprachlich (über seine deutsche Stimme Dietmar Wunder) zu erkennen, als Schurke "von der Stange". Der Ensemble-Rest, wie das verblödete Polizisten-Paar Schultze & Schulze (Simon Pegg und Nick Frost), besitzen (sehr) viel Charme- und Ironie-Defizite.

Fazit: Da wäre bei dermaßen viel Planung, Anstrengung und Spielberg´scher Fan-Leidenschaft mehr dringewesen als nur dieses Na-Ja-Okay-Unterhaltungsergebnis.


USA 2009-2011; Regie: Steven Spielberg; Mitproduzent: Peter Jackson; Darsteller: Jamie Bell, Andy Serks. Daniel Craig; 107 Minuten, freigegeben ab 6 Jahren

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