Die 14 Nothelfer

Wenn nichts mehr hilft, hilft beten

10:46 Minuten
Die heilige Barbara in einer Zeichnung von 1581 - 1633.
Die heilige Barbara hält ihre schützende Hand unter anderem über die Bergleute. © imago/ QuintxLox
Markus Hofer im Gespräch mit Christopher Ricke · 07.06.2020
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Der heilige Veit weckt zur rechten Zeit, die heilige Barbara war eine der ersten Feministinnen. In Zeiten großer Not werden immer noch die 14 Nothelfer angerufen. Und es scheint zu wirken! Markus Hofer hat darüber ein Buch geschrieben.
Christopher Ricke: In diesem Gespräch befassen wir uns mit etwas wunderbarem – mit Betonung auf Wunder. Es geht um die 14 Heiligen, die in der Not helfen, die 14 Nothelfer. Die helfen wirklich – sagen diejenigen, die entsprechende Erfahrungen gemacht haben. Ich spreche mit dem österreichischen Theologen Markus Hofer, Co-Autor des Buchs "Die 14 Nothelfer. Das himmlische Versicherungspaket".

Unfallschutz auf einen Blick

Herr Hofer, in einer Woche feiern Katholiken einen der 14, den heiligen Vitus und da fällt mir ein Weckgebet für Langschläfer ein: "Heiliger St. Veit, wecke mich zur rechten Zeit. Nicht zu früh und nicht zu spät. Wenn die Glocke sieben schlägt." Sind die Nothelfer also eher für die praktischen Sachen zuständig?
Hofer: Das waren sie früher vor allem, natürlich für alltägliche Nöte oder Sorgen. Gerade beim Heiligen Veit, der mich am Morgen rechtzeitig weckt, verhält es sich vermutlich sehr einfach. Ich vermute, dass das großteils schon allein deshalb funktioniert hat, weil ich mich damit auch selber programmieren kann. Das mache ich durch das Gebet zu diesem Nothelfer. Das sind Dinge, die vermutlich leichter funktionieren als der Schutz vor Corona.
Ein grauhaariger Mann in sandfarbenem Sakko steht in der Sonne und lächelt in die Kamera.
Der österreichische Theologe Markus Hofer hat ein Buch über die 14 Nothelfer verfasst.© Tyrolia-Verlag
Ricke: Nehmen wir mal einen anderen Nothelfer, meinen Namenspatron - den Heiligen Christopherus, der gegen Verkehrsunfälle hiflt. Ich gebe zu, auch ich habe eine Christopherus-Plakette im Auto, weil ich weiß: Wer auf den Christopherus schaut, ist am selben Tag vor einem überraschenden Tod geschützt. Ich muss zugeben, das klappt seit Jahrzehnten bei mir.
Hofer: Christopherus hat man deshalb früher auch an die Außenwände der Kirchen gemalt, damit man ihn im Vorübergehen gesehen hat und an diesem Tag geschützt war. Er spielt bei den Autofahrern heute noch eine große Rolle. Ich glaube, auch die Hubschrauber des ADAC heißen heute noch Christopherus.

Zuversicht und Horrorgeschichten

Ricke: Das ist etwas, was heute übriggeblieben ist. Aber vieles ist auch im Mittelalter versunken. Wenn man jetzt mal einen Schritt zurücktritt und auf diese 14 Heiligen ganz unfromm schaut: Was sieht man denn da? Das sind ja zum Teil echte Horrorgeschichten, aber dann sind es wieder Vorbilder. Was sind das für welche?
Hofer: Es sind natürlich schon Mischungen. Die meisten dieser Heiligen haben ganz großartige Legenden, die erst später entstanden sind und vor allem im Mittelalter groß ausgeschmückt wurden. Ich denke, sie sind sehr, sehr wichtig für die Gläubigen. Die Verehrung von Nothelfern ist für mich einfach eine Lebensform. Man muss es nicht tun, aber man kann es tun. Ich bin überzeugt, das hat den Menschen früher auch geholfen.
Wir glauben nicht – glauben im religiösen Sinne, vertrauen auf, bauen auf etwas, hoffen auf etwas –, wir glauben nicht an Zahlen, Daten und Fakten, wir glauben an Geschichten. Wenn ich mir jetzt einen Heiligen oder alle 14 aussuche, dann helfen mir auch diese großartigen Geschichten. Wenn ich weiß, was die in der Geschichte alles erlebt, überstanden und geleistet haben, dann habe ich auch die Zuversicht, diese Person könnte mir mit meinen persönlichen Problemen auch wirklich helfen. Darum sind die Geschichten auch wichtig. Wenn man diese sich dann genauer anschaut, handelt es sich tatsächlich manchmal fast um gruselige Horrorstorys.
Ricke: Mehrfach gefoltert, dem Tod knapp entgangen ...
Hofer: Ja, wahnsinnig. Richtig. Das erinnert mich immer an James Bond. Jeder James Bond hat ja mehrere Leben, am Ende läuft er dann natürlich wieder gesund davon. Ähnlich auch mit diesen Heiligen, die alles Mögliche überstehen. Zum Schluss werden sie im Regelfall geköpft. Ich glaube schon, dass da auch ein gewisser Horrorkitzel dabei war, so wie heute. Wir schauen ja auch Horrorfilme an, und wenn man sich im Mittelalter diese Geschichten erzählt hat, waren das auch ein Stück Schauergeschichten. Der Unterhaltungsfaktor spielte sicher ein bisschen mit hinein, aber das ist nicht das Vordergründige.

Emanzipation in der Spätantike

Ricke: Manchmal ist ja auch tatsächlich eine Emanzipationsgeschichte dabei. Wenn ich mir die drei Frauen anschaue: Barbara, Margareta und Katharina. Wie lesen Sie mit der historischen Distanz von ein paar Jahrhunderten diese Geschichte, die man damals über diese Frauen erzählt hat?
Hofer: Ich glaube tatsächlich, dass das Emanzipationsgeschichten sind: Barbara, die eben nicht in die Fußstapfen getreten ist, die der Vater vorbereitet hat, sondern die absolut selbstbewusst, mit einem wirklich ordentlichen Mut und einer Portion Sturheit konsequent ihren eigenen Weg gegangen ist und dabei auch den Tod nicht gescheut hat. Die hat sich wirklich nicht nur von ihrem Vater, sondern auch von damaligen Frauenrollen emanzipiert.
Oder auch das Thema Jungfräulichkeit bei diesen Damen: Wenn man es nicht ganz so moralistisch auffasst, wie es für uns meistens gleich klingt, dann ist da schon auch ein Stück Wahrung der sexuellen Souveränität der Frau. Offiziell waren sie Bräute Christi und sind darum auch jungfräulich geblieben und haben keinen irdischen Mann genommen. Das ist schon auch ein Stück Weg zur Selbstbestimmung der Frau, unabhängig vom Mann.
Ricke: Damals eine durchaus wichtige Geschichte ...
Hofer: Ganz, ganz sicher zu diesen Zeiten. Viele Dinge sind heute selbstverständlich, aber früher waren sie das nicht.

Echte Wunder oder Autosuggestion?

Ricke: Jetzt ist es ja so, dass es tatsächlich funktioniert, die Nothelfer anzurufen. Es gibt ja kistenweise Dankschreiben, nicht nur an die 14 Heiligen, für jeden Nothelfer - auch im 21. Jahrhundert. Kann das wirklich alles nur Autosuggestion der Gläubigen sein?
Hofer: Das kann man gar nicht so auseinandertrennen. Das kann man nicht mit der Rasierklinge unter der Lupe untersuchen. Sicher ist, dass es gewirkt hat, auch wenn das für ganz moderne, kritisch aufgeklärte Menschen eher unglaubwürdig klingt. Aber ich sage mal so: Die Menschen damals waren nicht dumm. Hätte das nicht geholfen, hätten sie aufgehört, die Nothelfer oder andere Heilige anzurufen.
Wenn ich sage, es hat geholfen, es hat Wunder gegeben, was immer man unter Wunder verstehen will: Die Anzahl dieser Wunder ist ganz sicher Legion, aber es ist nicht immer nur die Heilung die Hilfe. Einmal hilft schon, wenn ich in meiner persönlichen Not – und ich denke, das kann man durchaus auch im Moment auf Corona beziehen –, wenn ich in meiner Not eine verlässliche Ansprechperson habe – natürlich in erster Linie Gott. Aber in unserer Tradition sind die Heiligen einfach noch mal als Mittler zwischen Himmel und Erde ins Geschehen gekommen …

Vermittler zwischen Erde und Himmel

Ricke: Das ist ganz wichtig zu sagen: Die Nothelfer tun ja nichts, sondern sie vermitteln.
Hofer: Richtig, wenn man es nicht magisch versteht, sondern theologisch korrekt, dann vermitteln sie. Gott heilt, beziehungsweise mein Glaube heilt. Aber die Nothelfer vermitteln in diesem Prozess und sie helfen mir auch in diesem Glauben, mit dieser Zuwendung in meiner Not.
Ricke: Die Volksfrömmigkeit hat in den letzten Jahrzehnten stark nachgelassen. Auch der Heiligenkalender wurde ja nach dem Zweiten Vatikan noch mal ein bisschen durchgekehrt, nach historisch nicht belegbaren Personen. Es gibt aber ein spirituelles Grundbedürfnis, und es gibt auch Menschen, die kirchlich oder christlich nicht gebunden sind und sich durchaus wünschen, mal etwas nach oben abzugeben. Was sehen Sie da heute, wenn Sie zum Beispiel auf diese Engel- oder Buddha-Statuen blicken, die es inzwischen im Baumarkt und im Buchladen gibt?
Hofer: Ich sehe das auch in Corona bestätigt: Das Corona wirft mich ja zuerst völlig auf mich selbst zurück. Niemand hat das schon mal erlebt, niemand hat damit Erfahrung. Da tut es einfach gut, für meine Situation und meine Sorgen sozusagen einen himmlischen Fokus zu haben - quasi ein Ansprechpartner nach oben, der über der Sache steht.
Manchmal sind das natürlich auch einfache Fetische. Dann wird es schon auch irgendwo zur Magie oder zum Aberglauben. Bloß weil ich im Supermarkt einen Buddha kaufe, hilft das wahrscheinlich genauso wenig, wie wenn ich im Supermarkt einen Rosenkranz kaufe und den irgendwo zum Beet lege. Es ist eine Lebensform, es ist eine Praxis, und die muss man leben. Wenn man sie lebt, dann kann es durchaus hilfreich sein.

Rituale gehören dazu – auch in der modernen Welt

Ricke: Zu der Lebensform gehören Rituale, und die sind ja doch weit verschüttet. Es gibt zwar noch Wallfahrten oder Barbarazweige Anfang Dezember, wobei ich zweifle, dass jeder weiß, warum man sich die in die Vase stellt. Dann gibt es noch den Blasiussegen, aber das ist natürlich nicht mehr das, was es früher einmal war.
Hofer: Nein, in der modernen Welt ist da durch Aufklärung und Rationalität sehr vieles verschwunden – ich finde, da hat man das Kind auch mit dem Bade ausgeschüttet. Es klingt jetzt nicht mehr zeitgemäß, und wir haben als moderne Menschen vermutlich eher Hemmungen, auf so etwas wieder zuzugehen, aber: Rituale gehören unbedingt dazu, und ich glaube schon, dass wirklich sehr, sehr vieles verlorengegangen ist.
Ricke: Herr Hofer, ganz ehrlich, wann haben Sie das letzte Mal einen oder vielleicht sogar alle 14 Nothelfer im Paket angerufen?
Hofer: Ich bin da immer so gespalten. Jetzt habe ich mich zwei Jahre lang sehr intensiv mit den Nothelfern beschäftigt. Ich sehe sie wirklich als Lebensform und bin immer da noch so hin- und hergerissen, ob ich sie jetzt auch selber in meinem persönlichen Glauben anrufen soll oder nicht. Ich würde sagen: Ich habe inzwischen zumindest ein sehr, sehr gutes Verhältnis zu ihnen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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