Dichterstimmen eines Jahrhunderts

Rezensiert von Heike Schneider · 17.03.2006
Die Doppel-CD "Anna Blume trifft Zuckmayer" vereint große Literatur und Hörkultur. Die Herausgeber Stefan Bertschi und Ingo Starz haben 60 legendäre deutschsprachige Dichter von 1900 bis heute in Originalaufnahmen mit den bekannten Stimmen von Thomas Mann, Günther Grass und Christa Wolf zusammengefügt. Denn Stimmen sind immer auch akustische Spiegel für Stimmungen, Temperamente und Charaktere.
Seine "Kleine Zugabe vom Piepmatz" trug der Kabarettist Joachim Ringelnatz, der heute ein "Entertainer" wäre, 1922 auf der Bühne vor; vermutlich hat er sich über seinen Kalauer selber amüsiert, und zweifellos hat der bei Leipzig geborene Dichter sein Sächsisch nie kaschiert, was seiner Deklamation Extrakomik verleiht.

60 namhafte deutschsprachige Dichter vereint dieses Hörbuch per Stimmen - von Thomas Mann bis Grass, Nelly Sachs bis Christa Wolf. Sie kommen daher als Gedicht, Lied, Ansprache, Dada oder Prosa. Die älteste Stimme, von Ebner-Eschenbach , akustisch freilich ziemlich verkratzt, reicht zurück bis 1901. Das jüngste Tondokument stammt aus Elfriede Jelineks Nobelpreisrede 2004, die die ebenso skandalträchtige wie publikumsscheue Österreicherin bekanntlich zuhause und nicht in Stockholm hielt.

Dass Stimmen immer auch akustische Spiegel für Stimmungen, Temperamente, ja Charaktere sind, ist für Psychologen längst kein Geheimnis mehr. So hören wir eben bei Ingeborg Bachmann auch ihre Depressivität mit heraus, bei Thomas Mann das Repräsentative, bei Anna Seghers die nur scheinbar monotone Melodie, eine Melange aus Lebensreife und unterschwelliger Sehnsucht, bei Hochuth den Hochmut, bei Grass das Barock-Narrative.

Die Herausgeber legten Wert auf das Lebensgefühl einzelner Epochen, was viele prononciert politische Texte erklärt, wie z.B. Thomas Manns BBC-Essay über das Bombardement Coventrys oder Christa Wolfs Rede auf dem Berliner Alexanderplatz im Herbst 1989.

Dass dabei auch Ulrike Meinhof als Publizistin zu Wort kommt, mag überraschen. Auch ihre heisere, nicht gerade voluminöse Stimme, mit der sie 1967 nach dem Schahbesuch in Westberlin Partei für die protestierenden Studenten ergreift und die Bonner Regierung kritisiert, den (Zitat)"schönen Mann zu hofieren, der doch in Persien 80% Analphabeten duldet und verschuldet". Da agiert die Meinhof mit ihrer Wut noch im Rahmen der Pressefreiheit und noch nicht vom Untergrund mit blutigem RAF-Terror.

Kritisch, allerdings gegen ältere Kollegen, agiert auch Peter Handke. Als 24-jähriger Poesienovize attackiert er 1966 in Princeton Autoren der legendären Gruppe 47 wegen deren "Beschreibungsimpotenz" und sorgt so – stotternd und frech –für einen Skandal.

Wohltuend gelassen dagegen fragt sich Friedericke Mayröcker, mittlerweile 81, "Was brauchst Du?" Und antwortet mit Melancholie und Altersweisheit.

Dass der Dramatiker Brecht seinen Augsburger Dialekt mit betont langen RRRs und Vokalen nie verleugnet hat, ist bekannt. Bei seiner selbst zelebrierten Moritat von Mackie Messer verrät er schon 1928 seine extrovertierte Lust als Storyteller.


Stefan Bertschi und Ingo Starz, Anna Blume trifft Zuckmayer
Mit 100-seitigem Booklet,
Münchener Hörverlag,
2 CDs, 150 Minuten,
24,95 Euro.