Deutschland verändern

24.07.2006
Rafael Horzon ist ein Unternehmer der besonderen Art. Seine Geschäftsideen bezeichnet er selbst als idiotisch, und je idiotischer sie sind, desto besser gefallen sie ihm. Sein Firmenimperium namens <papaya:link href="http://www.modocom.de/" text="modocom" title="modocom" target="_blank" /> umfasst inzwischen sieben Unternehmen, von denen die meisten nur als Idee existieren. Deutschland will Horzin ein neues Design verpassen.
Berlin Mitte, Torstraße Nr. 68. Zwei Schaufenster, darin ein paar gleich aussehende Regale. Wer bei Möbel Horzon einkaufen will, ist hier allerdings an der falschen Adresse. Der Laden hat nie geöffnet. Es hängt aber die Nummer einer Bestell-Hotline aus.

"Das war ja eigentlich meine Idee, dass ich einen Laden mache, wo ein Produkt drin steht und alle vorbei gehen und sich fragen: 'Hä, was ist denn hier los?' Und komischerweise sind dann alle stehen geblieben und wollten dieses Regal kaufen, und das war halt mein Glück."

Rafael Horzon sitzt ein paar Häuser weiter in den Räumen von Redesign Deutschland. Die Designagentur ist Rafael Horzons neuestes Firmenprojekt, und wahrscheinlich das gewagteste:

"Redesign Deutschland ist eine Firma, die sich zum Ziel gesetzt hat, ganz Deutschland zu verändern, sowohl was das Design, als auch was die Lebensform betrifft. Und da gibt es natürlich eine Menge zu tun, deshalb haben wir auch so viele Arbeitsplätze hier."

Rafael Horzon, Mitte dreißig, mit kurzen braunen Haaren und Dreitagebart, schaut sich in dem Büro um. Etwa zehn leere weiße Schreibtische stehen darin und scheinen zu warten. Es ist zwar Samstag, aber es sieht auch nicht so aus, als wäre hier unter der Woche mehr los. Dennoch macht Horzon einen zufriedenen Eindruck. In diesem Raum entspricht schon fast alles dem Konzept von Redesign Deutschland:

"Wir haben also einen Arbeitsplatz entworfen, an dem wir auch gerade hier sitzen. Der besteht aus quadratischen Tischen und quadratischen Stühlen. Und das Ziel ist, jedem Menschen in Deutschland einen Arbeitsplatz zu geben. Das wird erreicht dadurch, dass dieser Arbeitsplatz auch von jedem selbst gebaut werden kann."

Bei der Umgestaltung Deutschlands setzt Rafael Horzon, wie schon bei seinem Regal, auf radikale Vereinfachung. Er möchte das Dezimalsystem universell einführen, das soll dann auch für die Zeitrechnung gelten: Das Jahr hat 1000 Tage, der Tag 100 Stunden, die Stunde 100 Minuten. Eine Universalgrammatik soll für alle Sprachen gelten, um die internationale Verständigung zu erleichtern. Horzon nennt das fürs Deutsche "Rededeutsch". In dieser Sprache ist auch das Manifest von Redesign Deutschland verfasst:

"Also, ich les mal die ersten drei Punkte aus dem Manifest vor.
Eins: Redesign Deutschland neu gestalten Deutschland in all Bereichs.
Zwei: Redesign Deutschland entwickeln Strategies und Produkts für Großgemeinschaft von glücklich und gleichberechtigt Menschs.
Drei: Redesign Deutschland wissen: Einfachst Lösung seien gutst Lösung."

Die erste Literaturübersetzung ist bereits in Arbeit, es ist, man hat es fast geahnt, Goethes "Faust". Eine Sinfonie ist auch geschrieben, sie besteht aus einem einzigen Ton von 100 Hertz.

"Also wenn man sagt 'Weniger ist mehr', dann wäre unser Credo 'Weniger ist nicht mehr möglich'."

Rafael Horzon lässt sich nicht gerne in die Karten schauen, es ist schwer zu ergründen, was ihn zu solchen Projekten treibt. Ein Paar persönliche Daten gibt er dann aber doch preis: Geboren in Hamburg, Mutter Hausfrau, Vater Architekt. Letzteres vielleicht eine Erklärung für Horzons Drang, praktische Dinge zu entwerfen.
So konsequent, wie der Architektensohn sich und seine skurrilen Projekte präsentiert, beweist er aber auf jeden Fall Humor.

"Humor ist natürlich wenn man nicht drüber redet. (…) Dadurch verliert ja jede Idee ihren Witz, wenn man sagt, dass das nicht so gemeint ist."

Dann ist da noch der Studienabbrecher Horzon. Der hat mit dem Geld aus dem Regalgeschäft die Wissenschaftsakademie Berlin gegründet, eine Hochschule ohne Zulassungsbeschränkungen und Studiengebühren. Pro Trimester wird ein Studiengang angeboten, bestehend aus je vier Vorlesungen, deren Besuch schon zum Diplom reicht. Tatsächlich engagiert Horzon hier kompetente Dozenten, zuletzt für den Studiengang Anthropologie.

Die eigenen, langen Jahre an der Universität waren für Rafael Horzon verlorene Zeit. Mit dem Schnellstudium an der Akademie möchte er seinen Studenten Lebenszeit schenken. Er gerät fast in Rage, wenn er über seine wichtigste Erkenntnis als selbständiger Unternehmer spricht:

" (…) dass man einfach wegkommt von diesem Papierwahn, dass das Leben aus einer Ansammlung von Papieren besteht, dass man eine Klarsichtfolie hat, wo so das Abizeugnis drin ist und so die Scheine, die Proseminarscheine und dann das Diplom, und dieser Arbeitsvertrag, und dann am Ende so die Verbrennungsurkunde vom Sargdiscount. Also dass man von diesem Wahn loskommt und sein Leben lieber begreift als die Abfolge von der Umsetzung von Wünschen, die man verwirklicht hat."

Insofern ist es auch verständlich, dass Rafael Horzon sich so vehement dagegen wehrt, als Künstler wahrgenommen zu werden. Er macht nichts, weil es Kunst ist, sondern weil es ihm Spaß macht, sich selbst zu entwerfen – als Unternehmer oder als Hochschuldirektor. Aber doch bitte nicht als Künstler – was soll denn das überhaupt sein? Dabei macht ihm die Rolle des gewissermaßen verkannten Nicht-Künstlers insgeheim bestimmt große Freude:

"Das macht einen völlig wahnsinnig, wenn man sein Leben lang daran arbeitet, das Gegenteil von Kunst zu machen und dann am Ende als Künstler dasteht. Das ist ja ganz schrecklich, tragisch kann man das schon nennen."