Deutschland hat gute Kandidaten

Von Casper Selg · 07.09.2013
Der Wahlkampf sei flau und abgehoben, wird gern behauptet. Stimmt nicht, meint Casper Selg, der Berlin-Korrespondent des Schweizer Radios DRS. Er verlangt Respekt für das Bemühen der Parteien, über relevante und unpopuläre Inhalte zu streiten.
Das sagt man wohl besser nicht, als kritischer Journalist, aber ich sage es jetzt trotzdem: ich finde, dieser flaue, dieser inhaltsleere, abgehobene Wahlkampf ist eigentlich so ziemlich das Gegenteil. Interessant, voller Inhalte und recht bürgernah.

Ich sage das natürlich als Schweizer. Bei uns laufen Parlamentswahlen noch wesentlich ruhiger ab. Um nicht zu sagen langweiliger. Sie sind immer nur ein Abstimmungstermin von vielen im Jahr, bei uns steht auch nicht das Amt des Regierungschefs auf dem Spiel, den gibt es in dieser Form gar nicht. Man hat keine Kanzlerin und keinen Herausforderer. Kein Duell.

Das ist hier alles schon mal wesentlich lebendiger.

Ich fand das Duell vergangenen Sonntag zwar nicht wahnsinnig spektakulär, aber interessant. Wer wissen wollte, wo die Unterschiede zwischen den beiden liegen, hat einiges erfahren. Gerade weil es einigermaßen geordnet ablief. Man erfuhr zwar nichts über Steinbrücks Honorare und wenig über das Kanzlergehalt. Beides war zuvor monatelang im Zentrum der Berichterstattung, ist aber gemessen daran, was bei dieser Wahl auf dem Spiel steht, weitgehend irrelevant. Nein, es ging bei diesem Duell um Inhalte, die in Zukunft von großer Bedeutung sind. Das ist schon mal nicht schlecht.

Fast niemand wettert gegen Ausländer
Ich sehe auch bei den einzelnen Parteien ein Bemühen, relevante Inhalte anzusprechen. Sogar ein Bemühen, Inhalte in den Vordergrund zu stellen, die nicht populär sind. Mehr Geld für den Staat. Steuererhöhungen. Sogar das Bemühen, auch unsäglich komplexe Themen nicht außen vor zu lassen. Die Energiewende. Die europäische Bankenregulierung. Die Finanzmarkttransaktionssteuer. Da wird nicht erst mal gegen Ausländer gewettert, um Stimmen zu gewinnen, wie in anderen Ländern. Im Gegenteil: Das macht hier mit kleinen Ausnahmen keiner. Das ist nicht nur nicht schlecht. Das ist sehr gut.

Die andere ständige Kritik: "Abgehobenes, bürgerfernes Blabla": Wer in Allensbach am Bodensee eine CDU-Veranstaltung oder in Pegnitz in Bayern einen "roten Grill" der SPD beobachtet, der kann sehen, dass hier Spitzenpolitiker hingehen und mit 100 oder auch nur 50 Bürgern, Bürgerinnen über deren Anliegen reden. Nicht nur Reden halten, sondern Widerreden der Leute beantworten. Das galt zum Teil schon für die Formulierung der Wahlprogramme: Man versuchte mindestens, die Basis einzubeziehen. Das kann man als pseudodemokratisch abtun. Ich finde das zu billig.

Ich meine, die Berichterstattung hierzulande legt die Latte zu hoch. Die Politik kann da meist nur unten durch. Und das ist im Effekt schädlich. Es wird da auch immer wieder mal Häme verwechselt mit kritischem Journalismus. Die Politikverdrossenheit, von der viele reden, könnte auch eine Berichterstattungsverdrossenheit sein.

Beispiele, wieder: Die Spitzenkandidaten. Peer Steinbrück ist sicher kein klassischer Sympathieträger, um das mal so zu formulieren. Schon gar nicht bei uns in der Schweiz. Man kann und soll und muss ihn kritisieren. Er hat die Finanzmärkte liberalisiert, er hat die Vermögenssteuer gesenkt. Und verkauft jetzt das Gegenteil. Aber er ist sehr viel mehr als ein "Fettnapf-Treter", als der er monatelang dargestellt wurde. Mit verheerendem Effekt für ihn. Wenn ich das vergleiche mit dem Lob, das etwa ein zu Guttenberg vor seinem Sturz über lange Zeit bekommen hat, dann frage ich mich nach den Relationen.

Sachkenntnis und Ruhe
Auch Angela Merkel ist weder eine charismatische Rednerin noch eine Frau mit hinreißenden Visionen. Sie fährt Zickzack, sie hat viele scheinbar eherne christdemokratische Positionen einfach geräumt, mit klarem Ziel. Das stimmt. Aber jeder weiß, was diese Frau täglich an Inhalten und Verantwortung stemmt. Auf wie vielen Ebenen. Mit welcher Sachkenntnis und Ruhe.

Hier stehen nicht zwei Not-Lösungen zur Wahl, wie man bisweilen den Eindruck bekommen könnte, sondern zwei im europäischen Vergleich sehr kompetente, verantwortungsbewusste Politiker. Die schüren nicht Ressentiments, wie das heute in fast allen Nachbarländern im Wahlkampf gang und gäbe ist, sondern sie arbeiten mit relevanten Themen. Das ist - jedenfalls von außen gesehen - erst mal Grund für Respekt. Bei aller nötigen Kritik.
Mehr zum Thema