Basar, das war einmal

Istanbul - Hauptstadt der Shopping-Center

Gewürzbasar in Istanbul: Das L-förmige Gebäude stammt aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts und wurde ursprünglich als Karawanserei erbaut.
Gewürzbasar in Istanbul: Das L-förmige Gebäude stammt aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts und wurde ursprünglich als Karawanserei erbaut. © picture alliance / zb
Von Luise Samman · 09.01.2016
Fast überall in Istanbul sterben die traditionellen Basarviertel aus. Die letzten ihrer Art haben sie sich auf Touristen spezialisiert. Die Türken selbst kaufen längst im Einkaufscenter - trauern aber der orientalischen Tradition hinterher.
Barstraße Kadiköy: Der Sesamrkingelverkäufer balanciert sein Tablett hoch über dem Kopf, um sich besser durch das Gedränge schieben zu können. Jeder Zentimeter zählt im Zentrum von Kadiköy, einem Stadtteil auf der asiatischen Seite Istanbuls.
Das Gewusel erinnert ein bisschen an einen deutschen Weihnachtsmarkt. Hier im "Çarşi" aber ist es Alltag. Eine Million Menschen drängen sich jedes Wochenende durch die schmalen Kopfsteinpflasterstraßen, vorbei an historischen Holzhäusern und bilderbuchreifen Marktständen. Trotzdem laufen die Geschäfte schlecht wie nie, klagt Ladenbesitzer Firat, der in einer Wolke aus Zimt und Hibiskusblütentee in seinem 100 Jahre alten Gewürzladen steht.
Ladenbesitzer: "Seit gut zwei Jahren verändert sich hier alles. Der Markt von Kadiköy ist jetzt ein Ausgehviertel. Die Leute kommen um sich zu amüsieren, aber nicht um zu kaufen. Früher gab es hier Küchenbedarf, Stoffe, einen Hutmacher, einen Optiker, einen Schuster und so weiter. Jetzt aber gehen die Leute ins Einkaufszentrum, wenn sie etwas brauchen."
Der vollgestopfte Laden ist wie eine Insel im Ozean
Tatsächlich gleicht Firats bis unter die Decke mit Nüssen, Gewürzen und Olivenseife vollgestopfter Laden einer Insel im Ozean. Seine Nachbarn haben ihre Geschäfte verkauft oder selbst in Fischrestaurants, Cafés und Bars verwandelt. Abends und nachts wird es weiterhin proppenvoll in Kadiköy. Tagsüber liegen viele Gassen wie verkatert da.
Ladenbesitzer: "Wir könnten hier auch ein Restaurant einrichten und mitverdienen. Aber unser Geschäft hat eine Tradition, die wir nicht einfach aufgeben wollen. Fragt sich nur, wie lange wir das noch durchhalten."
Nicht nur in Kadiköy: Fast überall in Istanbul sterben die traditionellen Basarviertel aus. Die, die sich noch halten können, haben sich auf Touristen spezialisiert, die in ihren Reiseführern extra das Einmaleins des Feilschens nachschlagen. Echte Türken dagegen sind längst an Festpreise gewöhnt. Das ach so orientalische Basargewusel begeistert gerade jüngere Istanbuler höchstens noch in Heimatfilmen. Kein Wunder bei einer Metropole, die zu den Städten mit den meisten Shoppingcentern weltweit gehört. 114 sollen es sein! Und fast jeden Monat kommen weitere dazu.
"Ich möchte ein Zuhause, in dem ich mit nur einem Fahrstuhl von meiner Wohnung zum Shoppen fahren kann", träumt die Journalistin Ayse Arman in einem aktuellen Werbespot. Die Gated Community, in der ihr Traum wahr werden soll, gehört zu den vielen glitzernden Wohntürmen, die ihre eigene Mall gleich im Keller haben. Klar, dass holprige Kopfsteinpflastergassen voller streunender Katzen und Fleischgerüche da nicht mithalten können.
Trauer, Sentimentalität und Nostalgie
Und doch sind es am Ende die Istanbuler selbst, die ihren weltberühmten Basaren am meisten hinterhertrauern. Im Akasya – gerade mehrfach als beste Shoppingmall Europas ausgezeichnet – locken statt traditioneller Schuster internationale Edelmarken. Stoffe gibt es nicht vom Ballen sondern fertig verarbeitet auf Kleiderbügeln von Lacoste, Mango und Co. Ein mit Tüten beladener Kunde wird sentimental, wenn er die hochglanzpolierten Gänge entlangschaut.
Mann in Mall:"Früher hatte man noch direkten Kontakt zu den Ladenbesitzern. In einer Mall wie dieser hier ist das unmöglich. Ich liebe den alten Basar von Kadiköy, ich gehe beinahe täglich dort spazieren."
Dafür, dass er sein Geld trotzdem nicht dort, sondern eben hier ausgibt, sorgen türkische Marketingstrategen jetzt mit einem einfachen Konzept: Nostalgie! Schicke Boutiquen dekorieren ihre hochglanzpolierten Läden mit alten Nähmaschinen wie beim Schneider um die Ecke, Schnell-Bäckerei-Ketten backen Millionen Brötchen am Tag, nennen sich dabei aber vertrauenserweckend "Nachbars Ofen" – und Supermärkte stellen rundliche anatolische Hausfrauen an, die zwischen den Regalen Köfte brutzeln.
Selbst in den TV-Spots für shoppingnahes Wohnen ziehen nun auffällig oft glücklich lächelnde Straßenverkäufer durchs Bild. Im echten Leben dagegen klagen sie schon lange, dass die modernen Istanbuler nichts mehr kaufen, was nicht abgepackt im Supermarkt liegt.
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