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Ehe für alle
Kritiker erwägen Klage in Karlsruhe

Nach der als historisch betitelten Bundestagsentscheidung für die Ehe für alle zweifeln Kritiker an deren Verfassungsmäßigkeit. Der Unions-Fraktionsvorsitzende Kauder rechnet mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht. Der CSU-Politiker Uhl sagte im Dlf, die Ehe sei eine Verbindung zwischen zwei Menschen unterschiedlichen Geschlechts. Das lehre schon die Natur.

30.06.2017
    Die Regenbogenflagge über dem Brandenburger Tor nach der Abstimmung über die Ehe für alle.
    Die Ehe für alle wurde in Berlin beschlossen. (imago - ZUMA Press)
    Uhl betonte im Deutschlandfunk, Ehe und Familie stünden unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes, das hier eine klare Sprache spreche. Er gehe davon aus, dass damit die Geschlechterverschiedenheit gemeint sei. Auch der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Papier, hält die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare für verfassungswidrig. Das Gericht habe bis zuletzt betont, dass eine Ehe im Sinne des Grundgesetzes nur die Vereinigung von einem Mann und einer Frau zu einer Lebensgemeinschaft auf Dauer ist, sagte Papier dem "Spiegel".
    Juristen sind uneins
    Mehrere deutsche Staatsrechtler vertraten dagegen in der "Rheinischen Post" die Meinung, dass die gestern vom Bundestag beschlossene Regelung verfassungsgemäß sei. Er könne sich vorstellen, dass das Bundeverfassungsgericht pragmatische Lösungen suche, um das Gesetz zu halten, erklärte der Leipziger Jurist Degenhardt. Der Bundestag hatte gestern das Gesetz für die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare beschlossen. Alle anwesenden Abgeordneten von SPD, Grünen und Linken sowie etwa ein Viertel der Unionsfraktion stimmten dafür.
    Vor das Bundesverfassungsgericht könnte das Gesetz nur durch eine sogenannte "abstrakte Normenkontrolle", also eine Klage ohne Fall, kommen. Den entsprechenden Antrag können die Bundesregierung, jede Landesregierung oder ein Viertel der Bundestagsabgeordneten stellen.
    Experten rechnen nicht mit Klage einer Landesregierung
    Experten rechnen aber, anders als bei der Einführung der eingetragenen Lebenspartnerschaft 2001, nicht mit einer Klage einer Landesregierung, auch wenn dies am ehesten dem CSU-geführten Bayern zuzutrauen wäre. Unwahrscheinlich ist auch eine Klage von mindestens 158 Abgeordneten aus der Unions-Fraktion, da viele Experten der Meinung sind, dass eine Verfassungsklage ziemlich sicher abgelehnt werden wird. Artikel 6 des Grundgesetzes stellt Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Was eine Ehe ist, wird in der Verfassung aber nicht genauer definiert.
    Am Freitag hatten sich nach einer 45-minütigen Debatte im Bundestag 393 Abgeordnete für eine Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare entschieden. 226 Parlamentarier stimmten dagegen, vier Abgeordnete enthielten sich ihrer Stimme. Mit dieser Entscheidung dürfen gleichgeschlechtliche Paare künftig genauso heiraten und Kinder adoptieren wie ein Paar von Mann und Frau. Erst 2001 wurde in Deutschland nach langen Konflikten die eingetragene Lebenspartnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare eingeführt.
    Emotionale Debatte
    SPD, Grüne und Linke hatten erst in dieser Woche durchgesetzt, dass das Dauerstreitthema dieser Wahlperiode noch einmal auf die Tagesordnung kommt und abgestimmt wird. Der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, nannte die geplante Ehe für alle in der Debatte einen "wichtigen gesellschaftspolitischen Fortschritt". Angesichts die Durchsetzung der Abstimmung gegen den Willen des Koalitionspartners Union sagte er, dies sei "wahrscheinlich nicht gut für die Koalition, aber gut für die Menschen".
    Unionsfraktionschef Volker Kauder bekräftigte, dass er persönlich immer noch gegen die Ehe für alle sei. Auch das sei seine "Gewissensentscheidung". Linksfraktionschef Dietmar Bartsch sagte im Plenum des Bundestags: "Ich fordere Sie alle auf, heute für Würde, für Gleichheit und für die Liebe abzustimmen." Damit werde ein Stück weit Normalität in Deutschland geschaffen. Kathrin Göring-Eckardt bedankte sich bei ihrem Kollegen Volker Beck, der jahrelang mit der Causa "genervt" habe: "Danke Volker, das ist dein Lebenswerk."
    Der homosexuelle Politiker scheidet nach dieser Legislaturperiode aus dem Bundestag aus. Der SPD-Politiker Johannes Kahrs warf Bundeskanzlerin Merkel einen taktisch motivierten Schritt vor, der "erbärmlich" sei. Sie habe das Thema nur aus dem Wahlkampf heraushalten wollen. Jahrelang habe die Union die Gleichstellung von Lesben und Schwulen blockiert. "Liebe Frau Merkel, danke für nichts", sagte Kahrs.
    Merkel stimmt gegen Gesetz
    Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel stimmte gegen die Ehe für alle. "Was die Frage der Ehe anbelangt, so ist es meine Grundüberzeugung, dass der grundgesetzliche Schutz im Artikel 6 die Ehe von Mann und Frau beinhaltet", begründete sie ihre Ablehnung. Sie hoffe aber, dass mit dem Beschluss nun gesellschaftlicher Friede geschaffen werde. Merkel hatte mit einer Äußerung am Montagabend das Thema überraschend ins Rollen gebracht, als sie erklärte, sie und CSU-Chef Horst Seehofer würden bei dem Thema für eine Gewissensentscheidung plädieren. Damit wurde die Fraktionsdisziplin aufgehoben.
    Zu denjenigen aus der Union, die für die Ehe für alle stimmten, gehören Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, Kanzleramtschef Peter Altmaier, Generalsekretär Peter Tauber und Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Auch die ehemalige Familienministerin Kristina Schröder und ihr Mann Ole Schröder, der parlamentarischer Staatssekretär im Innenministerium ist, stimmten dafür.
    Umweltministerin Hendricks will jetzt einen Antrag machen
    Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) erwägt nun auch eine Heirat. Sie sei im Oktober 2010 eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingegangen. Sieben Jahre könne sie dann voll machen und ihre Partnerin am 22. Oktober 2017 heiraten. "Den Antrag muss ich schon noch stellen, wie sich das richtig gehört", fügte Hendricks hinzu.
    Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) hat die Zustimmung des Bundestages zur Ehe für alle als Sieg für "eine offene und freie Gesellschaft" gewürdigt. "Das ist ein historischer Tag", teilte der Bürgerrechtsverband mit. "Ob man in Deutschland heiraten darf oder nicht, entscheidet zukünftig nicht mehr das Geschlecht, sondern Liebe, Zusammenhalt und das Versprechen, in guten wie in schlechten Zeiten füreinander da zu sein." Nun gehe es darum, aus der gesetzlichen Gleichstellung auch eine gelebte Akzeptanz im Alltag zu machen.