Deutsche Umwelthilfe kritisiert geplante Castor-Transporte nach Russland

Rainer Baake im Gespräch mit Ute Welty · 09.11.2010
Nach einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" plant die Bundesregierung, 951 bestrahlte Brennelemente nach Russland zu schicken, die dort auch endgelagert werden sollen. Dies sei "völlig unverantwortlich", sagt Rainer Baake, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe.
Ute Welty: Wann der Castortransport in Gorleben eintrifft, das ist noch unklar. Immer wieder blockieren Demonstranten die Straße ins Zwischenlager, aber letzten Endes werden sie den Transport nicht aufhalten. Rainer Baake ist Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, aber er hat auch als grüner Staatssekretär im Umweltministerium unter Jürgen Trittin dafür gesorgt, dass der Salzstock in Gorleben in den letzten zehn Jahren nicht weiter erkundet worden ist. Guten Morgen, Herr Baake!

Rainer Baake: Einen schönen guten Morgen!

Welty: Jetzt ist also wieder ein Castortransport auf dem Weg, inzwischen wird auch wieder der Salzstock in Hinblick auf ein mögliches Endlager erkundet, das muss doch für Sie unendlich frustrierend sein, oder können Sie der Lage irgendetwas Gutes abgewinnen?

Baake: Nein, überhaupt nicht. Ich halte das für sehr verantwortungslos, was im Moment passiert. Schauen Sie, wir haben jetzt seit 50 Jahren ungefähr ein Atomgesetz, und seit 50 Jahren ist klar, dass Deutschland kein Endlager hat. Das heißt, so wie in Deutschland ist auch weltweit bisher die Entsorgungsfrage für hoch radioaktiven Atommüll noch nicht gelöst worden. Und trotzdem werden Beschlüsse gefasst, Atomkraftwerke länger laufen zu lassen und damit die Müllmenge noch weiter zu steigern. Wir stehen hier vor einer gewaltigen Aufgabe, und es ist dringend erforderlich, den Müll zu begrenzen: Das heißt: Raus aus der Kernenergie, gerade wegen der ungelösten Entsorgungsfrage.

Welty: Aber die Erkundung beziehungsweise der Stopp der Erkundung hat ja nun nicht wirklich dazu beigetragen, die Endlagerfrage zu lösen, oder?

Baake: Der Stopp ist seinerzeit mit den Atomkonzernen verabredet worden, um sicherzustellen, dass sie die nicht unerheblichen Kosten der Offenhaltung, nämlich ungefähr nach meiner Erinnerung 250 Millionen Euro pro Jahr, tragen, während der Bund, sprich das Bundesumweltministerium erstens Zweifelsfragen nachgeht, die es bei Gorleben gab. Es sollten also keine weiteren Fakten geschaffen werden, bevor einige von diesen Fragen geklärt werden und natürlich auch die systematische Frage geklärt wird, wie gehen wir mit dem Atommüll, mit diesen hoch radioaktiven Abfällen, die für eine Million Jahre ein Gefahrenpotenzial bedeuten, eigentlich um.

Es ist ja kein Zufall, dass bisher noch niemand auf der Welt hier eine Endlagermöglichkeit gefunden hat. Selbst Projekte, die relativ weit vorangeschritten sind, wie Yucca Mountain in den USA, sind von den Gerichten gestoppt worden, weil die Behörden nur kurze Zeiträume von ein paar zehntausend Jahren in ihren Sicherheitsuntersuchungen betrachtet haben. Und dieser Atommüll ist eine Million Jahre gefährlich, und deshalb ist es ganz besonders erforderlich, hier größte Sorgfalt anzuwenden. Wir haben also neben dem Moratorium sofort begonnen mit einem Arbeitskreis Endlager, wo viele Wissenschaftler mitgearbeitet haben, nach Wegen zu suchen, wie wir das Atommüllproblem lösen, und es ist dabei herausgekommen, dass es in der Bundesrepublik sicherlich unterschiedliche Gesteinsformen gibt, dass man nicht von vornherein am grünen Schreibtisch sagen kann, das ist der beste geeignete Standort, zumal Gorleben ...

Welty: Wenn Sie sich denn den besten geeigneten Standort ausmalen könnten, wo wäre der oder wie sähe der aus?

Baake: Ja, das ist genau das, was die Wissenschaftler uns gesagt haben: Es gibt nicht die eine Gesteinsformation, sondern es kommt immer darauf an, dass man das gesamte Umfeld betrachtet und dass man systematisch vorgeht. Und das war unser Vorschlag, den Gesetzentwurf haben wir auch ausgearbeitet, dass ein Suchverfahren beginnt. Am Anfang ist das sicherlich eine Schreibtischarbeit. Man muss gucken, wo geologisch geeignete Formationen sind – das kann Salz sein, das kann Granit sein, das können auch andere Tonformationen sein –, und dann muss man anschließend gucken, das heißt Probebohrungen niederbringen und schauen, wo hat man die besten Verhältnisse. Und am Ende steht dann eine Entscheidung: Das ist der Standort, wo dann auch das Planfeststellungsverfahren laufen soll.

Das ist also das genaue Gegenteil von dem, was in Gorleben passiert ist, da hat es eine politische Festlegung in eine Ecke gegeben, die damals weit im Osten, von Westdeutschland gelegen, an der ehemaligen DDR-Grenze. Das ist keine Sorgfalt bei der Standortauswahl. Und deshalb glaube ich auch, dass das, was die Bundesregierung da jetzt macht, eines Tages dann vor den Gerichten scheitern wird, weil es keine vernünftige Standortauswahl gegeben hat. Aber in der Zwischenzeit werden Fakten geschaffen. Es wird ja nicht nur erkundet dort, sondern es wird praktisch ein Endlager ausgebaut.

Welty: Die "Süddeutsche Zeitung" berichtet heute noch von einer ganz anderen Variante, nämlich von einem Abkommen zwischen Deutschland und Russland, nach dem mehr als 900 Brennelemente am Ural aufbereitet und endgelagert werden sollen. Was halten Sie davon?

Baake: Unverantwortlich. Mir fehlten die Worte, als ich das heute Morgen in der "Süddeutschen Zeitung" gelesen habe. Das sind Abfälle aus Rossendorf, aus der ehemaligen DDR, die dort entstanden sind in einem Reaktor, die dann 2005 in das Zwischenlager nach Ahaus gebracht worden sind, weil es keine andere sichere Zwischenlagerungsmöglichkeit gab. Die sollten dort bleiben, bis Deutschland über ein Endlager verfügt. Und jetzt wählt man offenkundig die Billigvariante und bringt sie nach Russland. Wir alle wissen, welchen Stellenwert Bürgerbeteiligungsrechte, welchen Stellenwert Umweltschutzrechte in Russland haben. Ich halte das für völlig unverantwortlich, diese gefährlichen Abfälle jetzt in dieses Land zu transportieren, nur um Kosten zu sparen bei der Entsorgung.

Welty: Abgesehen von der beschriebenen Variante, wie glauben Sie jetzt, dass es weitergeht? Sind der politische und auch der finanzielle Druck nicht so groß, dass es ohnehin hinausläuft auf ein Endlager Gorleben?

Baake: Nein, das sehe ich nicht so. Ich glaube, dass die Bundesregierung merkt, dass sie auf erhebliche Widerstände mit ihrer Energiepolitik stößt, in deren Zentrum ja die Laufzeitverlängerung steht, und wir wollen mal sehen, wie das weitergeht. Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass die öffentlichen Proteste oder auch das Bundesverfassungsgericht am Ende, allerspätestens eine zukünftige Bundesregierung in drei Jahren diesem Spuk ein Ende bereitet. Und dann bleibt natürlich das Entsorgungsproblem, das ist richtig.

Aber es wird nicht anders gehen, als dass wir uns der Mühe unterziehen, in Deutschland den am besten geeigneten Standort zu finden. Und nur dann werden auch solche Standortentscheidungen in der Bevölkerung akzeptiert werden. Es wird dann immer noch örtliche Betroffenheit geben, die einige davon abhält, so etwas dann mitzutragen, aber wir sind natürlich der Gesellschaft insgesamt eine Lösung schuldig. Schauen Sie, es gibt den Homo sapiens auf der Erde seit ungefähr 250 Millionen Jahren, und wir produzieren Müll, der gefährlich ist eine Million Jahre. (Richtigstellung von Rainer Baake: "Den Homosapiens gibt es seit ungefähr 250.000 Jahren auf der Erde". Das Manuskript weicht an dieser Stelle vom Audio ab)

Das zeigt die Dimension des Problems, und das heißt für mich, heraus aus der Kernenergie, so schnell es geht, und nicht weiteren Atommüll produzieren. Aber die Abfälle, die da sind, für die brauchen wir eine verantwortungsvolle Lösung.

Welty: Rainer Baake, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, ich danke fürs Gespräch!

Baake: Gern, auf Wiederhören!
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